Rettungseinsätze:Aus dem Weg, Gaffer!

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Wenn es auf der Autobahn kracht, bildet sich meist ein Stau in der Gegenrichtung - weil die Leute glotzen. (Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Die Schaulust der Gaffer ist längst auch Thema im Landtag.
  • Die Freien Wähler etwa forderten die Staatsregierung auf, Notärzten die gesetzliche Befugnis zu erteilen, Schaulustige vom Platz zu verweisen.
  • Unklar bleibt aber, wie sie diese durchsetzen sollen.
  • "Unsere Notärzte können ja keine Zwangsmittel ergreifen, so wie das etwa unseren Polizeibeamten möglich ist", sagte Florian Herrmann (CSU).

Von Dietrich Mittler, München

Es sind Szenen, die auf Bayerns Autobahnen schon zum Alltag gehören: Nach einem Unfall staut sich auch auf der Gegenspur der Verkehr auf einer Länge von weit mehr als zehn Kilometern. So jüngst geschehen auf der A 3 auf der Höhe von Höchstadt - nach einem Lkw-Unfall. Verursacht wurde dieser Stau durch die Schaulust zahlreicher Autofahrer.

Angewidert stellten die Polizeibeamten am Einsatzort fest, dass etliche Leute auf der Gegenfahrbahn Smartphones in die Höhe hielten, um das Geschehen zu filmen. Der Miesbacher Hausarzt Florian Meier - er ist Stellvertretender Landesarzt des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) - kennt solche Situationen. "Die Leute fahren einem wirklich fast über die Füße, um da einen guten Blick zu haben", sagt er. Und das sei auf Bayerns Straßen kein Einzelfall, sondern "etwas, was uns tagtäglich begegnet".

Die Schaulust der Gaffer - nach Angaben der Polizei behinderte sie gar während der Hochwasserkatastrophe in Simbach den Einsatz der Retter - ist längst auch Thema im Landtag. Am Mittwoch kamen zwei entsprechende Anträge im Kommunalausschuss zur Abstimmung. Die Freien Wähler etwa forderten die Staatsregierung auf, Notärzten die gesetzliche Befugnis zu erteilen, Schaulustige vom Platz zu verweisen.

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Hunderte Schaulustige filmen in Hagen nach einem Verkehrsunfall ein schwer verletztes Mädchen. Die Polizei reagiert mit einem ungewöhnlichen, einem wütenden Appell.

In Rheinland-Pfalz werde das so gehandhabt. "Da spricht zunächst einiges dafür, denn es ist einfach unerträglich, wenn da jemand am Einsatzort Menschen helfen will und dann durch Schaulustige behindert wird", sagt auch der Ausschussvorsitzende Florian Herrmann (CSU). Dennoch wurde der Antrag der Freien Wähler mit der CSU-Mehrheit abgelehnt.

Nicht mehr als symbolische Gesetzgebung

Alle Fraktionen einigten sich dann aber einstimmig auf den Prüf-Antrag der CSU. Die Staatsregierung, so dessen Kern, solle klären, ob solch eine Befugnis für die Notärzte überhaupt Sinn mache. "Man muss das zu Ende denken", sagt Herrmann. Was helfe denn einem Notarzt die gesetzliche Befugnis, jemanden wegzuschicken, wenn er sie im Ende gar nicht durchsetzen könne?

"Unsere Notärzte können ja keine Zwangsmittel ergreifen, so wie das etwa unseren Polizeibeamten möglich ist", betont Herrmann. In dieser Hinsicht erweise sich der Antrag der Freien Wähler einfach als Schnellschuss. "Eine symbolische Gesetzgebung hilft hier nicht weiter", sagte er.

Das kann Notarzt Florian Meier als Mann der Praxis nur bestätigen. "Selbst wenn wir Ärzte das Recht hätten, einen Platzverweis auszusprechen, wir könnten es schlicht nicht durchsetzen. Was soll ich denn machen, wenn die Schaulustigen einfach stehen bleiben?" Die Zeit, die er mit diesen Gaffern dann vielleicht diskutieren müsste, die fehlte schlicht für den Patienten, der dringender Hilfe bedürfe.

Viel sinnvoller sei da doch die jetzige Bundesratsinitiative, nach welcher das Gaffen und die Behinderung von Rettungskräften als Straftatbestand geahndet werden sollen. "Nur so hat man wirklich eine Chance", sagt Meier, und er weiß hier das BRK hinter sich. "Alles, was gegen diese Gaffer unternommen wird, hat unsere volle Zustimmung", sagt BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk. "Immer wieder werden unsere Rettungskräfte durch unverantwortliche Gaffer an ihrer Arbeit behindert. Wir brauchen keine Leute, die ihre Handykameras auf Unfallopfer richten und Rettungskräften den Weg versperren."

Vor einigen Wochen erst war Florian Meier bei einem seiner Notarzt-Einsätze nahe dem Schliersee "von einer Traube von Schaulustigen umringt", als er einen verletzten Radler versorgen musste, der auf einem Schotterweg gestürzt war. Natürlich, so betont Meier, sage er den Leuten, sie sollten jetzt einfach mal zur Seite gehen und "uns unsere Arbeit machen lassen". Einige hielten sich daran, andere eben nicht. "Da können Sie sagen, was Sie wollen - das ist denen völlig egal", sagt Meier.

Eines seiner schlimmsten Erlebnisse mit umstehenden Menschen liegt indes schon einige Jahre zurück, und dabei handelte es sich nicht um Gaffer im klassischen Sinne. "Es war ein Frontalzusammenstoß auf einer Landstraße, bei dem einer der Fahrer türkischer Abstammung war", erinnert sich Meier. In kürzester Zeit habe sich das "wie ein Lauffeuer herumgesprochen, und wir standen 50 Leuten gegenüber, die da alle irgendwie mitmischen, mitmachen wollten".

Interkulturelle Erfahrungen dieser Art hat auch Alexander Faith, Rettungsdienstleiter im BRK-Kreisverband Günzburg, hinter sich. Kürzlich wurde in der schwäbischen Stadt ein neunjähriger Bub syrischer Abstammung von einem Bus angefahren und verletzt. "Im Nu standen an die 100 Menschen aus der nahegelegenen Asylbewerberunterkunft um das Rettungsfahrzeug herum", erzählt Faith.

Ein Mann, vermutlich der Vater des Buben, habe sich "laut schreiend" Zutritt verschaffen wollen, was letztlich nur mit Hilfe der Polizei habe verhindert werden können. "Zu einem deutschen Vater hätte ich ja noch sagen können, dass wir alles für sein Kind tun", sagt Faith. Aber hier sei eine Verständigung einfach nicht möglich gewesen.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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