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Reisen:Warum fünf Bayern ihren Urlaub in Deutschlands unbeliebtesten Städten verbringen

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Recklinghausen und Mülheim an der Ruhr etwa stehen auf der Liste der "Fernreisegruppe Unterbayern". Sie sucht ihre Ziele nach einem ausgeklügelten System aus.

Von Nina Ayerle, Roding

Urlaub in Barcelona, Berlin und Verona kann ja jeder. Duisburg, Wuppertal und Paderborn ist eher für Fortgeschrittene. Denn diese Städte gelten nicht als die beliebtesten Reiseziele. Top-Sehenswürdigkeiten sind wenige bekannt. Urlauber werden in der Regel irritiert angesprochen: "Seid ihr bescheuert? Urlaub in Wuppertal?" So wurden Alfred Stuiber und seine "Fernreisegruppe Unterbayern" im Hotel begrüßt - in Wuppertal.

Einmal im Jahr macht Stuiber mit vier Freunden aus seiner Zivildienstzeit Urlaub in westdeutschen Städten, die wenig populär sind. Seit 2011 sind die fünf Männer aus der Oberpfalz, Nieder- und Oberbayern als "Fernreisegruppe Unterbayern" unterwegs. Ihren Namen haben sie einem CD-Titel der Band Biermösl Blosn entlehnt, er ziert ihre Westen, die sie unterwegs tragen. Bisherige Ziele außer Wuppertal: Paderborn, Duisburg, Kiel, Saarbrücken.

Stuiber fungiert als Reiseleiter. Der 37-Jährige hat ein ausgeklügeltes System entworfen, nach dem er die Reiseziele auswählt. In einer Excel-Datei hat er westdeutsche Städte aufgelistet, die mehr als 100 000 Einwohner und einen ICE-Halt haben. Weitere Kriterien? Sehr niedrige Übernachtungszahlen und ein hoher Schuldenstand. Recklinghausen und Mülheim an der Ruhr sind ganz oben auf seiner Liste. Im kommenden Jahr will die Truppe nach Oldenburg oder Osnabrück.

Angst vor Enttäuschungen haben die Unterbayern nicht. Und: "Meistens waren wir wirklich positiv überrascht", sagt Stuiber. Paderborn, Duisburg und Wuppertal seien wunderschön gewesen. Als Flop habe sich Saarbrücken entpuppt. Die saarländische Hauptstadt bezeichnet er als "snobig", zu "landeshauptsstadtig".

Und warum macht jemand Urlaub an den vermeintlich unschönsten Orten des Landes? "Wir wollen abseits von überfüllten Touristenorten unterwegs sein." Anfangs haben sie ihre Ausflüge spaßeshalber als "German Ugly Tour" bezeichnet. Um genau zu sein, seien es aber "Orte, wo sonst keiner hin will". Eigentlich stecke hinter der Idee der Wunsch, Deutschland besser kennenzulernen und sich die Republik mit dem Zug zu erschließen. Den einfachen Weg wählen sie dabei nie: Auf der Strecke nach etwa Kiel sind sie dreimal umgestiegen, statt die direkte Verbindung ab München zu nehmen.

Bayerische Überheblichkeit wollen die fünf Männer sich aber keinesfalls unterstellen lassen. Dort, wo es andere "greislich" finden, gefalle es ihnen total gut. "Aber natürlich erkennst du, wenn du heimkommst, die Schönheit der eigenen Heimat", gesteht Stuiber. In Bayern gebe es für die Gruppe halt keine Ziele: "Die haben zu wenig Schulden." Er selbst stammt übrigens aus Roding in der Oberpfalz. Da sei es auch nicht "so richtig hübsch". Sein Traumziel? "Herne", sagt er. "Es gibt überall etwas zu entdecken. Nur in Herne gibt es absolut nichts", so glaubt er. Im Oktober fährt er dorthin. Seine Freunde möchten bisher nicht mit.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2017
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