Süddeutsche Zeitung

Soziale Medien:Der Richter und die Hetzer

Der Weilheimer AfD-Kreisvorsitzende Rüdiger Imgart lässt auf seiner Facebook-Seite Hass-Kommentare zu. Er ist auch ehrenamtlicher Verfassungsrichter. Seinen Amtseid sieht er jedoch nicht verletzt.

Von Johann Osel

Die schreckliche Tat am Frankfurter Hauptbahnhof, bei der ein Eritreer eine Frau mit ihrem achtjährigen Sohn vor einen ICE stieß, hat das Land bewegt - unter anderem die Besucher auf dem Facebook-Profil des Weilheimer AfD-Politikers Rüdiger Imgart. "Das muss gerächt werden (...) Tod zu Tod ist die Antwort", war da zu lesen. Das Bild eines Sensenmannes, das ein User einspeist, stellt die Frage: "Wo bitte geht's zum Kanzleramt?" Todesstrafe für den Afrikaner wird häufig gefordert, "Auge um Auge", "Seid froh, dass ich nix zu sagen habe, denn ich wäre schnell fertig mit sowas". Viele Kommentare haben nichts mit Entsetzen und Trauer zu tun, auch nichts mit einer Debatte über Migrantenkriminalität - sondern übertreten jeden Anstand, wohl auch strafrechtliche Grenzen. Dass Imgart selbst anmerkte, "Kommentare, die zur Gewalt aufrufen, werden gelöscht", wirkte fast wie eine pflichtschuldige Randnotiz. Mit striktem Löschen begann man offenbar erst, nachdem ein Grünen-Politiker auf die Lynchjustiz-Stimmung aufmerksam geworden war sowie nach einer Anfrage der Süddeutschen Zeitung. Am Freitag weiter sichtbar war etwa (Wortlaut): "Es ist an der Zeit das wir uns bewaffnen, und dann, kürzer Prozess, bevor sowas passiert, ein gezielter Schuss, Stirnmitte, fertig."

Thematisiert hat ausgewählte Entgleisungen zunächst der grüne Landtagsabgeordnete Andreas Krahl, der mit Imgart 2018 in selben Stimmkreis antrat. Es gehe darum, dass der "so ziemlich alles zulässt, was an Widerwärtigkeiten durch's Netz wabert". Und es gehe darum, "was ein bayerischer Verfassungsrichter auf seiner Seite für vollkommen akzeptabel hält." Imgart ist nicht nur AfD-Kreisvorsitzender, sondern wurde nach Nominierung durch seine Partei auch als ehrenamtlicher Richter am Verfassungsgerichtshof vereidigt. Krahl will nun Möglichkeiten prüfen lassen, dagegen vorzugehen. Imgart ist AfD-Mitglied der ersten Stunde, in den Landtag schaffte er es vergangenes Jahr nicht.

Durch den Einzug ins Maximilianeum stehen der AfD Sitze in Gremien und Institutionen zu. So auch zwei Posten (samt Stellvertretern) als "nichtberufsrichterliche Verfassungsrichter". Je nach Stärke haben die Fraktionen Personen ohne Mandat ausgewählt, diese sollten besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht haben; Imgart ist Rechtsanwalt in Weilheim. Insgesamt 15 dieser Richter ergänzen die 22 Berufsrichter in den meisten Spruchkammern. Der Gerichtshof ist zuständig für die Auslegung und Wahrung der Landesverfassung. Laut Eid wird Imgart getreu Grundgesetz, Verfassung des Freistaats und Gesetz nur der Wahrheit und Gerechtigkeit dienen. Wie passt dieser Eid zu Gewaltfantasien auf seinem Facebook-Profil, womöglich zu eigenen Äußerungen?

Die von der SZ zitierten Passagen seien "in der Tat deftig", teilte Imgart mit. Um die Seite kümmere sich ein Team, die Gesamtverantwortung trage er; allerdings befinde er sich im Urlaub. Wo genau liegt die Grenze, was gelöscht wird? Das sei "immer eine Sache des Fingerspitzengefühls. Falls etwas als Gewaltaufforderung missverstanden werden oder als zu unanständig empfunden werden könnte, gehört es vorsichtshalber gelöscht". Facebook sei bekanntlich "digitaler Stammtisch", da ließen sich "Menschen jeglicher politischer Couleur oft unbedacht-spontan aus dem Bauch heraus zu grenzwertigen Kommentaren hinreißen. Ob das aus Kreisen der AfD-Wählerschaft stammt, wäre reine Spekulation." Derlei lande auch bei anderen Parteien, er biete "keine spezielle Anreiz-Plattform für anstößige Kommentierungen und ich billige die auch nicht."

In eigenen Kommentaren oder geteilten Posts erkennt er nichts Anstößiges. Auch nicht in der pauschalen These, wonach Deutschland "überrannt wird von einer Horde unzivilisierter Islamisten, die unsere Frauen vergewaltigen, unsere Kinder schänden, unseren Rechtsstaat aushebeln und dazu noch unverschämte Forderungen stellen. (...) Wenn die Regierung nicht handelt, wird es das Volk tun!!" Imgart teilt oft Meldungen über Vergewaltigungen durch Migranten, einmal schrieb er dazu: "Immer schön machen ficki, ficki" (...) Ich meine: Raus mit dem ganzen Gschwerl." Ersteren Satz hat er nach der SZ-Anfrage mit dem Zusatz "Originalton einiger Zugewanderter" ergänzt; über die "Gschwerl"-Forderung sagt er: Gemeint sei "exakt jener eingrenzbare Personenkreis unter den Zuwanderern, der hier straffällig wird, insbesondere bei Sexualdelikten". Wenn ein erheblicher Teil der Zuwanderer durch ein aggressives und unkultiviertes Sozialverhalten auffällig werde, zum Beispiel in Freibädern, bewege sich aber auch eine pauschalierend wirkende Formulierung noch im Rahmen der Meinungsfreiheit. Würde er Äußerungen entgegen dem Amtseid tätigen, hätte ihn der Präsident des Gerichts sicher darauf angesprochen. Hört man sich dort um, wird nichts Auffälliges im Amt berichtet - jedoch dringt auch nicht viel nach außen, die Spruchkammern tagen geheim.

Krahls Büro hat inzwischen Kopien der Posts an die Polizei weitergeleitet. Imgart selbst, auch wenn dessen Ausgangsposts "diese Empörungsmechanismen anstacheln", wie es heißt, agiere mutmaßlich an der Grenze zum Justiziablen. Als Anwalt kennt Imgart die Grenzen der Meinungsfreiheit aus der Praxis. Bei einem Volksverhetzungsprozess gegen den Münchner Pegida-Chef Heinz Meyer vertrat er 2018 einen Angeklagten, der die Rede gefilmt hatte. Imgart nannte Meyers Sätze "zynisch" und "überzogen", strafrechtliche Grenzen seien aber noch nicht überschritten. Das Amtsgericht Augsburg sah das anders.

Krahl meint: "Ich will diese Menschenverachtung nicht kommentarlos hinnehmen." Dass er überhaupt prüfen lassen muss, wie er Imgarts Netzaktivitäten auf die Agenda bringen könnte, liegt am Verfassungsgerichtshofgesetz - das sieht eine Sanktionierung oder gar Abberufungen von Richtern nicht vor, wie auch das Generalsekretariat des Gerichts bestätigt, ohne die Causa werten zu wollen. Die Ehrenamtlichen unterlägen auch nicht einer Dienstaufsicht oder dem Richtergesetz.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2019/huy
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