Es gibt Ereignisse, die lassen sich nur schwer zusammenfassen. Dann gibt es andere, da genügen zwei Bilder oder Worte. Ein Beispiel? Die Titanic. Da braucht es nur ein Schiff, einen Eisberg, und fast jeder weiß Bescheid.
Warum das so ist, darauf macht sich aktuell eine Ausstellung im Lokschuppen Rosenheim ihren Reim. „Titanic – Ihre Zeit. Ihr Schicksal. Ihr Mythos“ heißt die immersive Schau, die tatsächlich auch damit beginnt. Mit dem Schiff, einem digital animierten Eisberg. Damit ist das Wichtigste gesetzt, bevor dann mithilfe von 310 Exponaten von mehr als 20 Leihgebern aus acht Ländern der Vor- und Nachgeschichte der Titanic auf den Grund gegangen wird. Und natürlich kann man den Unglücksdampfer im Lokschuppen auch sinken sehen.
Das kann man übrigens nicht nur dort. Auch in Köln-Ehrenfeld geht derzeit in einer bald auch nach München kommenden, immersiven Ausstellung die Titanic unter. Dann gibt es eine ähnliche Schau in Ludwigsburg. Und vor kurzen lief in Hof ein „Titanic“-Musical sehr erfolgreich. Der Anlass für die gehäuften Untergangs-Szenarien? Der 40. Jahrestag der Entdeckung des Wracks, das seit dem 15. April 1912 in den Tiefen des Nordatlantiks liegt. Zumindest wird in Rosenheim dessen Auffinden am 1. September 1985 zum Bezugspunkt erklärt. In eine Zeit der verlorenen Sicherheiten passt das Thema natürlich auch. Wenn man so wie die Ausstellungsmacher die Titanic als Symbol einer „Epoche des grenzenlosen Optimismus“, aber auch der Selbstüberschätzung versteht.
Und vergessen wir nicht: Zwei Jahre nach dem Untergang des luxuriösen und damals technisch fortschrittlichsten Passagierdampfers der britischen Reederei White Star Line begann der Erste Weltkrieg. Und dass die Schifffahrt sich zu der Zeit zu einem nationalistischen Wettkampf auf den Meeren entwickelt hatte, darauf weist die Ausstellung im ersten Kapitel „Die Zeit“ der insgesamt acht Kapitel ausdrücklich hin. Überhaupt bemüht sich das Team um die Kuratoren Peter Miesbeck und Siebo Heinken sehr um die zeitliche Einordnung des Geschehens. Auch um sich von den anderen „Titanic“-Ausstellungen abzusetzen, die im Gegensatz zu Rosenheim Wanderschauen aus anderen Ländern sind.

Dadurch erklärt sich auch der hohe Grad an „Originalen“, von denen am Ende doch nur sehr wenige vom Unglücksdampfer selbst, aber eben viele aus dessen Zeit stammen. Die „Originale“ von der Titanic? Ein Rettungsgürtel, den einer der 802 Überlebenden von den insgesamt 2208 an Bord befindlichen Menschen im Rettungsboot getragen hat. Ein Originalbauplan der Titanic aus Irland, der erstmals in Deutschland gezeigt wird. Ein Stück der Schiffs-Balustrade. Die Taschenuhr eines verstorbenen Passagiers. Original-Briefe und Telegramme von weiteren Passagieren. Und dann ist da ein winziges Stück Kohle aus dem Maschinenraum des Schiffs, mit einem Sammlerwert von etwa 500 Euro.
Dass es nicht mehr Original-Objekte gibt, ist in vielem den Umständen geschuldet, klar. Dazu gehört aber auch, dass nach dem Entdecken des Wracks mehrere Tausend Artefakte von Unternehmen „geplündert“ und in alle Welt verkauft worden sind. Dafür sind viele Objekte vom damaligen Schwesternschiff, der nahezu baugleichen RMS Olympic erhalten. Ein Pfund, mit dem auch die anderen genannten Ausstellungen wuchern. In Rosenheim bedeutet das etwa, dass man das Original-Klavier aus dem À-la-carte-Restaurant der Olympic sehen und hören kann. Es gibt viel Geschirr von der Olympic. Und dann ist auch noch die restaurierte Wandvertäfelung aus dem vorderen Treppenhaus.

Was es aber eben auch gibt, das sind viele weitere Objekte aus der Zeit. Zwei kleine Höhepunkte: Der „Runabout“, ein Original-Ford-T-Modell von 1912 mit 12 PS, und ein sehr schönes Luftschiff-Modell aus dem Zeppelin Museum Friedrichshafen, das genauso wie ein Verweis auf die Pariser Weltausstellung oder neue Kunstrichtungen die Technikbegeisterung und Aufbruchstimmung der Zeit widerspiegeln soll. Interessante Exponate sind auch ein „Kolonialatlas“ von 1912 und Original-Eierbecher aus 30 Holzarten der Usambara-Berge in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, welche die kolonialistischen Bestrebungen der Zeit dokumentieren.
Was gibt es noch? Viele Daten und Fakten. Etwa dazu, wie teuer der Bau der Titanic war (1,5 Millionen britische Pfund) und was es dazu an Stunden, Menschen oder Material brauchte. Oder was an Fracht geladen war. Wie etwa ein Auto, 250 Fässer Mehl oder auch 12 lebende Hunde. Auch an die gewaltigen Mengen an Abgas wird erinnert, die damals nicht nur die Titanic in die Luft blies. Ein Thema, das ebenfalls hochaktuell ist. In Zeiten, in denen die Kreuzfahrt-Schifffahrt boomt. Mit neuen Schiffen wie der „MSC World America“, das weit größer ist als die Titanic, mit einem Autoscooter, einer Riesenschaukel und einer Brauerei an Bord. Was damals „Luxus“ hieß auf der Titanic, darüber kann die heutige Upperclass nur lachen.

Apropos Klassen. Davon gab es auf der Titanic drei. Das meiste Geld brachten der Reederei die reichen Geschäftsleute in der ersten Klasse ein. Die Folgen dieser Klassengesellschaft, die die Titanic ebenfalls symbolisch sichtbar macht, zeigen sich bei der Auflistung der Opfer. Die meisten Menschen, die beim Untergang starben, waren Männer aus der dritten Klasse, neben Mitgliedern der Besatzung. Dazu gehörten auch die acht „heroischen“ Musiker, die laut Legende bis zum Untergang des Schiffes spielten und an die unter anderem ein Gedenkfoto erinnert.
Dass die Ausstellung nicht nur deren Biografien, sondern auch die von anderen Crew-Mitgliedern und Passagieren exemplarisch schildert, gehört ebenfalls zu ihren Vorzügen. Und dass sie dabei zwischen Bäcker, Hochstapler und Unternehmerfamilie keine Unterschiede macht. Das Nachleben der Titanic wird in Form von Büchern, allerlei Krimskrams und natürlich Filmen wie James Camerons Blockbuster „Titanic“ dokumentiert. Dass man in einem kleinen Fotoraum die berühmte Liebesszene am Bug mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio nachstellen kann: nun gut.

Fehlt noch der Untergang. Der wird in Form „einer künstlerisch-poetisch-immersiv inszenierten Video-Projektion nachfühlbar gemacht“. Dort sieht man das Schiff langsam sinken und sinken. Man hört eine Erzählerstimme und Zitate von Überlebenden aus dem Off. Dazu werden Fotos der Protagonisten eingeblendet. Schreie der Opfer gibt es nicht und keine anstößigen Sterbeszenen. Aber: Man kann sich dabei in ein nachgebautes Rettungsboot setzen, umgeben von projiziertem Eiswasser. Und wem es dabei noch nicht schauert, der kann in ein -1,8 Grad kaltes Wasserbecken greifen. Ein Griff in die Trickkiste, der eher zu den schwächeren gehört. In einer ansonsten doch sehr überzeugend geratenen, historischen Ausstellung.
Titanic – Ihre Zeit. Ihr Schicksal. Ihr Mythos, bis 6. Januar 2026, Lokschuppen Rosenheim, Rathausstraße 24, www. lokschuppen.de