Regierungsbildung:Aiwanger träumt schon von Berlin

Der Chef der Freien Wähler sieht seine Partei auf der Erfolgspur und will später auch im Bund mitregieren. Bis Ende der Woche sollen bei den Koalitionsverhandlungen mit der CSU alle Themen durchgesprochen sein

Von Wolfgang Wittl

Koalitionsverhandlung von CSU und Freien Wählern

Die beiden wird man künftig wohl öfter miteinander sehen: Ministerpräsident Markus Söder und FW-Chef Hubert Aiwanger betonen die gute Stimmung in den Koalitionsverhandlungen so ausdrücklich, dass man meinen könnten, sie wollten nie etwas anderes, als miteinander regieren.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Dienstag, 13 Uhr: Der Zeitpunkt passt schon mal, nur der Ort ist ein anderer als sonst. Üblicherweise wird zu dieser Zeit in der Staatskanzlei über die Ergebnisse der Kabinettssitzungen informiert. Als noch Horst Seehofer Ministerpräsident war, berichtete immer der Staatskanzleichef über die Ergebnisse. Seit Markus Söder die Regierungsgeschäfte führt, gibt er selbst mit dem zuständigen Fachminister Auskunft. Und künftig? Wird dann auch Hubert Aiwanger mit dabei sein, der Chef der Freien Wähler und mutmaßlich neue stellvertretende Ministerpräsident? Falls es so kommt, bietet sich am Dienstag ein schöner Blick in die Zukunft.

Söder und Aiwanger stehen vor Saal 2 im Bayerischen Landtag und erzählen zum ersten Mal, wie sie und ihre Delegationen seit Tagen über eine Koalitionsregierung verhandeln. Genau gesagt erzählen sie nicht das Geringste, weder über Inhalte noch über Details. Wortreich leben sie das Schweigegelübde aus, das sie sich gegenseitig versprochen haben. Immerhin, so viel sei verraten, die Atmosphäre sei unglaublich konstruktiv. So oft betonen beide die tolle Stimmung, dass man denken könnte, die sich abzeichnende Koalition aus CSU und Freien Wählern sei keine verordnete Zwangsgemeinschaft, sondern eine Liebesheirat. Als hätten sie seit Jahren auf nichts anderes hingearbeitet, als endlich zusammen zu regieren. So gut sich die Verhandlungspartner angeblich verstehen, so sehr fällt auf: Das letzte Wort will keiner dem anderen überlassen. Wenn Söder endet, fängt Aiwanger an. Und umgekehrt. Auch das ist eine Gemeinsamkeit.

Es ist der dritte Verhandlungstag, an dem Söder und Aiwanger erstmals öffentlich informieren. Gesprochen wurde bislang über den Finanzrahmen, über Wirtschaft und Energie, Gesundheit und Pflege, Bau, Wohnen und Verkehr - am Nachmittag stehen dem Vernehmen nach innere Sicherheit und Justiz auf der Tagesordnung. Aiwanger hatte zwar angekündigt, beim umstrittenen Polizeiaufgabengesetz der CSU leicht nachbessern zu wollen, größere Differenzen in der Innenpolitik sind aber nicht zu erwarten. Das ist, was Söder und Aiwanger meinen, wenn sie vom "bürgerlichen Geist" dieser Koalition reden. Man müsse keine größeren ideologischen Gräben überwinden, "wir sind sehr schnell bei den Sachthemen angekommen", sagt der Chef der Freien Wähler.

Die Probleme stecken im Detail: Die FW fordern kostenfreie Kitas und eine rückwirkende Erstattung der Straßenausbaubeiträge für fünf Jahre. Die CSU will nicht auf ihr Familiengeld verzichten. Das macht es nicht leichter, das Ziel vom ausgeglichenen Haushalt und weiteren Schuldenabbau einzuhalten, auf das sich beide Parteien gleich zu Beginn verständigt haben. Der Freistaat werde seine "Mindestreserven" nicht antasten, verspricht Aiwanger. Man könne jeden Euro nur einmal ausgeben.

Schon jetzt zeichnet sich ab: Die jahrzehntelange Politik der CSU, sich um jedes noch so kleine Problem im Land kümmern zu wollen, möchten die Freien Wähler weiter perfektionieren. "Mehr Bürgernähe" kündigt Aiwanger an; "keine Weltpolitik" werde er betreiben, sondern "machen, was machbar ist". Der seit Wochen mit einem Demut-Bazillus infizierte Söder lobt neue Ideen, manches sei "sehr klug formuliert". Man lerne in einer Koalition immer dazu, "das sage ich ausdrücklich auch für mich", sagt Söder. Er schweigt sogar, als Aiwanger behauptet: "In der Kombination sind wir besser als einer alleine." Das hätten in der CSU nicht viele Leute unterschrieben in den vergangenen sechs Jahrzehnten.

Die Überschrift setzt freilich weiterhin der Ministerpräsident. Eine "Bayern-Koalition" solle es werden, und dezidiert auch eine "Familien-Koalition", sagt Söder. Beide Parteien wollten ein klares Signal für Familien und die Betreuung von Kindern senden. Das Thema Familie werde "ganz groß rauskommen", pflichtet Aiwanger bei. Wie groß genau, auch das bleibt vorerst ein Geheimnis. Bis zum Ende der Woche dürften die Unterhändler in einem ersten Durchgang alle Themen besprochen haben, auf der Agenda stehen noch Wissenschaft und Kultus, Umwelt und Landwirtschaft, Europa, Digitales und Medien sowie Landesentwicklung und Heimat. Dann werde "der Berg überwunden sein", sagt Aiwanger, am Samstag wird er bei der Landesversammlung in Regensburg vor seine Basis treten. Sollten "die Leib- und Magenthemen unter Dach und Fach sein", werde er um Zustimmung für eine Regierungsbeteiligung bitten. Dass danach eine weitere Landesversammlung nötig sei, glaube er "eher nicht". Mitte nächster Woche könnten die Verhandlungen abgeschlossen sein. Zum Abschluss wird über Zuschnitt und Aufteilung der Ministerien gesprochen.

Er habe die Entscheidung für die Freien Wähler bislang nicht bereut, sagt Söder. "Die Grundüberzeugung ist da." Auch Hubert Aiwanger hat seine Grundüberzeugung, sie deckt sich nicht in jedem Punkt mit der CSU. Er sei sich sicher, dass die Freien Wähler eines Tages in den Bundestag einzögen - wenn nicht das nächste, so das übernächste Mal. Und natürlich wolle er dann auch in Berlin mitregieren, sagt Aiwanger, nicht dass so "komische Parteien die bürgerliche Mehrheit zerschießen". Über so viel Selbstbewusstsein staunt selbst Söder. "Ich glaube, wir hören jetzt auf." Als beide den Raum verlassen, schüttelt er Aiwanger grinsend die Hand. "Viel Erfolg auf Bundesebene." Aber gelächelt hatte die CSU über Aiwanger ja einst auch in Bayern. Das letzte Wort am Dienstag gehört ihm. Seine Antwort an Söder: "Du kannst ja kandidieren auf unserer Liste."

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