Rosenheim:Kein Stempel, keine Arbeit

Rosenheim: Ein Foto des entscheidenden Dokuments hat Mohammad Heydari schon am Handy. Das Original ist in Kabul, auf ihm fehlt noch ein letzter Stempel.

Ein Foto des entscheidenden Dokuments hat Mohammad Heydari schon am Handy. Das Original ist in Kabul, auf ihm fehlt noch ein letzter Stempel.

(Foto: Matthias Köpf)
  • Mohammad Heydari stammt aus Afghanistan. 2013 kam er als Flüchtling nach Deutschland.
  • Er könnte einen Job in einem Altenheim in Rosenheim antreten, doch dafür fehlt ihm ein entscheidender Stempel.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Das fremde Wort ist längst in den Sprachschatz von Bayerns Ausländerämtern integriert, auch wenn dann oft von einem Mangel die Rede ist: "Ein Nachweis über ihre Identität (Reisepass oder Tazkira mit beglaubigter Übersetzung) liegt uns leider nicht vor." So steht es auch in dem Brief, den Mohammad Heydari vom Ausländeramt in Rosenheim erhalten hat.

Rein formell steht da kein Nein, nur könne man über den Antrag auf eine Arbeitserlaubnis derzeit nicht entscheiden und stelle ihn zurück. Solange er aber keine Arbeitserlaubnis bekommt, hilft Mohammad Heydari auch sein Anstellungsvertrag bei einem Rosenheimer Altenheim nichts. Aber wie soll einer seine Identität nachweisen, wenn er die geforderten Dokumente noch nie gehabt hat?

Obwohl: Als Foto auf dem Handy hält Heydari die Tazkira inzwischen in der Hand. Das afghanische Dokument, das am ehesten einer deutschen Geburtsurkunde entspricht, hat ihm ein Freund besorgt, der extra vom Iran nach Kundus und weiter nach Kabul gefahren sei. 450 Euro habe er dem Freund für diese Reise geschickt, sagt Mohammad Heydari. Doch der letzte, der entscheidende Stempel fehlt immer noch auf dem fernen Papier, mit dem Heydari in Rosenheim beweisen soll, wer er ist, ehe er ältere Menschen pflegen darf.

Auf seiner Geburtsurkunde stünde neben dem Jahr 1991 der 1. Januar, wie bei so vielen Asylbewerbern. Er kam damals in einem kleinen Dorf bei Kundus zur Welt, niemand trug irgendwo ein Datum ein oder interessierte sich auch nur dafür. Als er ein Jahr alt war, floh die Familie vor dem ewigen Krieg in den Iran - ohne Reisepass, ohne Tazkira und ohne Rechte. Diese Rechtlosigkeit werde im Iran gern ausgenützt wie von dem Mann, für den er später als Fliesenleger gearbeitet habe und der ihm dann den vereinbarten Lohn nicht geben wollte, sagt Heydari.

Dass er sich 2013 über die Balkanroute nach Deutschland durchschlug, hat aber andere Gründe: Weil er seiner Schwester beistehen wollte, die von ihrem Mann misshandelt wurde, habe sich eine Familienfehde entwickelt. Der Schwager werde nichts unversucht lassen, ihn umzubringen.

Dass das den deutschen Behörden nicht als starker Asylgrund gilt und viele Innenpolitiker und Ausländerämter einen alleinstehenden Afghanen wie ihn am liebsten abschieben würden, weiß Heydari genau. Sie würden ihn in einen Flieger nach Afghanistan setzen - in das Land, das er als Einjähriger verlassen hat, aber dessen Staatsbürger er nun einmal ist.

Könnte er diese Staatsbürgerschaft nachweisen, könnte ihm das Ausländeramt aber das Arbeiten erlauben. Er könnte dort weiterarbeiten, wo er nach dem Mittelschulabschluss die einjährige Ausbildung zum Pflegehelfer absolviert hat. Er könnte noch besser Deutsch lernen und danach auf das Angebot der Heimleiterin zurückkommen, später eine mehrjährige Pflegeausbildung dranzuhängen. Und die würde ihn dann vielleicht vorerst vor der Abschiebung bewahren.

Doch Mohammad Heydari ist einer von denen, die nach fast vier Jahren noch nicht einmal ihre erste Anhörung beim zuständigen Bundesamt hatten. Manche Anwälte würden da Untätigkeitsklage erheben, doch deren Ergebnis ist oft, dass ein paar Wochen später die Ablehnung da ist. Vielleicht sei es besser, keine schlafenden Hunde zu wecken, sagt Szabina Toth, die für den Münchner Verein Refugio in Rosenheim Flüchtlinge betreut.

"Man kann sich auch mit bestätigter Identität radikalisieren"

Aber sie und die Psychiaterin Bettina Drews, bei der Heydari seit längerem in Therapie ist, erleben auch, was die dauernde Unsicherheit bedeutet - zusätzlich zu dem, was viele Flüchtlinge schon mitbringen.

"Jeden Tag Stress, jeden Tag Angst", sagt Mohammed Heydari selbst und erzählt von Herzrasen, Kopfschmerzen und dem immer gleichen Albtraum, in dem ihm jemand ein Messer in den Bauch rammt. Drews hat ihm Antidepressiva verschrieben und ihn einigermaßen stabilisiert, sagt sie. Mehr sei unter den Bedingungen einer stets drohenden Abschiebung kaum zu machen. Deutschland sende da widersprüchliche Botschaften: Man fordere Integration und mache sie gleichzeitig nahezu unmöglich.

Heydari bleibt bei der Hoffnung

So könnte Mohammad Heydari aus der Gemeinschaftsunterkunft in eine eigene Wohnung ziehen, doch es fehlt die Tazkira. Heydari war auch mehrmals im afghanischen Generalkonsulat in Grünwald, aber dort ist die Hilfsbereitschaft paschtunischer Beamter für den tadschikischstämmigen Flüchtling begrenzt. Dafür habe ihm das Ausländeramt einen Anwalt in Kabul genannt, den die dortige Botschaft empfehle. 3000 Dollar verlange der, um Papiere zu besorgen. "Ich darf nicht arbeiten, woher kommt das Geld?", fragt Heydari.

Szabina Toth vermisst den Willen zur Mitwirkung ohnehin eher im Ausländeramt. Rosenheim lege die Regeln sehr rigoros aus, während etwa München Arbeitserlaubnisse viel leichter erteile. Die Behörde betont im Bescheid selbst, dass die Entscheidung im Ermessen der Stadt Rosenheim liege - "wobei insbesondere migrationspolitische Erwägungen Eingang finden".

Man sei da keineswegs besonders rigoros, sondern nutze den eigenen Bewertungsspielraum, sagt Stadtsprecher Thomas Bugl. Vorwürfe besonderer Härte würden reihum allen Ausländerämtern gemacht, nun eben dem Rosenheimer. Dabei habe man "in etlichen Fällen Arbeitserlaubnisse erteilt, die andere Behörden möglicherweise ganz anders gesehen hätten".

Szabina Toth versteht das Beharren auf der Tazkira nicht. "Man kann sich auch mit bestätigter Identität radikalisieren. Wie der Identitätsnachweis helfen soll, irgendwas zu verhindern: Ich weiß es nicht", sagt sie. Und jemand ohne Perspektive habe nichts zu verlieren: "Ich hätte große Wut." Davon ist bei Mohammad Heydari nichts zu spüren, er bleibt bei der Hoffnung. Sein Arbeitsvertrag liefe vom 1. August an.

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