Süddeutsche Zeitung

Wolbergs-Prozess:Verteidiger fordert Einstellung des Verfahrens

Der suspendierte Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs muss sich erneut vor Gericht verantworten. Die Vorwürfe erinnern stark an den ersten Prozess - auch deshalb fordert sein Anwalt die Einstellung des Verfahrens.

Von Andreas Glas, Regensburg

Bevor es wieder losgeht, ein kurzer Moment der Ruhe. Joachim Wolbergs steht vor dem Gerichtsgebäude und raucht eine Zigarette. Das letzte Mal hat er hier vor 89 Tagen geraucht, nach dem ersten Korruptionsprozess. Wer dabei war, erinnert sich, wie Wolbergs damals vor die Reporter trat. Das Gericht hatte ihn gerade schuldig gesprochen, aber nicht bestraft und die meisten Anklagepunkte weggebügelt. Da stand er also, auf dem Flur des Gerichts, mit rotem Kopf und aufgerissenen Augen. Was man Wolbergs ansehen konnte: Wut und Genugtuung. Er sei "behandelt worden wie ein Stück Scheiße", blaffte er und dankte der Richterin "für die klaren Worte". Dann wandte er sich ab und sagte: "Ich geh jetzt eine rauchen."

Der rauchende Wolbergs, das ist bei den Prozessbeobachtern zum running gag geworden. Der suspendierte Regensburger Oberbürgermeister hat das selbst befeuert. Auf Instagram hat Wolbergs den Hashtag #ichgehjetzteinerauchen ins Leben gerufen. Jetzt also steht er wieder da, mit Zigarette, vor dem Landgericht. Aber die Genugtuung nach dem ersten Prozess ist aus seinem Gesicht gewichen.

Es ist Dienstag, 8.40 Uhr, gleich beginnt der zweite Korruptionsprozess gegen den OB. Für Wolbergs ist das auch so etwas wie ein running gag. Dass er die vielen Anklagen für einen wiederkehrenden Witz hält, daraus macht er kein Geheimnis. Im Gegenteil, es ist Wolbergs' zentrale Botschaft an diesem Dienstag im Gerichtssaal. Als die Staatsanwälte die Anklagen verlesen haben, tritt Wolbergs-Anwalt Peter Witting ans Rednerpult. Er sagt: "Wir beantragen, das hiesige Verfahren einzustellen."

So beginnt er also, der erste Tag des zweiten Prozesses gegen Wolbergs: mit einem Einstellungsantrag. Hinter dem Antrag steckt folgende, sehr grundsätzliche Frage: Steht der OB wegen Vorwürfen vor Gericht, die im ersten Korruptionsprozess bereits abgeurteilt wurden? Sein Anwalt sagt: ja. Er spricht von einem "Verbot der Doppelbestrafung" und einem "Befassungsverbot" für das Gericht.

Man muss wissen: Die Prozesse Wolbergs I und Wolbergs II ähneln sich mindestens in den Grundzügen. Bereits im ersten Verfahren saß neben Wolbergs ein Bauunternehmer auf der Anklagebank: Volker Tretzel. Großteils über ein Strohmannsystem floss zwischen 2011 und 2016 fast eine halbe Million Euro aus Tretzels Umfeld aufs Konto des SPD-Ortsvereins Stadtsüden, dessen Vorsitzender Joachim Wolbergs hieß. Hinter den Spenden steckte "kriminelle Energie", wie Richterin Elke Escher am Ende urteilte. Das Geld sollte demnach helfen, Wolbergs' Wohlwollen bei Grundstücksgeschäften zwischen Tretzels Baufirma und der Stadt Regensburg zu sichern. Das Gericht verurteilte Tretzel wegen Vorteilsgewährung zu zehn Monaten auf Bewährung und einer Geldauflage von 500 000 Euro. Joachim Wolbergs kam, wie erwähnt, straffrei davon.

Der Richter pflegt eine strengere Prozessführung als seine Kollegin im ersten Verfahren

Nun, zu Beginn des zweiten Verfahrens, ist die Konstellation im Gerichtssaal ganz ähnlich. Der selbe Saal, der selbe Oberbürgermeister auf der Anklagebank, dazu drei Männer aus der Baubranche. Zum einen Thomas R., Ex-Geschäftsführer einer Erlanger Immobilienfirma. Zum anderen die stadtbekannten Brüder Ferdinand und Martin Schmack, mit denen sich Wolbergs zwischen April 2012 und Juni 2016 mindestens 44 Mal persönlich getroffen haben soll.

Exakt doppelt so oft, 88 Mal, hatte sich Wolbergs laut Anklage binnen sechs Jahren mit Unternehmer Tretzel verabredet. 80 000 Euro sollen die Schmack-Brüder gespendet haben, 5000 Euro ließ Thomas R. laut Anklage auf das Konto des SPD-Ortsvereins Stadtsüden überweisen. Die Kernfrage, die über Prozess II steht, ist die gleiche wie bei Prozess I: Hat sich OB Wolbergs mit Spenden aus der Baubranche schmieren lassen?

Wegen derartiger Parallelen hatte die fünfte Strafkammer des Regensburger Landgerichts zunächst abgelehnt, einen zweiten Prozess gegen Wolbergs zu eröffnen. Sie sah eine "untrennbare Verknüpfung" zwischen den Vorwürfen im Zusammenhang mit den Tretzel-Spenden und den Spenden eines weiteren Bauunternehmers, der nun nur deshalb nicht auf der Anklagebank sitzt, weil er bereits einen Strafbefehl wegen Bestechung des OB akzeptiert hat: Thomas D.

Zwischen 2012 und 2016 soll D. rund 160 000 Euro an Wolbergs gespendet haben, um sich dessen Gunst bei einer Baugenehmigung zu sichern. Dass das Gericht diesen Fall erst nicht verhandeln wollte, darüber beschwerte sich die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Nürnberg (OLG). Mit Erfolg. Das OLG wertete die Vorwürfe in der Anklage als "eigenständige prozessuale Taten" - und setzte den zweiten Korruptionsprozess gegen Wolbergs doch noch durch. In der Folge ließ das Regensburger Landgericht auch die Anklagen zu den Spenden der Schmack-Brüder und zum Fall Thomas R. zu.

Eine Fehlentscheidung, findet der Wolbergs-Anwalt Witting. In einer teils komplexen Erklärung erläutert er am ersten Prozesstag, warum er die OLG-Entscheidung für rechtswidrig hält und deshalb die Einstellung des zweiten Prozesses gegen den OB fordert. Seine Argumentation baut Witting darauf auf, dass das OLG die Eröffnung der Hauptverhandlung damit begründet habe, dass neben den Korruptionsvorwürfen auch eine Verurteilung des OB wegen Untreue infrage kommt. Hier geht es um mögliche Strafzahlungen der SPD wegen der fragwürdigen Parteispenden. Diese Sicht des OLG erwähnt auch Richter Georg Kimmerl am ersten Prozesstag in einem rechtlichen Hinweis.

Wie die Kammer über den Einstellungsantrag entscheiden wird, lässt Kimmerl am Dienstag offen. Was sich dagegen abzeichnet: Dass der Richter eine strengere Prozessführung pflegt als Richterin Elke Escher im ersten Regensburger Korruptionsprozess. Schon zu Beginn geraten Kimmerl und Wolbergs-Anwalt Witting mehrfach aneinander. Auch die Staatsanwaltschaft tritt in anderer Besetzung auf als bei Prozess Nummer eins. Neben Wolfgang Voit sitzt Jürgen Kastenmeier, der im ersten Verfahren nur kurzzeitig anwesend war. Bei Kastenmeier handelt es sich um jenen Oberstaatsanwalt, den OB Wolbergs damals im Gerichtssaal als "Obergschaftler" verspottete. An diesem Dienstag dagegen sitzt Wolbergs still neben seinem Anwalt. Am 16. Oktober wird der Prozess fortgesetzt.

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SZ vom 02.10.2019/lfr
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