Rothenburg ob der Tauber:Kutschen verboten

Pech für die Touristen: Aus Sicherheitsgründen hat das bayerische Rothenburg ob der Tauber die Pferdefuhrwerke aus der Altstadt verbannt - und das obwohl Reiseführer hier eine "Reise mit der Zeitmaschine ins Mittelalter" versprechen.

Roman Deininger

Heinz Heß sagt, man solle sich unbedingt den Blumentrog auf der anderen Straßenseite anschauen, "ohne den hätten wir eine Katastrophe gehabt". Eine Katastrophe gleich vor Heß' Lädle, vor dem Postkartenständer und dem Gestell mit dem Ritterbedarf. Der Blumentrog ist - anders als die darin verkümmernden Blumen - recht imposant, massiver Stein, eine Blumenwanne fast. "Ohne den hätte es Tote gegeben", da ist Heß sicher.

Streit um Kutschenverbot in Rothenburg

"Die Sicherheit hat Vorrang, aber die Tradition darf man nicht vergessen": In Rothenburg sollen Kutschfahrten im Zentrum verboten werden.

(Foto: dpa)

Er sah das Unheil kommen damals, schon 100 Meter weiter die Spitalgasse hinauf waren die Pferde durchgegangen. Er sah den Leiterwagen, der die Hauswand schrammte, er sah die Verzweiflung und dann die Ohnmacht im Gesicht der Kutscherin. Es waren nur noch wenige Meter bis zu den Leuten an den Kaffeetischen und vor den Schaufenstern. "Die hätten keine Chance gehabt", sagt Heß, die Gasse ist nur ein paar Meter breit.

Doch dann stand der Blumentrog im Weg. Es wirkte, als hätte jemand die Notbremse gezogen bei den Pferden. Eine Frau und ein Mädchen, die auf dem Wagen umhergeworfen wurden, waren verletzt. Aber niemand war gestorben.

Rothenburg ob der Tauber ist eine deutsche Sehnsuchtsstadt, 1,5 Millionen Besucher drängen sich jährlich in den verwinkelten Gässchen mit ihren Fachwerkfassaden. "Für die Amerikaner und die Japaner ist das hier Deutschland", sagt Heß, der den Amerikanern und den Japanern seit 23 Jahren "Germany"-Mützen feilbietet und T-Shirts mit einem abgemagerten Bundesadler darauf.

Rothenburg ist ein Stück Vergangenheit in der Gegenwart, die Verkäuferinnen in den ganzjährig geöffneten Weihnachtsgeschäften tragen Blusen mit Puffärmeln. Eine "Reise mit der Zeitmaschine ins Mittelalter" verspricht eine englische Touristenbroschüre. "Eigentlich", findet Heß, "gehören die Kutschen da dazu." Er sei hin und her gerissen in der Kutschenfrage, sagt er, "die Sicherheit hat Vorrang, aber die Tradition darf man ja auch nicht vergessen". So wie Heinz Heß geht es zur Zeit vielen Rothenburgern.

Seit zehn, fünfzehn Jahren schwelt die Debatte schon, doch erst unter dem seit 2006 regierenden, parteifreien Oberbürgermeister Walter Hartl bezog die Stadtverwaltung eine klare Position. Zum 1. Januar 2010 sperrte sie das historische Zentrum für die Fuhrwerke. Auf einmal standen überall Schilder herum, mitten im Mittelalter: Kutschen verboten.

Die Fuhrwerker gingen vor das Verwaltungsgericht Ansbach, sie fühlten sich in ihrer Berufsfreiheit beschnitten. Ihre Klage wurde abgewiesen. Also zogen sie weiter, vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, und so kam es, dass an einem heißen Julitag eine Schar hoher Richter mit Maßband und Notizblock in der Hand durch Rothenburg lief. Sie inspizierten Engstellen und Stadttore, starke Steigungen und Unebenheiten im Pflaster.

Ein paar Tage später sprachen sie ihr Urteil: Die Kutschfahrten bleiben verboten. Lediglich im Nordosten der Altstadt dürfen die Droschken eine Runde ohne besondere Sehenswürdigkeiten drehen. Eine weitere Revision wurde nicht zugelassen. Einer der Kutscher erklärte nach der Verkündung: "Ich bedanke mich beim Staat, dass ich in einem halben Jahr zum Hartz-IV-Empfänger werde."

Der Mann, der die Stadt vertrat in diesem Verfahren, hat sein Büro im zweiten Stock des Rathauses, die dicken Mauern schlucken den Lärm des Marktplatzes. Ab und an steht ein Tourist bei Michael Sommerkorn in der Tür und fragt, ob es hier etwas zu sehen gebe. Der Rechtsrat Sommerkorn ist ein junger Mann, er sitzt vor einer Karte der Altstadt. "Gefahrenpunkte" sind rot eingekreist, im Grunde hätten sie einfach einen einzigen großen roten Kreis malen können rund um das Zentrum.

Er habe Verständnis für die Sorgen der Kutscher, sagt Sommerkorn, "wir haben versucht, berechtigte Gewerbeinteressen zu berücksichtigen". Aber, sagt er und blickt jetzt fast so ernst drein wie Kaiser Friedrich Barbarossa auf dem Gemälde draußen im Gang: "Es geht hier um Leib und Leben, dessen Schutz sind wir verpflichtet." Zu oft habe es Probleme gegeben mit den Kutschen, stolpernde, scheuende oder durchgehende Pferde: "Wir mussten einfach etwas tun."

Drei Rösser sind in Rothenburg zu besonderer Bekanntheit gelangt in den vergangenen Jahren, Boss, Hercules und Presto, sie hatten freilich nichts mehr von ihrem Ruhm. Alle starben in den Gassen der Stadt: zwei Mal Herzversagen, eine Kolik. Boss musste sich noch treten und schlagen lassen in seinem vierstündigen Todeskampf, der Kutscher dachte, der Gaul sei bloß faul.

Die Amerikaner und Japaner, die das mit ansehen mussten, brauchten wohl kein Adler-T-Shirt mehr hinterher. "Ein paar der Kutscher haben den anderen den Ruf versaut", sagt nicht nur ein Hotelier, "das ist schade." Manche Pferde seien zu alt gewesen für den harten Dienst auf dem Pflaster, der Umgang zu rau. Boulevardzeitungen schrieben über die "Pferde-Schinder von Rothenburg". Dem Leumund der Zunft war auch nicht zuträglich, dass es in den Gassen nach Pferdeurin stank und der Konkurrenzkampf bisweilen mit Rossbollen ausgetragen wurde.

Heute muss man die Kutschen erst mal suchen. "Die haben keinen festen Standplatz mehr", sagt die nette Dame in der Touristeninformation. "Wenn Sie eine sehen, am besten gleich aufspringen." Am Schrannenplatz am Rand des Stadtkerns fährt Rudolf Schwäble vor, zwei japanische Mädchen stürzen mit ihren Kameras heran, als würde George Clooney Schwäbles Kutsche ziehen und nicht die Schimmel Nero und Josch. Schwäble schiebt sich den Lederhut aus dem Gesicht, dann sagt er: "Es geht um unsere Existenz."

Locker 200 Euro habe man früher verdienen können am Tag, heute müsse man mit 100 zufrieden sein: "Die Leute steigen wieder aus, wenn sie von der eingeschränkten Strecke hören." Zwei Gespanne habe sein Betrieb seit Inkrafttreten des Verbots verkaufen müssen.

Schwäble war Vielseitigkeitsreiter, er sagt, gute Kutscher könnten auch große Wagen sicher durch schmale Straßen lenken. "Ein besserer Kompromiss wäre schon möglich", glaubt Schwäble. Die Zeit der Kompromisse aber scheint in Rothenburg vorbei zu sein.

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