Mobilität:Bei Bedarf über die Dörfer

Mobilität: "Rosi" ist seit 1. Mai am Chiemsee unterwegs.

"Rosi" ist seit 1. Mai am Chiemsee unterwegs.

(Foto: Josip Batinic/Clevershuttle/oh)

Am Chiemsee im Landkreis Rosenheim haben sich elf Gemeinden zusammengetan, um Einwohnern und Ausflüglern eine Alternative zum Auto zu bieten. "Rosi" rollt nicht nach einem festen Fahrplan, sondern nur auf Bestellung.

Von Matthias Köpf, Prien am Chiemsee

Im ländlichen Raum werde es auf Dauer nicht ohne Auto gehen, hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) drinnen in der Halle gerade gesagt und dafür großen Applaus von Bayerns versammelten Landräten erhalten. Und sogar die beiden sehr um Akzeptanz in der Fläche bemühten Grünen Manuela Rottmann und Ludwig Hartmann schrieben neulich in ihrem Positionspapier für den ländlichen Raum, dass das Auto "dauerhaft eine wichtige Funktion behalten" wird. Aber versuchen kann man es ja mal: Der jüngste und bisher größte Versuch in Bayern heißt "Rosi - Mobil am Chiemsee" und soll immerhin 50 000 Einwohnern von elf Gemeinden zwischen Rosenheim und dem Chiemsee einen Alltag ohne eigenes Auto ermöglichen - und einer wohl noch größeren Zahl von Auswärtigen einen Ausflug an die Eggstätt-Hemhofer Seen oder nach Sachrang zum Geigelstein, ohne dafür groß im Stau zu stehen.

Seit 1. Mai sind insgesamt fünf Autos und Kleinbusse im östlichen Landkreis Rosenheim unterwegs, um Fahrgäste an einem von 619 verschiedenen Haltepunkten abzuholen und sie an einem anderen wieder abzusetzen. Wann und wo genau, legen die Fahrgäste bei Bestellung über eine eigene Handy-App oder mündlich am Telefon fest. Die Route wird dann per Computer berechnet, denn das System bündelt die Wünsche und Fahrten mehrerer Nutzer, wo immer es geht. Säße nämlich nur ein einzelner Fahrgast im Bus, so wäre zwar das Ziel einer besseren sozialen Teilhabe auch für individuell weniger mobile Menschen verwirklicht. Verkehrstechnisch und ökologisch wäre aber nicht viel gewonnen, außer dass die Rosi-Mobile elektrisch unterwegs sind.

"Das kostet ein Wahnsinnsgeld"

Immerhin 100 Fahrten gab es an den ersten drei Tagen - sehr zur Freude des örtlichen CSU-Landtagsabgeordneten Klaus Stöttner, der das Projekt seit fünf Jahren maßgeblich vorangetrieben und die Staatsregierung davon überzeugt hat, es in den ersten Betriebsjahren mit zunächst rund drei Millionen Euro zu fördern. Es gebe da "tolle Ideen, aber das kostet ein Wahnsinnsgeld" hat der Ministerpräsident drinnen im Priener König-Ludwig-Saal gerade den Landräten auf ihrer Jahrestagung erklärt, ehe er draußen mit Stöttner und Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) zum Foto mit dem symbolischen Scheck Aufstellung nimmt.

65 Prozent der Kosten sollen im ersten Jahr vom Freistaat kommen, danach sinkt die Förderung über fünf Jahre stufenweise auf dauerhafte 35 Prozent. Ohne Geld vom Staat wäre ein solcher On-Demand-Verkehr wie Rosi derzeit kaum bezahlbar, gestaffelte Fahrpreise zwischen 2,50 Euro für bis zu vier Kilometer und sechs Euro für zehn bis 15 Kilometer blieben ein bloßer Wunschtraum. In Murnau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, das vor zwei Jahren zusammen mit seinen Nachbargemeinden Seehausen und Riegsee ein deutlich kleineres On-Demand-Ortsbussystem eines örtlichen Startup-Unternehmens eingeführt hat, war die Verlängerung um ein weiteres Jahr lokalpolitisch jüngst sehr umstritten. Denn das "Omobi" genannte Projekt fährt zwar jede Menge Mobilitätspreise ein, doch die Gemeinden zahlen kräftig drauf. Alle Zuschüsse inklusive koste eine einzelne, für den Nutzer nur zwei Euro teure Fahrt in Wahrheit zwischen 17 und 19 Euro, hat sich ein Ortsbus-Kritiker von der Murnauer CSU dazu ausgerechnet.

Ergänzung zum Bus

Am Chiemsee soll das alles schon wegen des viel größeren Gebiets und der erhofften höheren Fahrgastzahlen viel günstiger werden. Auch die beteiligten Unternehmen sind größer als in Murnau: Zur Rosenheimer Verkehrsgesellschaft von Stadt und Landkreis Rosenheim kommen mit Clevershuttle und dem Regionalverkehr Oberbayern (RVO) zwei Töchter der Deutschen Bahn. Deren Konzernbeauftragter für Bayern, Klaus-Dieter Josel, und RVO-Geschäftsführer Stefan Kühn sehen das Rosi-Angebot nicht als Konkurrenz zur Bahn und ihren Regionalbussen, sondern als ideale Ergänzung. Denn wer schon für den Weg zum Bahnhof ins Auto steigen müsse, wie so oft am Land, der lege womöglich gleich die ganze Strecke damit zurück. Zeige sich, dass bei Rosi eine bestimmte Strecke stark nachgefragt werde, könne man zusammen mit dem Landkreis das Einrichten einer normalen Buslinie erwägen. "Stadt kann jeder, und trotzdem kriegen sie's nicht hin", sagt Kühn über zahlreiche ähnliche Ansätze in Ballungsgebieten.

Auch am Chiemsee zahlen die elf Gemeinden mit - allen voran Prien, das mit 11 000 Einwohnern die größte von ihnen ist. Bürgermeister Andreas Friedrich steht nach eigenen Worten hinter dem Projekt, das überhaupt erst entstanden sei, weil 2016 der "Nachtexpress Chiemgau" eingestellt wurde, eine Art Diskobus des örtlichen Jugendbeirats. Entsprechend fährt Rosi freitags und samstags bis in den frühen Morgen des nächsten Tags. Einen noch direkteren Vorfahren hat Rosi im niederbayerischen Landkreis Kelheim. "Kexi" ist Teil diverser Forschungsvorhaben und läuft nach Angaben von Landrat Martin Neumeyer (CSU) seit rund zwei Jahren, zunächst in Kelheim selbst und zwischenzeitlich auch an anderen Orten. Für 2023 kündigt der Landrat eine Ausdehnung von Kexi als On-Demand-Linienbus auf den ganzen Landkreis an, in Teilen Kelheims soll der Rufbus bald autonom unterwegs sein. Ähnliches verheißt der Bahn-Beauftragte Josel für das bereits autonom hin- und herpendelnde Bahnhofs-Shuttle in Bad Birnbach an, das demnächst in einen begrenzten On-Demand-Betrieb gehen soll.

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