Rosenheim:Das Museum mit "Was ist was"-Faktor

Der Lokschuppen in Rosenheim zählt zu den zehn bestbesuchten Ausstellungshäusern in Deutschland. Was auch daran liegt, dass großer Wert auf Unterhaltung gelegt wird. Gerade ist der Bau frisch saniert, zur Wiedereröffnung gibt es eine große Saurier-Schau

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Seine Begeisterung für Saurier gehe auf ein Buch aus der Reihe "Was ist was" zurück, das er als kleiner Junge gelesen habe, sagt Bernd Herkner. Erst vor einigen Wochen ist Herkner von seinem bisherigen Posten als Leiter des Senckenberg-Naturmuseums in Frankfurt am Main als Direktor ans Naturhistorische Museum in Mainz gewechselt. Seine neueste Ausstellung hat Herkner aber für den Lokschuppen in Rosenheim zusammengestellt. Im Vergleich mit den beiden Museen ist der Lokschuppen das "Was ist was"-Buch unter den Ausstellungsorten: Seine Schauen informieren, illustrieren, bilden und unterhalten, ohne Kinder und Erwachsene damit zu überfordern. Und sie sind sehr erfolgreich: Seit Jahren hält sich der Lokschuppen unter den zehn bestbesuchten Ausstellungshäusern in Deutschland. Die Stadt Rosenheim hat ihrem Besuchermagneten gerade eine Sanierung spendiert. Zur Wiedereröffnung setzt der Lokschuppen auf ein Thema, das nicht nur einst den jungen Bernd Herkner begeistert hat: "Saurier - Giganten der Meere".

Bis zu 290 000 Besucher erhofft sich der Geschäftsführer der städtischen Veranstaltungs- und Kongressgesellschaft, Peter Lutz, von der neuen Saurierschau. Das wären noch einmal 10 000 mehr als zur Dinosaurier-Ausstellung von 2009, die sich um landlebende Riesenechsen gedreht hatte. Begonnen hat die Erfolgsgeschichte des Lokschuppes mit der Bajuwaren-Ausstellung im Jahr 1988. Zuvor hatte die Stadt den alten Lokschuppen aus dem 19. Jahrhundert, den sie lange als schlichtes Lager und später teils als Turnhalle genutzt hatte, in die heutige Ausstellungshalle umbauen lassen. Doch als es dort im Herbst 2017 wieder einmal durchs Dach tropfte, musste eine gründlichere Sanierung her. Fast elf Millionen Euro hat die Stadt dafür ausgegeben, gut vier Millionen davon kamen vom Staat und von der Bayerischen Landesstiftung. Dafür wurden nicht nur der Brandschutz, Isolierung und Klimatechnik auf den neuesten Stand gebracht. In einem Anbau, der sich rückwärtig an einen Teil der halbkreisförmigen Backsteinrotunde anschließt, gibt es nun auch Räume für die Museumspädagogik sowie angemessene Garderoben mit Schließfächern und eine großzügigere Sanitäranlage. Neue Flächen für das Bistro sollen noch folgen. Dass der Anbau für all das unterkellert wurde, war im Stadtrat kontrovers diskutiert worden, unter anderem hätten sich die Grünen baulich eine andere Lösung gewünscht. Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer musste ferner Teile der CSU erst noch davon überzeugen, dass überhaupt größere Investitionen in den Lokschuppen nötig waren.

Für Peter Lutz stand das hingegen nie in Frage. Das kommunale Unternehmen finanziere sich zu stolzen 86 Prozent selbst, was Lutz "einen Spitzenwert für einen Kulturbetrieb" nennt. Den Rest decken Sponsoren und die Stadt, die nach Lutz' Rechnung nicht nur imagemäßig, sondern auch finanziell profitiert. Demnach werden die erwarteten 290 000 Gäste der Saurierschau nicht nur Tickets, Kataloge und Souvenirs direkt im Lokschuppen kaufen, sondern in Hotels, Gaststätten und Geschäften in Rosenheim zusätzlich sieben Millionen Euro ausgeben. Alles in allem flössen für jeden Euro, den die Stadt in eine Ausstellung im Lokschuppen steckt, mehr als zehn Euro nach Rosenheim zurück.

Für die aktuelle, bis Ende 2020 angesetzte Ausstellung hat die Stadt rund 3,1 Millionen Euro ausgegeben. Kurator Bernd Herkner und Lokschuppen-Leiter Peter Miesbeck haben dafür unter anderem 22 lebensgroße und bis zu zwölf Meter lange Modelle von Meeressauriern bestellt, die in einem Atelier in Italien nach den neuesten Erkenntnisse der Paläologen und der Biomechaniker hergestellt wurden. Dazu gibt es zahlreiche Abgüsse von Knochen oder ganzen Skeletten sowie rund 150 originale Fossilien, die sich die Rosenheimer von vielen Museen und anderen Institutionen geliehen haben. Hunderte, ja Tausende Schubladen habe man dafür in den verschiedensten naturkundlichen Sammlungen durchgesehen, sagt Kurator Herkner.

Im Lokschuppen wird all das in unterwassergemäßer Dunkelheit präsentiert, auf manchen Modelle schimmern Lichtreflexe wie von der Sonne auf den Wellen. Regelrecht eintauchen sollen die Besucher in ein digitales "Paläoaquarium", eine große gewölbte Leinwand, auf die verschiedenste Lebewesen aus der Kreidezeit projiziert werden. Die Sequenzen wiederholen sich dabei nicht in einer Dauerschleife, sondern werden per Zufallsgenerator wie in neueren Computerspielen immer wieder aufs Neue kombiniert. Kaum ist die vorzeitliche Meeresschildkröte vorbeigeschwommen, folgt eine Sauriermutter samt Nachwuchs oder eine Jagdszene mit furchteinflößenden Beutegreifern. Zähne sind überhaupt viel zu sehen, was nicht nur an all den Skeletten und Fossilien liegt, sondern auch am "Was ist was"-Faktor der ganzen Ausstellung.

Für Wissbegierige zeigt die Schau das Leben in den Meeren im gesamten Erdmittelalter, also aus Trias, Jura und Kreide. Am Beginn stand ein Massensterben vor etwa 252 Millionen Jahren, bei dem im Wasser wohl 90 Prozent aller damaligen Arten verschwanden. So wurden Lebensräume und ökologische Nischen frei, die über viele Jahrmillionen verschiedenste Echsen füllten, die vom Land wieder ins Wasser wanderten. Ein Ende setzte all den Sauriern im Meer wie an Land und in der Luft und dem gesamten Erdmittelalter vor 66 Millionen wohl ein Asteroideneinschlag mit folgender Klimakrise. Der einstige "Was ist was"-Leser Bernd Herkner nennt das Mesozoikum "die spannendste Epoche in der Erdgeschichte überhaupt". Die Ausstellung wolle im Hinblick auf die schwindende Artenvielfalt und den nun menschengemachten Klimawandel auch "gesellschaftlich relevante Themen" aufgreifen. Zu all dem ist ein Katalog erschienen, der als "Familienbuch" mit eingestreuten Rätseln und Malbildern kindgerecht gestaltet ist und künftige Paläontologen inspirieren könnte. Als "Was ist was"-Band wäre er mit 120 Seiten zu dick.

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