Volksverhetzung im InternetWegen Reichsbürger-Chat bei Telegram: 63-Jähriger muss hinter Gitter

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Der Angeklagte (rechts) im Rosenheimer Reichsbürger-Prozess mit Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl (links).
Der Angeklagte (rechts) im Rosenheimer Reichsbürger-Prozess mit Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl (links). (Foto: Matthias Köpf)

Weil er eine Chatgruppe für zeitweise 1000 Volksverhetzer und Antisemiten gegründet und betrieben hat, schickt das Amtsgericht Rosenheim einen 63-Jährigen für zwei Jahre in Haft.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Falls er den Namen „Hitler“ und das Wort „Hakenkreuz“ immer noch gerne hören sollte, dann müsste ihm der Vortrag des Staatsanwalts fast Freude bereiten. Dieser Staatsanwalt braucht am Donnerstag im Amtsgericht im oberbayerischen Rosenheim eine gute halbe Stunde, um die Anklage zu verlesen. Sie besteht zum großen Teil aus Zitaten und aus summarischen Zusammenfassungen und Beschreibungen Abertausender Posts, die der Angeklagte in seinem Kanal auf der Social-Media-Plattform Telegram veröffentlicht hat. Und um „Hitler“ und „Hakenkreuz“ kommt der Staatsanwalt dabei eben nicht herum.

Auf Volksverhetzung und auf das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen jeweils in zahllosen einzelnen Fällen lautet die Anklage gegen den inzwischen 63-Jährigen. Dazu kommen zwei versuchte Nötigungen, weil der Mann zwei Sachbearbeiterinnen für die Kfz-Zulassung im Rosenheimer Rathaus mit Kriegsgericht und Hinrichtung gedroht haben soll – Drohungen ganz im Stil der sogenannten Reichsbürger und ihrer mindestens wirren Verschwörungsideologie. An der herrschte auch kein Mangel im Telegram-Kanal des Angeklagten.

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Dieser Kanal war nur ein gutes Jahr in Betrieb, bis jener demokratische Staat, der dem Mann offenbar eine bloße Firma zu sein schien, ein wuchtiges Zeichen setzte. Die Polizei brach an einem frühen Morgen im Februar 2022 mit einer Ramme die Tür seiner Rosenheimer Wohnung auf und stellte unter anderem den PC des Mannes sicher, von dem er nach maschineller Zählung der Kriminalpolizei innerhalb von nicht einmal 14 Monaten genau 50 316 einzelne Beiträge abgesetzt hatte. Darunter waren Smileys und Likes für Verschwörungsgeschwurbel und Führerfilmchen ebenso wie weitergeleitete Videos von Holocaust-Leugnern und auch zahllose eigene, oft antisemitische Hass- und Hetzkommentare für all die vermeintlichen „Patrioten“ dort draußen im Netz.

Zwei Terabyte an Daten hatte die Sachbearbeiterin bei der Kripo laut ihrer eigenen Zeugenaussage vorliegen, „eine unfassbare Datenmenge“ und gemäß ihrer eigenen Einschätzung genug, um zweieinhalb Jahre lang rund um die Uhr Musik zu streamen. Detailliert ausgewertet wurde von all dem nur etwa ein Fünftel. Die ganze Chatgruppe hatte zeitweise um die 1000 Mitglieder in ganz Deutschland und Österreich.  Ein knappes Viertel von ihnen hat die Polizei eindeutig und mit Klarnamen identifizieren können, obwohl der russische Plattform-Betreiber mit den deutschen Behörden nicht kooperiert. Die Gruppe war auf Telegram aber auch für Nicht-Mitglieder offen einsehbar war, so wie es der Angeklagte laut eigener Aussage ausdrücklich haben wollte.

Er sei von einer Biergarten-Bekanntschaft auf Telegram als Informationsquelle hingewiesen worden, sagt er vor Gericht, und kaum sei er drin gewesen, habe er Hunderte und Tausende Nachrichten bekommen mit ganz anderen Wahrheiten, als er bisher gehört hatte. „Und dann glaubt man das, weil andere Leute das auch glauben.“ Seit der Durchsuchung mit der Polizei im Februar 2022 wolle er mit all dem aber nichts mehr zu tun haben und glaube diese Dinge auch nicht mehr, sagt er. Reichsbürger sei er ohnehin nie gewesen. Gleichwohl sind auch lange nach der Durchsuchung noch Schreiben von ihm aktenkundig, in denen er Polizei, Justiz und den ganzen Staat als Firmen bezeichnet und auch sonst typische Reichsbürgeransichten äußert.

Die Staatsanwaltschaft hält die jetzigen Distanzierungsanstrengungen des Angeklagten für unglaubwürdig

Vor Gericht wird er mit Fußfessel aus der Untersuchungshaft vorgeführt, denn zum ersten Verhandlungstermin vor zwei Monaten ist er nicht erschienen. Die Polizei hat ihn im Norden Bayerns bei seinem Bruder aufgespürt, denn die Wohnung in Rosenheim ist zwangsgeräumt worden, nachdem er dreieinhalb Jahre keine Miete mehr gezahlt hatte. Denn auch das Berufsleben des Mannes verlief eher unstet, trotz einer nach seinen eigenen Angaben „genialen“ Erfindung, wie man sich bei Geschäften im Internet mithilfe eines Papierabrisses sicher identifizieren könne. Hilfe etwa durch ein Aussteigerprogramm für Reichsbürger würde er nach eigenen Angaben ebenso bereitwillig annehmen wie Spenden seiner einstigen Chat-Freunde.

Wenn es nach dem Staatsanwalt geht, sollte der Angeklagte ohnehin für zwei Jahre und neun Monate in Haft, weil er neben eigener Volksverhetzung auch noch eine Plattform für die Hetze anderer geschaffen habe und seine jetzige Distanzierung davon unglaubwürdig sei. Laut dem Plädoyer des Verteidigers, der im Namen seines Mandanten anfangs alle Vorwürfe aus der Anklage eingeräumt hatte, wären zwei Jahren auf Bewährung mehr als genug. Denn sein Mandant sei lediglich auf Telegram „falsch abgebogen“, habe sich einlullen lassen und habe „nachgebrüllt, was andere ihm vorgebrüllt haben“.

Das Rosenheimer Schöffengericht schließt sich zwar der Forderung nach zwei Jahren Haft an, dies aber ohne Bewährung. Denn der Angeklagte möge sich nach den Worten der Vorsitzenden Richterin „in einer Art Strudel befunden“ haben und in einer Echokammer, aber er habe diese Echokammer für eine zutiefst antisemitische Gesinnung selbst geschaffen. Eine glaubhafte Abkehr jedenfalls von der Gedankenwelt der Reichsbürger oder aktive Versuche, sein Leben wieder irgendwie in Ordnung zu bringen, seien nicht zu erkennen.

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