Der Protest in Reichling ist groß. Der Bund Naturschutz demonstriert, Greenpeace, Fridays for Future, es hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, der CSU-Landrat schreibt einen mahnenden Brief, auch Vertreter der Grünen wettern gegen die geplanten Gasbohrungen nahe dem Ort bei Landsberg am Lech. Der Bürgermeister von Reichling dagegen unterstützt das Projekt, im Gegensatz zu einer Mehrheit seines Gemeinderats übrigens, und deshalb war es ihm offensichtlich ein Anliegen, jetzt mal selbst zu protestieren.
Auskunft zu den Gasbohrungen, klagte er in einer Pressemitteilung, werde er nur noch der regionalen Presse geben. Die Sendung „Jetzt red i“ im Bayerischen Rundfunk (BR) zum Thema boykottiere er. Der Bürgermeister bemängelt eine einseitige Berichterstattung, die zu einer Sympathie für Klimagruppierungen führe, denen er ziemlich unverblümt „Klimaterrorismus“ unterstellt. Nicht einmal eine Halle in der Gemeinde wollte das Gemeindeoberhaupt für die Sendung zur Verfügung stellen.
Tatsächlich war von Klimaterrorismus noch nichts zu hören in Reichling, tatsächlich ließ auch der BR im Fernsehen ausführlich einen Vertreter der Gasfirma zu Wort kommen sowie Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der die Gasförderung in Bayern unterstützt. Von einer einseitigen Berichterstattung kann also keine Rede sein, die Nerven des Bürgermeisters dürften jedoch auch in naher Zukunft nicht geschont werden. Das Unternehmen Genexco Gas teilt mit, dass das Bergamt Südbayern in dieser Woche die Freigabe für den Baubeginn des Bohrplatzes erteilt hat, ab Mitte Oktober soll das Areal eingerichtet werden. Die anvisierte Erkundungsbohrung soll im ersten Quartal 2025 stattfinden. Die Proteste werden diese Neuigkeiten sicher nicht besänftigen.
Die Erkundungsbohrungen sollen etwa vier Wochen dauern, dann wird entschieden, ob Genexco das Gasvorkommen ausbeuten darf. Gegner des Projekts bemängeln, dass die unter Reichling vermutete Gesamtfördermenge nur etwa 0,5 Prozent des aktuellen jährlichen Gasbedarfs Deutschlands decken würde, dass es sich also gar nicht lohne, Gas zu fördern. Kürzlich war die Bamberger Bundestagsabgeordnete der Grünen zu Besuch in Reichling, Lisa Badum. Die Obfrau im Ausschuss für Klimaschutz und Energie im Bundestag klagt, dass eine heimische Gasförderung nicht mit dem Ziel vereinbar sei, bis 2040 klimaneutral zu werden. Die deutsche Gasversorgung sei inzwischen wieder fix gesichert, die Fördermenge in Reichling deshalb unbedeutend. Zumal die Grünen auch kritisieren, dass Bayern im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht einmal eine Förderabgabe verlangt.
Am Donnerstag entschied der Wirtschaftsausschuss des Landtags auf einen Dringlichkeitsantrag der Grünen hin gegen eine Wiedereinführung einer solchen Abgabe, die laut Greenpeace die Förderung von Erdgas weniger rentabel machen würde. Wirtschaftsminister Aiwanger lade so internationale Konzerne geradezu ein, bayerische Erdgasvorkommen zum Nulltarif auszubeuten.
Die Bürger vor Ort befürchten zudem Schäden an der Natur, das Bohrgebiet liegt in der Nähe eines europäischen Schutzgebiets für seltene Tiere und Pflanzen. Vor allem aber liegt es nur 200 Meter entfernt vom Trinkwasserschutzgebiet der Gemeinde. In Reichling befürchten die Anwohner eine Verunreinigung ihres Trinkwassers, wobei Genexco eine solche Gefahr als verschwindend gering bezeichnet. Die Probebohrungen finden in einem bereits vorhandenen und mit einem Rohr versehenen Bohrloch statt, das noch aus den 1980er-Jahren im Boden steckt, als der Ölmulti Mobil dort explorierte, dann jedoch wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit nichts förderte.
Messungen an Ort und Stelle hätten ergeben, teilt Genexco mit, dass eine Verunreinigung bei der Fließgeschwindigkeit des Grundwassers erst zwei Jahre später bei der Grundwasserentnahmestelle ankommen würde. Zeit genug, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Um die Gemeinde Reichling im Ernstfall dennoch mit frischem Wasser zu versorgen, hat Genexco ein Notfallkonzept ausgearbeitet mit Ausweichmöglichkeiten auf andere Brunnen oder sogar einer Neuerschließung der gemeindlichen Wasserversorgung.
Bald könnte es noch viel mehr Bohrfelder geben
Da wirft es das Unternehmen auch nicht zurück, dass sich erst kürzlich unter anderem die Gemeinde Dießen am Ammersee per Beschluss im Gemeinderat geweigert hat, Genexco im Notfall mit der Wasserversorgung für Reichling auszuhelfen. Es regt sich nicht nur in Reichling Widerstand, sondern in vielen umliegenden Gemeinden, hält doch Genexco, hinter dem teils der kanadische Konzern MCF Energy steckt, über eine Schwesterfirma auch auf einem etwa 100 Quadratkilometer großen Gebiet bis zum Ammersee grundsätzlich das Recht, nach Gas bohren zu dürfen. Gasbohrungen in Reichling halten deshalb unter anderem der Bund Naturschutz oder Greenpeace für ein fatales Signal, dem noch mehr Förderungen folgen würden.
Noch in den 1970er-Jahren deckte Bayern rund 30 Prozent seines Bedarfs aus heimischen Erdgaslagerstätten. Das Wirtschaftsministerium schätzt, dass vor allem zwischen Lech, Isar, Inn und Salzach noch Gas unter der Erde liegen könnte. Obwohl das Vorkommen bei Reichling gering sein dürfte, wirbt Genexco mit einer „guten Klimabilanz“ durch eine heimische Produktion und einer schonenden Methode der Förderung im Vergleich zu Importen. Auch Wirtschaftsminister Aiwanger wirbt für Erdgas als Brückentechnologie. So offensiv wie noch 2022 will er sich aber nicht mehr für die Bohrungen einsetzen, als es aus seinem Ministerium noch hieß, dass man alles tun sollte, um die Importabhängigkeit Bayerns zu verringern.
Offenbar angesichts des massiven Bürgerprotests am Ort verweist Aiwanger jetzt lieber süffisant darauf, dass ihm als Wirtschaftsminister eines Bundeslands die Hände gebunden seien. Soweit Vorgaben eines Bundesgesetzes erfüllt seien, bestehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Bohrgenehmigung – nur Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die Grünen selbst also, könnten die Förderungen stoppen.