Rollstuhlfahrer will in Politik:Der Kämpfer

Rollstuhlfahrer will in Politik: Benedikt Lika ist Dirigent des Augsburger Konzertfestivals "Roll and Walk". Vor dem Konzert lässt er sich publikumswirksam aufs Podium hieven.

Benedikt Lika ist Dirigent des Augsburger Konzertfestivals "Roll and Walk". Vor dem Konzert lässt er sich publikumswirksam aufs Podium hieven. 

(Foto: Stephan Lutz/oH)

Beim Bewerbungsgespräch wurde er gefragt: "Wie machen Sie es mit dem Stuhlgang?" Benedikt Lika spürt täglich, dass es mit der Inklusion nicht weit her ist - der Rollstuhlfahrer findet keinen Job, für die Promotion wird ihm ein Zuschuss verwehrt. Nun will er auf politischem Weg etwas verändern - und kandidiert für den Augsburger Stadtrat.

Von Stefan Mayr

Den Ministerpräsidenten Horst Seehofer dermaßen zu begeistern, dass er kurzzeitig sprachlos ist, das schafft nicht jeder. Benedikt Lika ist das neulich gelungen beim Bezirksparteitag der CSU Augsburg. Der 31-Jährige fuhr mit seinem elektrischen Rollstuhl seelenruhig vors Podium, packte seinen Zettel aus und referierte in einer gelassenen Eloquenz, die nicht jeder Landtagsabgeordnete besitzt, über die Tätigkeiten der Jungen Union in dem Bezirk. Der Parteichef saß mit großen Augen da und suchte nach der Veranstaltung das Gespräch mit dem kleinwüchsigen Mann, der wegen des Morquio-Syndroms auf den Rollstuhl angewiesen ist.

Es war nicht Likas erster Auftritt, mit dem er nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Benedikt Lika kämpft schon seit längerem auf gleich mehreren Ebenen für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung: als Dirigent und Konzertveranstalter, als Musikwissenschaftler und neuerdings auch als Politiker. Zudem klagt er derzeit in eigener Sache gegen den Bezirk Schwaben, weil dieser ihm eine Eingliederungshilfe für sein Promotionsstudium verweigert.

Seit drei Jahren hat Lika ein zusätzliches Handicap: Seine Lungen können den Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgen. Seitdem braucht er ein Gerät, das über Leitungen Sauerstoff in seine Nasenlöcher pumpt. Man bemerkt das erst auf den zweiten Blick, da Lika eine Brille trägt, die diese Leitungen gut verhüllt. "Das ist eine Sonderanfertigung", berichtet er, "war meine Idee." Zuvor habe er ein anderes Gestell gehabt. "Das war aber eher das Modell Steuerfahnder", sagt er, "nicht sehr schick."

Mann des klaren Wortes

Benedikt Lika ist ein gut gelaunter Mann der Tat, aber auch des klaren Wortes. "Ich muss auch Kritik an den behinderten Mitmenschen üben", sagt er, "wenn man sich ausschließlich in Selbsthilfegruppen engagiert, aber im politischen Alltag nicht präsent ist und sich nicht einmischt, wird es nie eine Gleichberechtigung geben." Deshalb, und weil Deutschland bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention "hinten dran" sei, hat er sich auf den Weg durch die Instanzen gemacht, um sein Leben und das anderer Menschen mit Behinderung zu verbessern.

Dabei setzt er sein körperliches Handicap manchmal sogar bewusst ein. "Wenn ich ein Konzert dirigiere, lasse ich mich bewusst von zwei Helfern aufs Podest heben", erzählt er. Dieser Auftritt erzeugt eine Stille im Publikum wie bei keinem anderen Maestro. "Da sind alle erst einmal perplex", berichtet er augenzwinkernd, "und eineinhalb Stunden später grinsen alle und freuen sich riesig."

Vor sechs Jahren hat Lika das "Roll and Walk-Festivalorchester" ins Leben gerufen. Seitdem organisiert und dirigiert er regelmäßig Konzerte, bei denen Behinderte freien Eintritt haben und sich keine Gedanken über die Barrierefreiheit der Halle machen müssen. "Damit wollen wir das kulturelle Leben bereichern und Menschen mit Behinderung den Zugang zu kulturellen Veranstaltungen öffnen", sagt Lika. Er bezeichnet die Musik als "Brückenbauer", die auch ihm viel geholfen habe: "Wenn ich den Taktstock hebe, ist der Rollstuhl irrelevant. Da verliert die Behinderung völlig ihre Bedeutung."

Immer wieder Rückschläge

Benedikt Lika ist mit der Musik aufgewachsen. Sein Vater war freischaffender Sänger, im Wohnzimmer stehen ein Flügel und ein Klavier. Lika hat ein Magister-Studium der Musikwissenschaft abgeschlossen und trat schon als Paukist und Sänger auf. "Durch die Musik habe ich gelernt, mich hinzustellen", erzählt er. "Ich kann mich vor Menschen produzieren, ohne Angst." An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht. Trotz aller Rückschläge.

Beim Bayerischen Rundfunk bewarb er sich einmal für die Programmheft-Redaktion. Dabei wurde er gefragt: "Wie machen Sie es mit dem täglichen Stuhlgang?" Das Gespräch war beendet. An einem Theaterhaus hospitierte er als Dramaturg. "Solange ich kostenlos gearbeitet habe, hat mich keiner gefragt, wie ich das mit der Toilette schaffe", berichtet er. Aber im Vorstellungsgespräch für eine Festanstellung hätten solche Dinge plötzlich eine Rolle gespielt. Lika: "Und dann sagt sogar die Behindertenbeauftragte, dass sie sich nicht vorstellen kann, dass ich die Tätigkeit ausfüllen kann."

Er hat die Suche nach einer Arbeitsstelle vorübergehend aufgegeben. "Viele Mitbewerber haben einen Doktortitel und sind eben nicht behindert", sagt er. Doch weil er es gewohnt ist, sich durchzubeißen, will er nun auch promovieren. "Musik und Behinderung" soll das Thema lauten. Doch die Arbeit "liegt derzeit leider brach", wie er sagt. Grund: Im Januar 2012 hatte er beim Bezirk Schwaben einen Antrag auf Bezahlung eines Studien-Assistenten gestellt. Er musste neun Monate lang warten, dann kam der Ablehnungsbescheid. "Ich brauche aber Hilfe, um Bücher aus Archiven und Bibliotheken zu holen, oder zum Kopieren", sagt Lika. Der Bezirk argumentiert, mit dem Magister-Titel sei die Ausbildung abgeschlossen und eine "ausreichende Lebensgrundlage" geschaffen. Lika betont: "Ich habe ohne Doktortitel auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance."

Die Entscheidung steht noch aus

Während seines bisherigen Studiums war Lika vom Bezirk unterstützt worden. Allerdings nur, bis er an der TV-Show "Wer wird Millionär?" teilnahm und 16.000 Euro gewann. Eine Woche später wurde ihm die staatliche Unterstützung gekürzt. Er hat es weggesteckt - und den Gewinn, wie vom Bezirk vorgesehen, in die täglichen Taxifahrten gesteckt. Nun hat sein Anwalt Klage gegen die Ablehnung eines Assistenten eingereicht. Die Entscheidung des Sozialgerichtes steht noch aus.

Für den Fall, dass er mit seinem Begehr an den Gesetzen scheitert, arbeitet er bereits an einem weiteren Weg, seine Interessen durchzusetzen: Er ist 2011 der Jungen Union beigetreten - nicht zuletzt, um mittelfristig bei der Gesetzgebung mitzureden. Inzwischen ist er JU-Kreisvorsitzender und im März wird er auf der CSU-Liste für den Stadtrat kandidieren. "Ich falle auf und habe einen gewissen Wiedererkennungswert", sagt er, "das schadet nicht." Auch die Vorsitzende der JU Bayern, Katrin Albsteiger, ist sehr angetan von Likas Wirken. "Er ist bis in die Landesebene der JU aktiv und hat bedeutende Impulse für das Thema Soziale Inklusion angestoßen."

Als Erfolg verbucht es Lika auch, dass einige seiner Forderungen zur Inklusion ins Wahlprogramm der CDU/CSU aufgenommen wurde. "Da bin ich mehr als zufrieden", schmunzelt er. "Jetzt hoffe ich bloß, dass das auch aktiv angegangen wird." Dann lacht er laut und sagt selbstbewusst: "Da werde ich hinterher sein."

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