„Jeder tag/ ist ein brief// Jeden abend/ versiegeln wir ihn// Die nacht trägt ihn fort// Wer empfängt ihn“. 400 Briefe haben sich Reiner und Elisabeth Kunze geschrieben, bevor der Dichter die tschechische Kieferorthopädin fragte, ob sie ihn heiraten würde. Elisabeth Littnerova wollte, und so erhielt Reiner Kunze, wie er später einmal sagte, „seinen ersten und kostbarsten Literaturpreis“. Denn ohne das große „E.“, wie Kunze den Namen seiner Frau abkürzte, ist dessen Werk kaum vorstellbar.
Darauf hat der Dichter oft genug selbst hingewiesen. Doch was bislang nicht genügend gewürdigt wird: Dass es die zweisprachige Elisabeth Littnerova war, die ihrem Mann in den vielen Briefen die tschechische Sprache und Lyrik näherbrachte und die Kontakte zu den tschechischen Schriftstellern wie Milan und Ludvik Kundera oder Jan Skácel herstellte, allesamt Autoren, die Kunze später kongenial übersetzte. Darauf macht im 2024 erschienenen Bildband „Ich habe die tschechische Sprache geheiratet“ ein Beitrag von Linda Keyserlingk-Rehbein nachdrücklich aufmerksam.
Das ausgezeichnet gestaltete, zweisprachige Buch, die erste Publikation der Reiner- und Elisabeth-Kunze-Stiftung (REK), lässt mit vielen Fotos, zahlreichen Kunze-Gedichten und mehreren Essays das Leben der beiden Stifter Revue passieren. Eigentlich ist der Band ein begleitender Katalog zur gleichnamigen Wanderausstellung, die bereits in Passau und in Oelsnitz im Erzgebirge, Kunzes Geburtsort, zu sehen war. Die nächste Station ist Greiz, der langjährige Wohnort der Kunzes (9. bis 21. März), gefolgt von Brno. „Unsere erste Präsentation in Tschechien“, freut sich Renate Braun. Gemeinsam mit der Literaturwissenschaftlerin Linda von Keyserlingk-Rehbein leitet sie seit 2023 die Geschicke der REK, ist als ehemalige Vorstandsvorsitzende einer Bank für Finanzen und Stiftungsfragen zuständig. „Wir haben bereits Anfragen aus Leipzig und Frankfurt.“
Reiner und Elisabeth Kunze zogen 1977 nach Obernzell-Erlau im Landkreis Passau. Ein Jahr zuvor war das DDR-kritische Buch „Die wunderbaren Jahre“ im Westen erschienen und hatte dem an Schikanen und Bespitzelung längst gewöhnten Autor den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband eingebracht. Das kam einem Berufsverbot gleich. Im April verließ der isolierte Kunze mit Frau und Tochter die DDR.
Die Stiftung gründete das Paar im Jahr 2006. Ihr Zweck: das gemeinsame Wohnhaus nach ihrem Tod in eine „Stätte der Zeitzeugenschaft und einen Ort des Schönen“ umzuwandeln. Ein Angebot an die Nachgeborenen, das ihnen helfen soll, die jüngere Geschichte Deutschlands zu verstehen, die Geschichten hinter den Geschichten zu entdecken und „,Antikörper‘ zu bilden gegen ideologische Indoktrination“ (Kunze). Gleichzeitig soll der Ort auch klarmachen, woher die Kraft zum Widerstand kam: aus der Kunst.

„Es wird ein Ausstellungshaus werden, kein Museum“, sagt Renate Braun und berichtet von dem umfangreichen Material des Kunze-Archivs, das es aufzubereiten gilt. Manuskripte, Briefe, Fotos, Kunstwerke und andere zeitgeschichtlich wichtige Dokumente, die sich im Umfeld des Paares angesammelt haben. Dank einer mehrjährigen Kooperation mit der Universität Passau sind die Materialien inzwischen digitalisiert und erschlossen. „Wir hoffen jetzt auf eine weitere Zusammenarbeit, um die Forschung im Archiv zu intensivieren“, sagt Braun.
Elisabeth Kunze ist vor fast einem Jahr am 24. Januar 2024 gestorben. In ihren letzten Lebenstagen hätten Reiner und Elisabeth Kunze überwiegend Tschechisch miteinander gesprochen, sagt Braun. „Das hat sie auf ganz eigene Weise verbunden.“
Jetzt lebt der Schriftsteller allein in dem Haus am Sonnenhang. Von seinen Lesern hat er sich im Lyrikband „die stunde mir dir selbst“ bereits verabschiedet: „Fern kann er nicht mehr sein, der tod/ (...)/ Doch sag ich, ehe ich’s nicht mehr vermag: Lebt wohl!/ Verneigt vor alten bäumen euch, und grüßt mir alles schöne“.
Winfried Helm und Linda von Keyserlingk-Rehbein (Hrsg.): Ich habe die tschechische Sprache geheiratet. Reiner und Elisabeth Kunze. Lukas Verlag. 20 Euro.