Vor Gericht in Regensburg:Plädoyer im Wolbergs-Prozess gerät zur Abrechnung mit dem Angeklagten

Lesezeit: 3 min

Joachim Wolbergs (rechts) im Verhandlungssaal des Landgerichts in Regensburg (Foto: dpa)

Im zweiten Korruptionsprozess gegen den Regensburger Ex-OB Joachim Wolbergs fordert die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe. Wer ein handelsübliches Plädoyer erwartet hat, wird eines besseren belehrt.

Von Andreas Glas

Wer in diesem sehr speziellen Prozess ein handelsübliches Plädoyer erwartet hat, weiß es um 9.09 Uhr besser. Da packt Oberstaatsanwalt Jürgen Kastenmeier einen dicken Ordner aufs Rednerpult, schaut rüber zur Anklagebank und sagt: "Ich soll Ihnen liebe Grüße ausrichten. Vom toten Pferd." Man muss wissen: Peter Witting, Verteidiger des früheren Regensburger Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs, hatte den Staatsanwälten im Prozess mal vorgeworfen, mit ihrer Anklage "ein totes Pferd" zu reiten. Um 9.09 Uhr ist die Botschaft des Plädoyers klar, noch bevor das Plädoyer begonnen hat: Die Anklage lebt, auch nach 28 Prozesstagen. Für die Staatsanwälte steht fest: Wolbergs ist schuldig.

Ein Jahr und zehn Monate Haft auf Bewährung. Wegen Bestechlichkeit in zwei Fällen, wegen Vorteilsannahme in drei Fällen, wegen Untreue. Diese Strafe beantragt die Staatsanwaltschaft am Dienstag vor dem Landgericht Regensburg im zweiten Wolbergs-Prozess. Der frühere OB, der wegen der Corona-Pandemie hinter Plexiglas sitzt, nimmt das beantragte Strafmaß zur Kenntnis. Nichts bewegt sich in seinem Gesicht. Wolbergs hat damit gerechnet. Alle haben damit gerechnet.

Zu Beginn des Plädoyers geht es nicht um Paragrafen oder Beweise. Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft beginnt, man kann es kaum anders nennen: mit einer Abrechnung. Er mache jetzt "seit über 20 Jahren diesen Job", sagt Oberstaatsanwalt Kastenmeier. Er habe mit Mördern zu tun gehabt und mit Totschlägern. "Mir ist noch nie ein solcher Hass auf meine Person entgegengeschlagen wie bei Herrn Wolbergs." Auch das muss man wissen: Schon im ersten Korruptionsprozess hatte Wolbergs den Oberstaatsanwaltschaft verspottet, immer und immer wieder. Als "Anstandswauwau", als "Obergschaftler". Im zweiten Prozess ging das so weiter. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die Staatsanwälte keine große Mühe gaben, die aufgeheizte Stimmung zwischen Anklägern und Angeklagtem zu entschärfen.

MeinungKorruptionsaffäre in Regensburg
:Sumpf mit System

Die Korruptionsaffäre in Regensburg zeigt mehr und mehr, wie gefährlich klein die Stadtgesellschaft doch ist. Der Politik zu nahe stand auch eine Richterin. Ihre Befangenheitsanzeige ist eine Chance für ein sauberes Verfahren.

Ein Kommentar von Andreas Glas

Nicht nur einmal hat Wolbergs den beiden Staatsanwälten vorgeworfen, sie hätten ihn, den Oberbürgermeister, "angezündet". Und zwar grundlos, nur aus Lust am Zündeln. Nun, im Plädoyer, kontert Oberstaatsanwalt Kastenmeier: "Wenn sich jemand angezündet hat, war es der Herr Wolbergs selber." Der frühere OB habe sich mit Spenden aus der Baubranche übergießen lassen, "bis er durchtränkt war". Dass Wolbergs behaupte, die Staatsanwaltschaft habe "die Stadt Regensburg zerstört und gespalten", das zeige nur, wie sehr sich Wolbergs "in seiner Wichtigkeit maßlos überschätzt", sagt Kastenmeier. Man dürfe "Ursache und Wirkung" nicht verwechseln. "Urheber dieses Strafverfahrens ist in allererster Linie der Täter."

Das Bild, das Kastenmeier und sein Kollege Wolfgang Voit in ihrem Plädoyer zeichnen, ist das eines kriminellen Systems, in dem Bauunternehmer schamlos mit Schmiergeld um sich warfen - und ein Politiker zumindest bereitwillig die Hand aufhielt. Als der Prozess im Herbst 2019 begann, saßen noch drei Männer aus der Baubranche auf der Anklagebank in Saal 104 des Landgerichts. Gegen einen wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Das Verfahren gegen einen weiteren Angeklagten wurde abgetrennt, das Urteil ist bereits gesprochen: Bestechung. Ein vierter Mann, Bauunternehmer Thomas D., trat nur als Zeuge im Prozess auf. Er hatte schon im Frühjahr 2018 einen Strafbefehl akzeptiert. Außer Wolbergs ist am Dienstag also nur noch Unternehmer Ferdinand Schmack als Angeklagter übrig. Für ihn fordert die Staatsanwaltschaft ein Jahr und vier Monate Haft, wegen Bestechung und Vorteilsgewährung, ebenfalls auf Bewährung.

Im Schmack-Komplex geht es um Spenden in Höhe von 80 000 Euro, die Schmack und sein Bruder, gegen den das Verfahren eingestellt wurde, auf das Konto des SPD-Ortsvereins Regensburg Stadtsüden überwiesen. Als das Geld floss, war Wolbergs noch SPD-Mitglied und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, über dessen Konto er seinen sehr teuren Wahlkampf für die OB-Wahl 2014 finanzierte. Zwar flossen die Schmack-Spenden, als Wolbergs noch nicht OB war, sondern Dritter Bürgermeister - doch laut Staatsanwaltschaft mit dem Ziel, sich Wolbergs "gewogen" zu machen, damit er sich nach dem Wahlsieg für Bauprojekte der Schmack-Brüder einsetzt.

Die Staatsanwaltschaft macht das etwa daran fest, dass sich die Brüder ausweislich ihrer Terminkalender mehrere Dutzend Mal persönlich zu Gesprächen mit Wolbergs trafen. Und auch an dieser seltsamen Liste mit Bauprojekten, die die Schmacks dem OB direkt am Tag nach seinem Stichwahlsieg im März 2014 zukommen ließen. Überschrift: "OB-Liste." Zwölf Punkte führten die Schmacks auf, jeweils mit "To Do" markiert. Für eines der Projekte unterschrieb Wolbergs im Herbst 2016 persönlich eine Baugenehmigung - obwohl das Projekt in der Stadtverwaltung umstritten war. Hatte die Unterschrift mit den Spenden zu tun? Wolbergs sagt: nein. Die Staatsanwaltschaft sieht das dagegen als erwiesen an.

Das Verhältnis zwischen Wolbergs und Unternehmer Thomas D. beschreibt Staatsanwalt Kastenmeier so: "Zwei Kümmerer vor dem Herrn." Der eine habe sich darum gekümmert, ein Bauprojekt seines Spenders voranzutreiben. Der andere habe sich gekümmert, dass Wolbergs seinen Wahlkampf bezahlen konnte - und die Privatschulden, die dem Ex-OB durch den Wahlkampf entstanden waren. "Man verstand sich offenbar blind", sagt Kastenmeier. Einmal, hatte Thomas D. als Zeuge berichtet, sei Wolbergs mit einem besonders hohen Spendenwunsch an ihn herangetreten. Kastenmeier kommentiert das so: "Der aktuelle Oberbürgermeister der Stadt Regensburg geht zu einem Bauträger und sagt: Ich bräuchte 200 000 Euro. Liebe Leute, hört's auf!"

Am kommenden Montag wird Wolbergs-Anwalt Witting sein Plädoyer halten. Wolbergs streitet die Vorwürfe ab. Sehr wahrscheinlich wird Witting einen Freispruch beantragen.

© SZ.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: