Resonanzstudien:Ein Verstoß gegen die Verfassung

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Der Verfassungsgerichtshof rügt Seehofers Umgang mit den Resonanzstudien als Missachtung der Rechte des Parlaments. Die Staatskanzlei interpretiert das Urteil elegant.

Frank Müller

Es ist 10 Uhr, als SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher entspannt vor dem Münchner Justizpalast steht. Er hat einen Schwung kopierter Seiten aus den umstrittenen Resonanzstudien dabei, blättert sie noch einmal durch und schüttelt den Kopf wie am ersten Tag. "Das ist immer nur CSU, CSU, CSU", sagt er in einer Mischung aus Empörung und Vorfreude.

Die bayerische Staatskanzlei muss ihre umstrittenen sogenannten Resonanzstudien grundsätzlich auf Anfrage eines Landtagsabgeordneten herausgeben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine halbe Stunde später kann sich Rinderspacher dann richtig freuen: Der Verfassungsgerichtshof gibt der SPD im Kampf gegen die umstrittenen Staatskanzlei-Studien auf ganzer Linie recht. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) dagegen bescheinigen die Richter, dass seine Staatskanzlei gegen die Verfassung verstoßen und die Abgeordnetenrechte verletzt hat.

In seiner Entscheidungsbegründung hält sich Gerichtspräsident Karl Huber nicht lang bei den Inhalten der Studien auf. In ihnen hatte die Staatskanzlei das Hamburger GMS-Institut die Stimmung der Bevölkerung im Freistaat und im Bund erkunden lassen. Dabei wurde nach der Wahlabsicht gefragt sowie nach den Sympathiewerten für Seehofer, Kanzlerin Angela Merkel und für ihre jeweilige Regierungsarbeit.

Ob Seehofer das durfte oder nicht, lassen die Richter dahingestellt. Aber sie sagen klar, dass er auf Nachfrage aus dem Parlament hätte erklären müssen, wozu er die Daten braucht und warum er sie auf Steuerzahlerkosten für mehr als eine halbe Million Euro ermitteln ließ.

Genau diese Auskünfte hatte die Staatskanzlei Rinderspacher auf dessen Anfrage verweigert - und sich hinter dem Argument verschanzt, Rinderspachers Fragen beträfen "den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung", sprich: Sie seien so etwas wie ein Staatsgeheimnis. Das verneinen die Richter aber deutlich. Mit dieser Begründung "durfte eine Beantwortung nicht verweigert werden", sagt Huber. Zwar habe jede Regierung das Recht, ihre interne Willensbildung vor dem Parlament abzuschotten, weil es sonst zu einem "Mitregieren Dritter bei Entscheidungen führen kann, die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegen".

Die umstrittenen Studien gehörten aber nicht dazu, befinden die Verfassungsrichter - offenbar weil sie deren Resultate doch für zu trivial halten: "Hinsichtlich der Umfrageergebnisse zur politischen Stimmung ist nicht erkennbar, inwiefern eine Bekanntgabe der Inhalte dazu führen könnte, dass autonome Entscheidungsprozesse der Staatsleitung beeinträchtigt werden." Und dann erlaubt sich Hubers Runde noch eine kleine Spitze: "Hinzu kommt, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung nur Aufgaben umfassen kann, deren Erledigung der Staatsregierung nach dem Verfassungsgefüge zugewiesen ist." Das könnte bedeuten: Politische Tipps, wie sie sich Seehofer vom GMS-Institut geben ließ, etwa jenen, doch die FDP verstärkt zu attackieren, gehören nicht direkt zum Regierungsauftrag.

Diese Verquickung von Regierungs- und Parteiarbeit hatte auch der Oberste Rechnungshof schon als unzulässig kritisiert. Nun wird mit Spannung erwartet, was Bundestagspräsident Norbert Lammert als dritte Kontrollinstanz sagt. Bei ihm liegt der Fall zur Überprüfung, weil er auch als verdeckte Finanzierung der CSU gewertet werden könnte. Dann dürfte es richtig teuer werden. Die Kosten für die Studien müsste die CSU dem Staat zumindest zum Teil ersetzen, dazu käme eine doppelt so hohe Strafe. Ein Termin für die Entscheidung ist noch nicht absehbar, so eine Bundestagssprecherin.

Die Staatskanzlei interpretiert das Urteil elegant: Es habe ihren "neuen Kurs" bestätigt, sagt ein Sprecher - eine Anspielung darauf, dass die Regierung Rinderspacher im Laufe des Streits die Studien übergeben hatte. Auch Seehofer selbst, der noch nach Bekanntwerden der Vorwürfe gesagt hatte, er würde alles wieder so machen, gibt den Reformer: "Ich habe entschieden, dass wir die Praxis ändern", sagt er. "Unser Tun ist ein Öffentliches und Transparentes. Ich habe immer die Meinung vertreten, was hinter verschlossenen Türen besprochen wird, müsse öffentlich zugänglich sein. Es kommt sowieso alles an die Öffentlichkeit."

Die Oppositionsfraktionen reagieren hocherfreut. Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause kritisiert, die Regierung habe die Rechte des Parlaments mit Füßen getreten. Der Vorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, sagt: "Damit wurde der Machtmissbrauch der CSU in die Schranken gewiesen." Und selbst Miriam Gruß, Generalsekretärin des CSU-Koalitionspartners FDP nennt das Verhalten der CSU "unrühmlich". Rinderspacher selbst steht nach dem Urteil vor dem Justizpalast und strahlt: "Das ist ein guter Tag, nicht nur für die SPD, sondern auch für die Demokratie."

© SZ vom 07.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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