Ritterturnier in Kaltenberg:"Papa, warum purzelt der Ritter?"

Auf zum größten Ritterturnier der Welt. Auf nach Kaltenberg. Mit einer Fünfjährigen. Besuch bei den Ritters des Mittelalters. In echt. In echt?

Lars Langenau

So ganz sicher ist man sich ja nie, was man Kindern zumuten kann, wenn sie noch klein sind. Doch die Begeisterungsfähigkeit von Fünfjährigen sollte nur wenig bis gar nicht gestoppt werden. Auf also zum Ritterturnier nach Kaltenberg, rund 45 Autominuten von München entfernt. Dem größten seiner Art. Weltweit.

31. Kaltenberger Ritterturnier

Beeindruckende Lanzenkämpfe mit ebenso beeindruckenden zersplitternden Holzlanzen begeistern Vater und Tochter beim Ritterturnier in Kaltenberg.

(Foto: ddp)

Die Vorfreude der Tochter währt eine Woche: "Papa, wie oft muss ich noch schlafen bis zu den Ritters?" Es scheint, als balle sich hier in dem Erlebnis eines Ritterturniers Geburtstag und Weihnachten. Dann endlich angekommen, noch am Parkplatz, die bange Frage: "Was ist eigentlich ein Turnier?" Also irgendwas mit Rittern hatte dieser junge Mensch also verstanden, der Papa aber eigentlich auch nicht mehr, aber immerhin hat er die Erklärung auf Lager: Ein Wettkampf, so als wenn du mit deinen Freunden um die Wette rennst. "Ach so."

Umso überraschter waren wir, als wir schon vor den Toren der niedlichen Burg eine Zeltstadt sehen - mitten auf einem riesigen Parkplatz. Dort macht sich an diesem Freitag allerlei Gesindel burg- und ritterfertig. Mit Zehntausenden Besuchern stürmen wir das Schloss. Und stehen mitten in einer Hobbit-liken Umgebung von Mittelerde, oder man könnte auch sagen: des Mittelalters. Erst mal ein Rundgang. Gaukler, Quacksalber, Gänsemägde, Buftata-Musikanten kreuzen unseren Weg. Hier und da werden uns abenteuerliche Getränke und Speisen angeboten wie Hirschspieße und Holunderblüten-Federweißer. Wir sind skeptisch, aber begeisterungsbereit.

Die jungfräuliche Maid erfreut sich am keuschen Tanz anderer Jungfrauen, erschrickt vor Teufeln, Dämonen, Feuerspuckern und einem Bettler, der einen Totenschädel in der Hand trägt. Wir entdecken Nonnen, eine Geißelprozession, drei Kamele nebst Bauchtänzerinnen, eine Hexe nebst Albinoschlange und einen Halbnackten, der die Frauen mit einem zauberhaften Lächeln falscher Zahnreihen betört: "Junge Frau, die Herzen werden uns schon zusammenführen."

Das Kind ist begeistert, der Vater auch. Die Komik von Monthy Python hier in Oberbayern zu entdecken, das hatte auch er nicht erwartet. Viel eher ein buntes Sammelsurium verrückter Mittelalterfreunde, die bestenfalls doch bitte nicht noch deutschtümelnd sein sollten. Davon kann aber keine Rede sein, alles wirkt freudig, lebendig und doch (beabsichtigt) ziemlich aus der Zeit gefallen: Es riecht nach Holzkohle, Schafdung, Pferdemist und aufgewirbeltem Sand.

Theater als kollektive Verabredung

Es ist heiß, weit mehr als 30 Grad und wir braten in der Sonne, um am Nachmittag dem Umzug der mehr als 1000 Beteiligten dieses Spektakels beizuwohnen. Mutig stellt sich das Kind in die erste Reihe und wird, wie könnte es anders sein, von einem Mann im Kettenhemd aus der Gefolgschaft des Schwarzen Ritters fast zu Tode erschreckt. Er geht auf die Kleine zu, schaut grimmig und ruft dann laut "Boah". Ein angeschlagener Achtzigjähriger wäre auf der Stelle tot umgekippt. Das Kind hat nur geweint. Böser Ritter.

"Papa, warum hat mich der Ritter erschreckt?", fragt die Kleine unschuldig, als sie wieder sprechen kann. Doch die Antwort, "der wollte nur Spaß machen", wird lediglich mit einem skeptischen Blick der gerade getrockneten Augen beantwortet. "Das finde ich ganz schön blöd", sagt die Tochter und baut von nun an einen Sicherheitsabstand von mindestens zehn Metern zu Männern in Kettenhemden ein.

Ein Kindheitstraum des Urenkels

Wir vertreiben uns den Nachmittag mit Schmierenkomödianten, Märchenerzählern, Jongleuren und dem Kiepenkasper, einem mittelalterlichen Puppenspieler, der mit der Macht der Vorstellung das vermag, was auch das Sandmännchen kann: Das Zaubern von Phantasie: "Seid ihr alle bereit?", ruft er wie bei jedem Kasperletheater und sagt dann: "Das ist gut, ich bin es noch nicht." Das ist Komik. Theater als kollektive Verabredung. Wie die ganze Veranstaltung hier. In der Bruthitze laufen wir uns auf dem ziemlich großen Gelände die Hacken ab, und helfen tatkräftig die Cola-, Limo- und Biervorräte des Lagers zu vernichten. Wir beobachten Landvolk aus Böhmen, Ungarn, Frankreich und der Umgebung von Landsberg, machen einen großen Bogen um die 1. Münchner Barbaren, die Hooligans zum Verwechseln ähnlich sehen.

Wir beobachten allerhand langhaarige Gesellen wie Korbflechter, Barbiere, Buchdrucker. Sehen Schmiede bei dem Härten eines Schwertes, Gerber bei der Verrichtung ihres stinkenden Tagewerks, Scharfrichter nur nach ihrer getanen Arbeit und pfeifen uns später - für diese Veranstaltung doch recht normale - Bratwürstchen rein.

"Papa, die Ritter finde ich gut", sagt das Kind. "Die Ritter?" fragt der Vater ungläubig, "die haben dich doch fast zu Tode erschreckt". "Mensch Papa, das war doch nur ein Ritter." Das ist gelebte Toleranz.

"Papa, weißt du was komisch ist? Dass die Ritters keine Frauen haben." Ein unmissverständliches "Hä?" dringt einen Meter tiefer zu dem Kind durch. "Na, weil die doch unten arbeiten müssen." Noch mal: "Hä?" "Ja, unten in der Burg." "Aha." Da versucht man dem Kind die Gleichberechtigung von Frau und Mann vorzuleben und dann sabotiert das so ein Mittelalter-Spektakel.

Besser als Blitz und Hagel

Das Treiben auf dem Marktplatz, die Handwerker, die vielseitigen Essens- und Getränkestände - das ist alles nur Begleitmusik für das Rittertunier am Abend. ("Papa, die Ritters brauchen Pferde, weil Pferde schneller sind als Ponys.") Hiermit erfüllte sich vor 30 Jahren Prinz Luitpold von Bayern, der Urenkel des letzten bayerischen Königs Ludwig III. einen Kindheitstraum, der einst mit 5000 Besuchern auf der Wiese begann und heute über eine großartige Wettkampfarena für Zehntausende Gäste verfügt. Der wohl einzige anwesende echte Prinz freut sich über das Wetter: "Besser gebraten in der Rüstung als Blitz und Hagel."

Eingebettet ist der Lanzenkampf in diesem Jahr in die Legende von der Artus-Trilogie. Im ersten Teil geht es diesmal um die ziemlich verworrene Geschichte der Ritter der Tafelrunde, des Zauberschwertes Excalibur, der Heirat des Königs mit Guinevra und dem Putschversuch der Zauberin Morgana und ihres Sohnes Mordred, des Schwarzen Ritters. Da darf natürlich Merlin nicht fehlen, der von B3-Radiomoderator Roman Roell verkörpert wird und ohne Werbeunterbrechung gekonnt, wenn auch ein wenig gekünstelt, durch das zweistündige Geschehen führt. Merlin beziehungsweise Roell sieht aus wie Gandalf der Graue aus Herr der Ringe. Aber das ist nicht schlimm, denn die mythische Ästhetik eines Ausbruchs aus der Plastikwelt und der banalisierten Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß ist beiden Werken eigen.

Zu viele Muckis

Und wir modernen Menschen sind ja tolerant, selbst bei den schlimmsten Klischees, die Merlin/Roell verbreitet. Auch das Kind und das inzwischen in der Arena versammelte Publikum stören seine Phrasen nicht. Das Volk vergnügt sich mit einer Laola, lässt sich von den Jubelschreien der 1000 Mitwirkenden anstecken ("Jubel! Jubel! Jubel!"). Und die Tochter? Die bewundert die Muskeln des "stärksten Mannes der Welt". "Willst du so einen später mal als Freund haben?", fragt der Vater ein wenig besorgt mit Blick auf den Bodybuilder. "Nee, der hat mir zu viele Muckis, deshalb finde ich den nicht toll, aber ganz gut." Aha.

Wenden wir uns also den Hauptprotagonisten zu, dem Guten und dem Bösen. Auf der einen Seite König Artus, der von Ludovic Gortva dargestellt wird, und seine Königin Guinevra (Web-TV-Mimin Emmanuelle Collinet). Einen Teil der Dialoge sprechen die Darsteller in diesem Jahr zum ersten Mal selbst, so dass es bei den Playback-Einlagen zwischen der kitschig-pathetischen Musik nur zu kurzen Fehlern kommt.

Obwohl die Königin mit einem geschmacklosen Wagen und einem Herz als Rückenlehne in die Arena gefahren kommt, hat sie das Herz der Tochter schon erobert. "Die ist schön", sagt sie. Guinevra ist langhaarig und blond. Also gut.

Diametral entgegengesetzt seiner dürftigen Kampfkunst wird auch der "Ritter aus unseren Landen" Berthold von Andechs-Meranien (Lionel Dufourcq) beklatscht. Auf der anderen Seite der Macht: der Schwarze Ritter Mordred (Frederic Laforet) und seine machthungrige Mama, die Zauberin Ute Niffka, äh nee, andersrum: Morgana ("Papa, warum lacht die immer so irre?"). Beide sind schwarz gekleidet und haben schwarze Haare. Ergo: böse. Die Story ist pures Gedöns um Liebelei und Kämpferei. Sparen wir uns also Einzelheiten.

"Papa, kann ein Ritter eigentlich eine Frau haben?"

Die Tochter fragt plötzlich: "Papa, kann ein Ritter eigentlich eine Frau haben?" "Ja, warum?" "Weil die Frau doch immer Angst haben muss." Tiefenpsychologisch ein interessanter Gedanke. Jedenfalls gibt es tatsächlich Herzschmerz ("Papa, warum reitet der König jetzt aus dem Krieg zurück?" - "Na, wegen der Königin" - "Ach so"), schöne Kostüme und noch schönere Pferde.

Zudem bekommen wir beeindruckende Lanzenkämpfe mit ebenso beeindruckenden zersplitternden Holzlanzen zu sehen, erleben audiovisuelle Überraschungen ("Papa, da bekomme ich Ohrenschmerzen") und spektakuläre Stunts ("Was machen die da?" "Die reiten Turnier, deshalb sind wir doch hier" "Und? Hören die gar nicht mehr auf damit?" - "Warum purzelt der Ritter denn die ganze Zeit, macht das Spaß?" - "Schau mal den Ritter da, der kann nicht mehr" "Obwohl der noch muss" - "Der Hut ist kaputtgegangen" "Das ist kein Hut, das ist ein Helm" "Ach ja, ein Helm" - "Sind die Ritters jetzt in echt tot?" - "Wollen die Bösewichte die Königin jetzt in echt verbrennen?").

"Das war doch nur Spaß"

Die blondgelockte Tochter ist kurze Zeit verunsichert: Gewinnen etwa die Schwarzhaarigen? ("Papa, warum lacht die Zauberin die ganze Zeit?") Sorgend um das Seelenheil fragt der Vater zurück: "Wer soll gewinnen?" Und überzeugt schallt es mit Inbrunst zurück: "Ich finde die Lieben, und du?" Und tatsächlich wird der Putsch des Schwarzen Ritters niedergeschlagen ("Papa, was heißt 'die Feinde zerschmettern'?"), die Welt und der Abend sind gerettet, der Bösewicht in eine begehbare Öffnung des Bodens in der Arena verfrachtet ("Papa, jetzt sind die anderen aber auch mitgegangen. Sind die jetzt alle im Gefängnis?"). Und immerhin zeigt das Kind nach dem Gemetzel und frauenfeindlichen Dialogen noch Mitgefühl: "Die Zauberin ist jetzt aber traurig."

König Artus ist jetzt unser König und wir sein Fußvolk. "Das ist jetzt unser Chef", sagt der Vater in die Nacht mit einem Augenzwinkern. Und die Tochter ("Oh, jetzt ist's aber schon dunkel") fragt: "In echt? Ach so. Okay." So schnell kann man seinem Kind republikanische Tugenden von Gleichheit austreiben, die es eigentlich mit der Muttermilch aufgesogen und in der Kita verfestigt haben sollte. Wir schauen uns, mit Fingern in den Ohren, noch das Feuerwerk an und treten dann todmüde nach diesem Ausflug ins Mittelalter die Heimreise ins Jetzt an. Als der Vater die Tochter auf der Rückfahrt im Auto fragt, ob sie nun wirklich glaube, dass Artus jetzt unser König sei, auch in München, sagt sie: "Das war doch nur Spaß." Und schläft glücklich ein.

Das Ritterturnier auf Schloss Kaltenberg geht noch bis 25. Juli. Jeden Freitag um 23 Uhr Feuerwerk. Eintrittspreise zwischen 19,90 und 55,10 Euro. Kinderermäßigungen. www.rittertunier.de

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