Geschichte und Tourismus:Urlauben wie einst die Römer am Chiemsee

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Das römische Bedaium bildet auch heute als Seebruck das Zentrum der Römerregion Chiemsee. Kaiser Claudius, dessen nachgebildeter Porträtkopf vor dem Seebrucker Museum steht, hat die Provinz Noricum einst neu geordnet. (Foto: Matthias Köpf)

Auf ihren Landgütern im Chiemgau ließen es sich die römischen Ratsherren aus dem heutigen Salzburg gut gehen. 2000 Jahre später haben sich elf Gemeinden zur „Römerregion Chiemsee“ zusammengeschlossen. Urlauber können dort in alten Zeiten schwelgen.

Von Matthias Köpf, Seebruck

Vor ungefähr zwei Jahrtausenden muss der Chiemsee eine Art Tegernsee gewesen sein. Nicht für irgendwelche echten oder vermeintlichen Münchner natürlich, denn von einem Ort namens München war da noch längst keine Rede. An ihren luxuriösen Zweitwohnsitzen am Chiemsee ließen es sich damals stattdessen die Großkopferten aus Iuvavum gut gehen, dem heutigen Salzburg, dem Verwaltungszentrum für das nordwestliche Noricum.

So eine villa rustica, ein Landhaus, gehörte eben einfach dazu für einen römischen Ratsherren. Die Landgüter thronten auf den Moränenwällen, die während der Eiszeit von den Gletschern nördlich um den Chiemsee herum aufgeschoben worden waren. Nirgendwo sonst im Alpenvorland sind die Gutshöfe so zahlreich und so üppig ausgestaltet gewesen wie hier in diesem Landstrich, der sich 2000 Jahre später zur „Römerregion Chiemsee“ erklärt hat, um dieses reiche Erbe Ausflüglern und Urlaubern zu präsentieren.

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Die alten Römer selbst hatten nur in der Kaiserzeit klar definierte Regionen, und auch das bloß im heutigen Italien. Der Rest waren Provinzen, in dem Fall eben Noricum, das weite Teile des heutigen Österreich umfasste und im Westen bis an den Inn reichte. Das Imperium hatte sich das gleichnamige keltische Königreich erst gewogen gemacht und dann gefügig und es sich schließlich einverleibt.

Rom und seine Händler und Feldherren legten großen Wert auf die Bodenschätze im Alpenraum, besonders auf das ferrum noricum –ein durch seinen hohen Mangan-Anteil besonders festes, besonders schärfbares und damit besonders waffenfähiges Eisen. Es gleiche fast dem heutigen Stahl, sagt Bernd Steidl, Römerexperte der Archäologischen Staatssammlung in München. Gewonnen wurde dieses norische Eisen etwa im heutigen Kärnten – aber womöglich auch am Teisenberg in den Chiemgauer Alpen. Steidl hält das zumindest für wahrscheinlich, der Nachweis stehe jedoch noch aus.

Das den Römern so kriegswichtige Noricum musste selbst nicht groß erobert und unterworfen werden, ganz im Gegensatz zur wesentlich unruhigeren Nachbarprovinz Raetien westlich des Inns. Die dortigen Römerstädte wie Augsburg und Kempten und auch das heutige Regensburg an der Nordgrenze des Reichs waren deutlich stärker militärisch geprägt als die beschauliche und lange Zeit friedliche Gegend am Chiemsee. Die Römerstraße von Salzburg nach Augsburg führte sinnvollerweise nördlich am See vorbei und nicht durch die Moore im Süden, wo dann während der Nazizeit die A 8 gebaut wurde.

In Grabenstätt darf ein römischer Mühlstein immer noch benutzt werden. (Foto: Gemeinde Grabenstätt)
Das Mosaik im Grabenstätter Museum besteht aus Originalsteinen, die neu gelegt wurden. (Foto: Gemeinde Grabenstätt)

Dort, wo die Römerstraße über eine Brücke die Alz überquerte, lag der Ort Bedaium, dessen Name auf die keltische Gottheit Bedaius zurückgeht. Im heutigen Seebruck steht die Pfarrkirche St. Thomas an genau der Stelle über dem Chiemsee, an der sich einst in der Römerzeit ein viel größerer Tempel aus wuchtigen Kalkblöcken erhob. Jedes Jahr am 18. Oktober erschienen die zwei amtierenden Bürgermeister von Iuvavum hier in Seebruck, um dem Gott zu opfern. Auch heute ist Seebruck das Zentrum der Römerregion Chiemsee.

Vor St. Thomas haben die Seebrucker einen nachgebildeten Porträtkopf des Kaisers Claudius aufgestellt. Gleich daneben liegt das familienfreundliche Römermuseum, das mehr als 30 Jahre privat betrieben und 2022 von den Gemeinde Seeon-Seebruck übernommen wurde. Auf 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche gibt es dort rund 500 Exponate, sagt Museumsleiter Matthias Ziereis, der den Besuchern die Römerzeit auch in Gestalt des Legionärs Quintus Tiberius Octavius in Helm und Kettenhemd nahebringt.

Die Atmosphäre ist privat, nur 8500 Menschen waren im vergangenen Jahr in dem Museum, das den Winter über nur sonntags geöffnet hat. In Seebruck haben sich 2000 Jahre alte Holzfässer im Seeton erhalten oder ein antikes Nuckelfläschchen für Säuglinge, das an eine Schnabeltasse erinnert. Anlaufpunkte wie das Rathaus, die Arztpraxis, das Strandbad und natürlich das Römermuseum sind in Seebruck auch auf Lateinisch ausgeschildert.

Albert Multerer hat die meisten Exponate des kleinen Römermuseums in Grabenstätt privat zusammengetragen. (Foto: Gemeinde Grabenstätt)

In Grabenstätt gibt es ein zweites kleines Römermuseum, dass auf der privaten Sammlung von Albert Multerer beruht. Zu sehen sind dort unter anderem ein Bodenmosaik, das aus Original-Steinen neu zu einem Original-Motiv gelegt wurde, sowie ein römischer Mühlstein, der dort sogar benutzt werden darf. Prachtstück des Museums ist eine Kopie der ältesten exakt datierbaren Urkunde Bayerns, des 1842 nahe Vachendorf gefundenen „Militärdiploms von Geiselprechting“. Die Urkunde aus Bronze, von der nur eine Hälfte erhalten ist, belegt die ehrenvolle Entlassung eines Soldaten namens Cattaus im Jahr 64 nach Christus. Nach seinen 25 Jahren Militärdienst erhielt Cattaus damit von Kaiser Nero auch das römische Bürgerrecht und das Recht, seine Frau Sabina in aller Form zu heiraten, die Familie ließ sich im heutigen Chiemgau nieder.

Einen großen Gutshof wie den auf einem langgestreckten Hügel beim nahen Erlstätt wird der Veteran Cattaus allerdings kaum bewohnt haben. Die heute teils in Grabenstätt zu sehende Ausstattung war hochwertig, dazu gehörte fließendes Wasser durch eine Leitung aus Blei. Zu sehen ist der Gutshof genau wie praktisch alle der gut zwei Dutzend anderen Anwesen in der Region nur in Umrissen auf archäologischen Luftbildern oder auf Abbildungen geophysikalischer Messungen. Ausgegraben wurde von all der Pracht nur sehr wenig. Von manchen Anwesen wie dem bei Erlstätt gibt es ein Bild auf einer transparenten Scheibe, durch die sich der Standort im Gelände anvisieren lässt.

Bei Erlstätt lässt sich ein römischer Gutshof als Abbild im Gelände anvisieren. (Foto: Gemeinde Grabenstätt)

Trotzdem finden sich überall rund um den Chiemsee Spuren der Römerzeit – und seien es einzelne Grabmale oder Meilensteine oder überhaupt nur neuzeitliche Hinweistafeln. Elf Gemeinden haben sich 2018 mit finanzieller Unterstützung von der EU zur Römerregion Chiemsee zusammengetan, angeregt vom damaligen Bürgermeister Philipp Bernhofer und der Historikerin Annette Marquard-Mois in Bernau sowie der Archäologin Andrea Krammer. Schirmherr des Projekts ist der ehemalige Direktor der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Siegmar von Schnurbein. Krammer, Schnurbein und Bernd Steidl von der Archäologischen Staatssammlung haben soeben einen umfassenden, 160 Seiten starken und auch für Laien leicht verständlichen archäologischen Führer durch die „Römerregion Chiemsee“ herausgegeben. Er ist im Fachverlag Likias erschienen und kostet 16 Euro.

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