Rott am Inn:500 Geflüchtete auf 4000 Einwohner: Wie ein Ort gegen eine Erstaufnahme kämpft

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Viele Menschen in Rott führen gegen die geplante Erstaufnahme für Geflüchtete eine mögliche Belastung des alten Produktionsgebäudes mit Quecksilber ins Feld.
Viele Menschen in Rott führen gegen die geplante Erstaufnahme für Geflüchtete eine mögliche Belastung des alten Produktionsgebäudes mit Quecksilber ins Feld. (Foto: Matthias Köpf)

Seit einem Jahr wollen die Behörden in Rott am Inn im Landkreis Rosenheim eine Unterkunft für Hunderte Geflüchtete einrichten. Doch der Widerstand der Rotter lässt nicht nach.

Von Matthias Köpf, Rott am Inn

Dass „Rott rot(t)iert“, lässt die gleichnamige Bürgerinitiative die bayerische Politik schon seit einem ganzen Jahr wissen. Am 9. Oktober 2023 – just am Tag nach der Landtagswahl – hat der Rosenheimer Landrat Otto Lederer (CSU) im Rathaus von Rott am Inn angerufen und den parteifreien Bürgermeister Daniel Wendrock darüber informiert, dass der Landkreis ein leer stehendes Produktionsgebäude im Gewerbegebiet der 4000-Einwohner-Gemeinde als Erstaufnahme für 500 Geflüchtete angemietet hat.

Die praktisch sofort gegründete Bürgerinitiative hat seither am Rande etlicher politischer Großtermine wie der Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten in Seeon plakativ Posten bezogen. Sogar den Vermieter des Gebäudes wollten wütende Rotter vor dessen Wohnhaus in einem anderen Landkreis mit ihrem Protest heimsuchen, was erst das dortige Landratsamt verhindert hat. Jetzt ist die große Politik gleichsam gebündelt zu den Rottern gekommen: Am Freitag hat eine Delegation des Petitionsausschusses des Landtags die umstrittene Immobilie besichtigt.

Dass sich das von einer verkehrsreichen Spedition und der Halle eines Fischhändlers eng umstellte Gebäude besonders gut als Unterkunft für Hunderte Menschen eignet, mag auch Landrat Lederer nicht behaupten. Der muss aber ohnehin praktisch alles mieten, was ihm angeboten wird. Denn er muss in seinem Landkreis jeden Monat ungefähr 100 weitere Ukrainer und Asylbewerber unterbringen, bekommt aber kaum mehr Immobilien dafür – schon gar nicht, wenn er das vorher mit der jeweiligen Gemeinde bespricht.

In diesem Jahr sei zu den 240 kleineren Unterkünften fast keine mehr dazugekommen, sagt Lederer, während sein Landkreis innerhalb Oberbayerns seinen festen Anteil an unterzubringenden Geflüchteten am weitesten verfehlt. Zugleich müssen schon seit zwei Jahren stets zwischen 250 und 300 Menschen in zwei Turnhallen in Raubling und Bruckmühl leben, in denen eigentlich Schulkinder Sportunterricht haben sollten.

Bürgermeister Daniel Wendrock (links) erläutert dem Rosenheimer FW-Abgeordneten und Ausschuss-Berichterstatter Josef Lausch die Rotter Sicht der Dinge
Bürgermeister Daniel Wendrock (links) erläutert dem Rosenheimer FW-Abgeordneten und Ausschuss-Berichterstatter Josef Lausch die Rotter Sicht der Dinge (Foto: Matthias Köpf)

Die Turnhallen dienen dem Landkreis als Erstaufnahmen, die Menschen dort bleiben bis zu drei Monate, ehe sie anderswohin umziehen können. So soll es künftig auch in der ehemaligen Lampenfabrik in Rott sein, weshalb die Gemeinde keine zusätzlichen Plätze in Schulen und Kindergärten schaffen müsse, versichert der Landrat. Doch die Gemeinde sträubt sich. Die ohnehin knappen Kapazitäten beim Trinkwasser und der Kläranlage würden keinesfalls für so einen Zuwachs an Einwohnern reichen, heißt es in Rott. Schöpfe man die Kapazitäten auf diese Weise aus, werde Rott außerdem jede Entwicklungsmöglichkeit durch das geplante Neubaugebiet genommen.

Dass das Landratsamt und die Regierung von Oberbayern die Zahl der künftigen Bewohner deswegen von 500 auf 300 reduziert haben, hat den Ort jedoch nicht befriedet. Denn die Menschen in Rott sehen nicht ein, warum ihre kleine Gemeinde, die anteilig schon deutlich mehr Geflüchtete aufgenommen hat als viele andere im Landkreis, ohne dass es deswegen große Probleme gegeben hätte, nun zusätzlich noch die landkreisweite Erstaufnahme beherbergen soll. Baurechtlich wehrt sich die Gemeinde ohnehin mit allen Mitteln. Da sitzt das Landratsamt zwar wohl am längeren Hebel – das aber auch nur auf lange Sicht. Der Mietvertrag gilt laut Lederer noch für fünf Jahre. Ein Jahr zahlt der Freistaat schon Miete und zudem die Sicherheitsleute, die hinter dem bespannten Bauzaun ein leeres Gebäude bewachen.

Viele Protestschilder, die am Freitag den Anfahrtsweg der Abgeordneten säumten, warnen zudem vor einer möglichen Quecksilberbelastung des Gebäudes aus der früheren Lampenproduktion. Einem Gutachten des Landratsamts, wonach es praktisch keine besorgniserregenden Messergebnisse gibt, trauen die Gemeinde und die Bürgerinitiative erklärtermaßen nicht. Einigkeit herrscht am Freitag in Rott hauptsächlich in einem: Sowohl der Landrat als auch der Bürgermeister und die BI wünschen sich auf Landkreisebene einen verbindlichen Schlüssel für die Verteilung der Geflüchteten auf die einzelnen Gemeinden, so wie es ihn zwischen den Bundesländern, den bayerischen Regierungsbezirken und zuletzt zwischen den Landkreisen gibt.

Dann wären vor Rott erst einmal andere Gemeinden dran, und auch der Landrat hätte es mit mehr Durchgriffsrechten etwas leichter beim Verteilen der Lasten. Eine neue Unterkunft wäre allein dadurch allerdings noch längst nicht entstanden. Der Petitionsausschuss will über die Eindrücke aus Rott im Laufe des Novembers diskutieren.

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