Süddeutsche Zeitung

Regionale Produkte in Bayern:Genussfreudiger Süden

Jahrzehntelang konnte es den Deutschen nicht exotisch genug sein. Jetzt wollen immer mehr Köche mit regionalen Produkten in Bayern ein anspruchsvolles Publikum überzeugen - und können so im Vergleich zu Bio punkten. Allerdings tobt ein heftiger Preiskampf.

Von Georg Etscheit

Jahrzehntelang konnte es den Deutschen nicht exotisch genug sein. Was sie im Urlaub aßen, darauf wollten sie auch zu Hause nicht verzichten. Die heimischen Regionalküchen gerieten dabei ins Abseits. Und so manche Alte Post verwandelte sich in eine Vecchia Posta oder ein asiatisches Lokal. Doch das Pendel schlägt zurück. Immer mehr Gastwirte, vor allem in Süddeutschland, besinnen sich auf regionale Esstraditionen und kochen wieder frisch mit Produkten aus der näheren oder weiteren Umgebung.

"Das ist kein Buschfeuer, sondern ein großer Trend", sagt Benedikt Wolbeck vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Regionale Spezialitäten kämen nicht nur bei Touristen gut an, sondern auch bei qualitätsbewussten Einheimischen. Viele Gastwirte schüfen sich zudem ein eigenes Netzwerk regionaler Zulieferer und wiesen diese auch in der Speisekarte aus. "Regionalität schlägt sogar Bio", sagt Wolbeck.

Wieland Schnürch ist auf die Suche gegangen. Der Münchner Rechtsanwalt und Slow-Food-Aktivist ist Initiator des ersten "Genussführers Deutschland", eines alternativen Fressführers mit rund 300 Adressen bodenständiger Wirtshäuser mit gehobener Regionalküche. Zusammen mit etwa 400 Mitstreitern aus ganz Deutschland durchforstete er jahrelang die Gastrolandschaft. "Viele Köche können leider nur noch eines: Packerl aufreißen", sagt Schnürch. "Dabei geht doch nichts über ein frisch gekochtes Essen mit sauberen, regionalen Produkten zu einem erschwinglichen Preis."

Vorbild für den bislang nur teilweise im Internet auf der Slow-Food-Homepage veröffentlichten Fressführer ist der Guide "Osterie d'Italia" der italienischen Slow-Food-Schwesterorganisation. Das Buch gibt es seit 22 Jahren und gilt als Bestseller, auch in der deutschen Übersetzung. "Ich habe bei meinen Italienreisen immer den Führer zu Rate gezogen und bin nie enttäuscht worden", sagt Schnürch.

79 Adressen im Genussführer

In Schnürchs Kanzlei nahe dem Münchner Hauptbahnhof hängt eine Deutschlandkarte mit vielen roten und blauen Punkten. Die roten stehen für ein einzelnes Lokal, die blauen für mehrere an einem Ort. Im Süden ballen sich die Punkte. Mit 79 Adressen im Genussführer hat Bayern klar die Nase vorn, dicht gefolgt von Baden-Württemberg. Der Norden und Osten der Republik ist kulinarische Diaspora. "Der katholisch-barocke Süden ist natürlich genussfreudiger als der protestantisch-asketische Norden", erläutert Schnürch. "Dazu kommt die deutsche Teilung. In der früheren DDR haben nur wenige Traditionsgasthäuser überlebt."

Eine der von Slow Food empfohlenen Gastronomen ist Peter Rank, Inhaber des Jägerwirts in dem romantischen Bauerndorf Kirchbichl bei Bad Tölz. Bei ihm findet man nicht die modische, internationale Bistroküche von Pasta über Steak bis Sushi oder das von Küchenpapst Wolfram Siebeck als "Plumpsküche" geschmähte Jägerschnitzel-Paprikaschnitzel-Einerlei, sondern bayerische Spezialitäten.

Eine echte Rarität sind die handgeriebenen Kartoffelknödel. "Extrem aufwendig" sei diese Art, zu kochen, sagt Rank. Seine Speisekarte wechselt täglich und weist akribisch die verschiedenen Lieferanten aus. Mehl kommt von der Off-Mühle in Sindelsdorf, Fische von einer Fischzucht in der Nähe, Ochsen aus dem Nachbardorf. "Schweine sind schwierig, weil es bei uns wenige Schweinezüchter gibt." Der nächste arbeitet in Feldkirchen-Westerham. Von dort bekommt er die Tiere am Stück und muss sie selbst zerlegen, wie die Ochsen auch. Die Milch dagegen liefert der Bauer gegenüber. Als Rohmilch darf sie nur zum Kochen verwendet werden.

Regionalität und Qualität seien keine Selbstläufer, sagt Rank. Man müsse sich ein anspruchsvolles, genussfreudiges Publikum heranziehen, das auch bereit sei, über Lebensmittel und ihre Herkunft nachzudenken. Außerdem seien regionale Produkte einfach teurer als Standardware vom Großmarkt. "Ohne Herzblut geht es nicht", meint Rank.

Angesichts des heftigen Preiskampfes in der Gastronomie sei es nicht einfach, Wirte von den Vorteilen der Regionalität zu überzeugen, sagt Marianne Wagner vom Regionalnetzwerk "Unser Land". "Sogar im Werdenfelser Land kaufen viele Wirte Lammfleisch aus Neuseeland, weil es einfach billiger ist." Obwohl die heimischen Schäfer, die mit ihren Tieren die wertvollen Buckelwiesen pflegten, oft händeringend nach Abnehmern für ihr Lammfleisch suchten.

Eine etwas andere Auffassung von Regionalität hat Christian Jürgens, der mit zwei Michelin-Sternen gekrönte Küchenchef des Restaurants Überfahrt in Rottach-Egern. "Ich halte nichts davon, mich bei der Auswahl meiner Lieferanten auf einen bestimmten Radius zu beschränken. Mein Bestreben ist es, für unsere Gäste die besten Grundprodukte zu finden. Wenn diese aus der Region kommen umso besser", sagt der Spitzenkoch. "Außerdem schwimmen Salzwasserfische, die meine Gäste verlangen, nun mal nicht im Tegernsee. Und auch Zitronen wachsen hier nicht."

Trotzdem arbeitet Jürgens mit etlichen regionalen Lieferanten zusammen - wenn sie Produkte liefern, deren Qualität international mithalten kann. "Wir haben mal eine Blindverkostung von Butter aus ganz Europa gemacht. Die Butter unserer Miesbacher Molkerei hat uns einfach am besten geschmeckt." Ähnlich verhalte es sich mit dem Fleisch der seltenen Pinzgauer Rinder, das er von einem Top-Erzeuger aus Waging am See beziehe.

Manchmal kommt Regionalität bei Christian Jürgens auch "augenzwinkernd" daher, wie die Tester des Restaurant- und Hotelführers Gault Millau schrieben. Zum Beispiel seine "Tegernseer Kiesel". Das sind eine Art Kartoffelbällchen, die mit Sauerrahm gefüllt sind - und auf echten Kieselsteinen vom Ufer des Tegernsees serviert werden.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2013
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