Renaturierung des Lech:Raus aus dem Betonkorsett

Renaturierung des Lech: Früher war der Lech ein wilder Fluss - heute ist er vielerorts von Beton umgeben.

Früher war der Lech ein wilder Fluss - heute ist er vielerorts von Beton umgeben.

Der Lech ist der am meisten verbaute Fluss Bayerns. Das Umweltministerium will ihm nun einen Teil seiner Natürlichkeit zurückgeben - doch Naturschützer befürchten, dass dadurch alles nur noch schlimmer wird.

Von Stefan Mayr

In Heimat- und Sachkunde lernen Augsburgs Grundschüler, dass die Kieselsteine des Lechs früher einmal Bergfelsen waren, die mit dem Fluss von den Alpen bis in die Donau mitgeschwemmt und dabei zu rundlichen Steinchen geformt werden. Doch das stimmt längst nicht mehr: Heutzutage wird der Kies im Allgäu tonnenweise auf Lkws geschaufelt, dann nach Augsburg gekarrt und dort wieder in den Fluss geworfen.

Mit diesen teuren Transporten versuchen die Menschen jene Schäden auszugleichen, die die 20 Staustufen in dem Gewässer anrichten. Aber Besserung ist in Sicht: Das Umweltministerium will den am massivsten verbauten Fluss Bayerns wenigstens ein bisschen aus seinem Betonkorsett befreien und ihm ein Stück Natürlichkeit zurückgeben.

Ökologie muss im Vordergrund stehen

Das Großprojekt heißt "Licca liber" - der freie Lech. Allerdings sind Naturschützer skeptisch, ob der ehemalige Wildfluss tatsächlich eine Befreiung erleben wird. Sie befürchten vielmehr, dass beim Umbau die Ökonomie wichtiger genommen wird als die Ökologie. Vor allem kämpfen sie gegen die Pläne des Energiekonzerns Eon, ein neues Wasserkraftwerk zu errichten.

Dieses soll ausgerechnet im Naturschutzgebiet "Stadtwald Augsburg" entstehen, welches als FFH-Gebiet (Fauna Flora Habitat) europaweite Bedeutung hat und in dem die Stadt Augsburg ihr Trinkwasserreservoir hat. "Wir hätten vom Umweltminister gerne ein klares Bekenntnis gegen dieses Kraftwerk", sagt Eberhard Pfeuffer vom Naturwissenschaftlichen Verein für Schwaben (NWVS). "Wenn er wollte, könnte der Umweltminister einfach einen ökologischen Ausbau des Lechs anordnen."

Der NWVS ist einer von zahlreichen Vereinen, die sich zur sogenannten Lechallianz zusammengeschlossen haben und für eine Neugestaltung kämpfen, die den Namen "Renaturierung" auch verdient. Für Eberhard Pfeuffer ist der Lech "der ökologisch wichtigste Fluss Bayerns", weil er für sehr viele Tier- und Pflanzenarten "die letzte Biotopbrücke von den Alpen bis zur Alb" darstelle. "Aber diese Brücke zerbröselt", sagt Pfeuffer, "man kann zusehen, wie die Arten aussterben."

"Der Zustand ist katastrophal"

Dies hat vor allem zwei Gründe: Weil kein Kies aus den Bergen nachkommt, kommt im Flussbett zunehmend die darunterliegende Sandschicht zum Vorschein - diese sogenannten Flinz-Zonen fallen als Lebensraum für viele Fischarten aus. Zudem gräbt sich der Lech an diesen Stellen noch tiefer in sein Bett ein als ohnehin schon. Deshalb sinkt der Grundwasserspiegel in den benachbarten Auengebieten. Dies ist das Todesurteil für viele Insektenarten.

"Dieser Flussabschnitt entspricht keinesfalls den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinien", sagt Pfeuffer. "Der Zustand ist katastrophal, es gibt dringenden Handlungsbedarf." Christine Markgraf, Artenschutzreferentin vom Bund Naturschutz, sieht das genauso: "Der Freistaat ist verpflichtet, die ökologische Situation zu verbessern." Sie fordert, "Licca liber" nicht als reines Flussbauprojekt anzugehen, "sondern als Flussauenprojekt".

Vom wilden Fluss zum Hybridgewässer

Vor 100 Jahren war der Lech ein wilder, bis zu 200 Meter breiter Tummelplatz für Fische, Vögel, Insekten und andere Lebewesen. Heute steckt der Fluss zwischen Forggensee und Donaumündung in einem Betonkorsett fest, verbaut von Staustufen und kilometerlangen Uferbefestigungen. "Der Lech ist ein Hybridgewässer", sagt Eberhard Pfeuffer, "halb Fluss, halb See."

Die bayernweit letzte freie Fließstrecke des Lechs befindet sich im Stadtgebiet Augsburgs. Hier habe die Stadt eine Chance, betont Pfeuffer: "Mit einer Wiederanbindung des Flusses an die Aue könnte man viel Lebensraum für hochgefährdete Tierarten zurückerobern." Ob dies mit einem neuen Kraftwerk mitten im Naturschutzgebiet gelingt, bezweifelt Pfeuffer: "Ein Kraftwerk braucht einen Absturz und feste Betonufer, also einen kaputten Fluss."

Renaturierung des Lech: Früher tobte sich der Lech rund um Sand- und Kiesbänke aus - wie auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 1950.

Früher tobte sich der Lech rund um Sand- und Kiesbänke aus - wie auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 1950.

(Foto: oh)

Der Bauantrag liegt seit 2009 bei der Stadt Augsburg. Ein Bescheid wird noch lange auf sich warten lassen. "Die Stadt wird keine Entscheidung treffen, solange über eine Klage vor dem Verwaltungsgericht nicht entschieden ist", sagt Umweltreferent Rainer Schaal (CSU). Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) trat im Fasching 2013 sogar als langbärtiger "Vater Lech" auf, allerdings sind seine Stellungnahmen zum Thema nicht kraftvoll wie ein Wildfluss, sondern eher lahm wie ein Rinnsal: "Die Diskussion um die Wasserkraftnutzung muss im Prozess einer Klärung zugeführt werden." Das lässt alles offen.

Kritik von Naturschützern

Viel deutlicher äußert sich Mathias Jungwirth von der Universität für Bodenkultur Wien. "Der Lech wird bereits zu 90 Prozent genutzt. Bei ,Licca liber' sollte jetzt die Ökologie im Vordergrund stehen", sagt der Professor für Hydrobiologie und Gewässermanagement. "Es wäre sicher der falsche Weg, hier von vornherein ein Kraftwerk einzuplanen." Jungwirth hat bereits 2012 im Auftrag der Regierung von Schwaben ein Gutachten erstellt.

Viele Naturschützer kritisieren, dass diese Studie zunächst in der Schublade verschwand. "Wenn ein durch Steuermittel finanziertes Gutachten unter Verschluss gehalten wird, weil es politisch nicht in die Landschaft passt, dann ist das ein Riesenproblem", sagt Thomas Frey vom Bund Naturschutz.

Inzwischen beteuert das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth als Projektbetreiberin, dass vor dem ersten Baggeraushub "alle Interessensgruppen" in einem "offenen Dialog" angehört werden - dazu gehöre auch Mathias Jungwirth. Umweltminister Marcel Huber (CSU) startete das Projekt "Licca liber" offiziell im Februar. "Hier können wir zeigen, wie ein gebändigter Wildfluss eine neue Dynamik bekommt", sagte er damals. Ob er damit die Dynamik der Natur oder einer Kraftwerksturbine meinte, ließ er offen. Der "Flussdialog" mit den Bürgern soll im Juni starten.

Das Projekt erstreckt sich über 60 Flusskilometer, vom Mandichosee vor Augsburg bis zur Donaumündung. Kosten und Finanzierung sind noch völlig unklar - eben weil der Planungsprozess "offen" und "ohne Vorfestlegungen" sei, wie das Wasserwirtschaftsamt mitteilt. Fest steht bislang nur eines: Um den Lech vollkommen zu befreien, müssten alle 20 Staustufen abgerissen werden. Insofern ist der Projektname "Licca liber" sehr optimistisch gewählt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: