Regensburger Korruptionsaffäre:7,2 Millionen - wofür eigentlich?

Hans Rothammer Vorstandsvorsitzender OB Joachim Wolbergs Aufsichtsratvorsitzender des SSV Jahn Rege

Jahn-Präsident Hans Rothammer (links) und der suspendierte Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs, damals noch Aufsichtsratvorsitzender des SSV Jahn Regensburg.

(Foto: Imago)
  • Im Regensburger Korruptionsprozess geht es ab diesem Montag um den "Komplex Jahn".
  • Im Mittelpunkt steht der Bauunternehmer Volker Tretzel und die Frage, ob er 7,2 Millionen Euro in den Fußballklub SSV Jahn pumpte, weil er sich dadurch laut Anklage der Staatsanwaltschaft "positive Entscheidungen bezüglich der Bauvorhaben" seiner Firma erhoffte.
  • Zunächst geht es vor Gericht um die Vorwürfe gegen Tretzel und den suspendierten SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs, der auch Aufsichtsratschef des SSV Jahn war.

Von Andreas Glas, Regensburg

Es gibt da diese Szene, die man ruhig noch mal in Erinnerung rufen darf. Die Szene spielt im Sommer 2012, am Regensburger Haidplatz. Die Stimmung ist bestens, die Fans feiern den Aufstieg des SSV Jahn in die zweite Fußball-Bundesliga. Doch als Hans Schaidinger, damals Oberbürgermeister, zum Mikro greift, pfeifen die Fans, buhen, plärren: "Wir sind der Jahn, und du nicht!"

Schaidinger (CSU) habe das "sehr wehgetan", sagt eine, die ihm nah war. Vielleicht wollte Schaidinger auch die Zuneigung der Fans zurückgewinnen, als er nach dem Aufstieg den Neubau einer ultramodernen Fußball-Arena so richtig anschob. Die Rechnung zahlte die Stadt: mehr als 50 Millionen Euro. Eine Risikoinvestition, da Erfolg im Fußball nicht immer kalkulierbar ist. Aber es gab ja den Bauunternehmer Volker Tretzel, dessen Geld die Dinge kalkulierbarer machte.

Sechs Jahre später sitzt Tretzel auf der Anklagebank. Im Regensburger Korruptionsprozess steht an diesem Montag der erste von insgesamt neun Verhandlungstagen zum "Komplex Jahn" an. Es geht um die Frage, ob Tretzel 7,2 Millionen Euro in den Fußballklub pumpte, weil er sich dadurch laut Anklage der Staatsanwaltschaft "positive Entscheidungen bezüglich der Bauvorhaben" seiner Firma BTT GmbH erhoffte. Die Staatsanwälte ermitteln auch gegen Alt-OB Schaidinger, der nach Ende seiner Amtszeit einen Beratervertrag mit Tretzels Firma schloss. Angebliches Jahreshonorar: 260 000 Euro.

Vor Gericht geht es im "Komplex Jahn" aber zunächst um die Vorwürfe gegen Tretzel und den Mann, der Schaidinger 2014 als Rathauschef nachfolgte: den suspendierten SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs, der auch Aufsichtsratschef des SSV Jahn war. In Wolbergs Amtszeit bekam Tretzels Firma den Zuschlag der Stadt für ein Baugrundstück: das Nibelungenareal. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Wolbergs sich nicht nur für die Vergabe an Tretzel einsetzte, weil der Bauträger ihn mit mutmaßlich verschleierten Parteispenden unterstützte. Sondern auch wegen der Millionen, die Tretzel in den SSV Jahn steckte.

Tretzel wirft die Staatsanwaltschaft Bestechung vor, Wolbergs Bestechlichkeit. Das Gericht hat die Anklage auf Vorteilsgewährung beziehungsweise Vorteilsannahme heruntergestuft. Beide streiten die Vorwürfe ab. "Niemals habe ich empfunden oder hat Herr Tretzel auch nur ansatzweise angedeutet, dass es in irgendeiner Form ein Junktim geben sollte zwischen einer Förderung des Jahn und irgendeiner Baumaßnahme", sagte Wolbergs am vergangenen Dienstag in seinem Eröffnungsstatement. Er fügte hinzu: "Da kann behauptet werden, was will."

Sind das nur die Behauptungen, was die Leute erzählen?

Genau das sollen die kommenden neun Prozesstage klären: Ob das nur Behauptungen sind, was manche Leute erzählen. Zum Beispiel Christian Schlegl, den das Gericht für Donnerstag als Zeuge geladen hat. Der CSU-Stadtrat saß wie Wolbergs im Jahn-Aufsichtsrat. Und er war Wolbergs' Konkurrent bei der OB-Wahl 2014, die Schlegl krachend verlor. Neben Wolbergs und Schlegl saß im Gremium des Fußballklubs auch der frühere SPD-Stadtratsfraktionschef Norbert Hartl, der ebenfalls angeklagt ist. Der SZ erzählte Schlegl im vergangenen Jahr, dass Hartl am Rande einer Jahn-Aufsichtsratssitzung zu ihm gesagt habe: "Die Nibelungenkaserne muss der Tretzel kriegen, weil der Jahn Geld braucht."

Sind Schlegls Aussagen nur der Racheakt eines gekränkten Wahlverlierers? Was für seine Glaubwürdigkeit sprechen könnte: Dass er im Oktober 2014 aus dem Jahn-Aufsichtsrat zurücktrat - zwei Tage nachdem der Klub eine Kapitalerhöhung mit weiteren Tretzel-Millionen beschlossen hatte. Dass dies kurz nach der Vergabe des Nibelungenareals an Tretzel geschah, habe er als "auf keinen Fall mehr zu vertretenden Interessenskonflikt" zwischen seinem Stadtrats- und seinem Aufsichtsratsposten gesehen. So habe er das dem Gremium damals schriftlich mitgeteilt, sagt er.

Muss Wolbergs den Kopf hinhalten für einen Deal, den sein Amtsvorgänger einfädelte?

Was gegen Schlegls Glaubwürdigkeit sprechen könnte: Dass die Staatsanwälte ihn ebenfalls im Fokus haben. Auch bei Schlegl geht es um seltsame Spenden aus der Baubranche, die er 2013 und 2014 für seinen OB-Wahlkampf für die CSU bekam. Wohl auch deshalb ätzte Wolbergs zu Prozessbeginn: "Wenn die Staatsanwälte meinen, dem Zeugen Schlegl da mehr zu glauben, dann sollen sie es tun." Er erinnerte daran, dass es CSU-Mann Schaidinger war, der Tretzel im Juni 2005 überredete, sein Geld in den pleitegefährdeten Fußballklub zu investieren und den Bauunternehmer damals "als Retter des Jahn" präsentierte, sagte Wolbergs.

Da sind sie wieder, diese Fragen, die über dem Korruptionsprozess schweben: Muss Wolbergs den Kopf hinhalten für einen Deal, den bereits sein Amtsvorgänger Schaidinger einfädelte? Hat Wolbergs den Deal fortgeführt, weil nach Schaidinger er derjenige war, der profitierte? Oder ist das alles nur eine Kette an Missverständnissen und Zufällen, hinter denen gar keine kriminelle Absicht steckt?

Um das herauszufinden, hat das Gericht zwölf weitere Zeugen geladen, darunter Franz Gerber, bis 2013 Sportchef beim Jahn. Im Februar 2017 sagte Gerber dem Neuen Tag über Politik, Tretzel und Jahn-Präsidium: "Die haben immer zusammengespielt." Und: "Bei jeder Kapitalerhöhung stand im Raum, dass Tretzel eine Gegenleistung erwartet." Jahn-Präsident Hans Rothammer dagegen hat in der Mittelbayerischen Zeitung beteuert, "dass von den Dingen, die im Raum stehen, keiner der Verantwortlichen des SSV Jahn Kenntnis hat". Und Christian Keller, heutiger Jahn-Sportchef, sagt, dass sein Klub nur "Spielball in einem Politikum" sei. Auf die Frage, was Tretzel sich von seinem Fußball-Engagement versprochen haben könnte, sagte Keller der SZ im vergangenen Jahr: "Es ist nicht die Aufgabe des Jahn, die Motive zu hinterfragen."

Nicht hinterfragen, nicht hinhören, lieber wegschauen. Oder gab es tatsächlich nichts, das die Klubfunktionäre misstrauisch machen konnte? Immerhin ist Tretzel kein großer Fußball-Fan, daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. Warum steckt so einer derart viel Geld in den Fußball? Tretzels Verteidiger zeichnen von ihrem Mandanten das Bild eines selbstlosen Gönners, der seiner Stadt etwas zurückgeben wollte. Nicht nur durch das Jahn-Engagement, auch durch Spenden im Kulturbereich. Diese Argumentation hört man ebenfalls aus dem Tretzel-Lager: Dass es in Hoffenheim oder Hannover keiner ruchbar finde, dass Unternehmer-Millionäre ihr Geld in den Fußball pumpen.

Seine Jahn-Anteile hat Volker Tretzel inzwischen an den Verein zurückverkauft. Und was auch rauskommt beim Korruptionsprozess: Für den Jahn hat sich das Tretzel-Investment ausgezahlt. Ohne die Millionen des Unternehmers wäre der Klub wohl pleite gegangen, womöglich im Amateurfußball versumpft. Stattdessen spielt der SSV in der zweiten Liga, war vergangene Saison nah dran am Aufstieg in die Bundesliga. Der Prozess soll klären, ob der Erfolg des Jahn auch ein schmutziger Erfolg ist.

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