Süddeutsche Zeitung

Wolbergs-Urteil:Richter erkennt private Vorteile und kriminelle Energie

Regensburgs früherer Oberbürgermeister Wolbergs war nach Auffassung des Landgerichts korrupt. Er selbst schweigt zum Urteil, sein Verteidiger kündigt Revision an.

Von Andreas Glas, Regensburg

Er lehnt sich zurück, kaut seine Unterlippe, lehnt sich nach vorn. Er greift zum Handy, wischt darauf herum, legt es wieder weg, lehnt sich zurück in seinen Stuhl. Joachim Wolbergs fühlt sich unwohl, das kann man sehen. Der Uhrzeiger in Saal 104 des Regensburger Landgerichts springt auf 9.30 Uhr, die Richter betreten den Raum. Wolbergs drückt sich aus dem Stuhl, faltet die Hände vorm Bauch. Georg Kimmerl, der Vorsitzende Richter, spricht das Urteil über Regensburgs früheren Oberbürgermeister. Für die Strafkammer steht fest: Wolbergs war korrupt. Dann darf sich Wolbergs wieder setzen. Nichts bewegt sich mehr an diesem Mann, in diesem Gesicht. Es ist vorbei.

Nach 35 Verhandlungstagen ist der zweite Korruptionsprozess gegen Ex-OB Wolbergs zu Ende. Das Urteil lautet: Bestechlichkeit; dabei geht es um Parteispenden in Höhe von 75 000 Euro. Die Strafe: ein Jahr Haft auf Bewährung. Es gebe eine klare "Verbindung von Spenden mit dem Bauprojekt" des Bauunternehmers Thomas D., der schon im Frühjahr 2018 einen Strafbefehl wegen Bestechung akzeptiert hat. Von den übrigen Vorwürfen spricht das Gericht den früheren SPD-Politiker frei. Der mitangeklagte Bauunternehmer Ferdinand Schmack wird wegen Bestechung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt, er muss 63 000 Euro zahlen.

Als Wolbergs gegen 13 Uhr den Gerichtssaal verlässt, erinnert vieles an diese eine, bildgewaltige Szene im Juli 2019, nach dem Urteil im ersten Prozess: dieselbe Tür, durch die Wolbergs marschiert, dieselben Reporter, ein Knäuel aus Mikros und Kameras. Damals war der 49-Jährige ebenfalls verurteilt worden, wegen Vorteilsannahme, es ging ebenfalls um Spenden aus der Baubranche, nur der mitangeklagte Unternehmer hieß anders. Wolbergs war verurteilt worden, blieb aber straffrei. Dass er illegal handelte, sei ihm nicht bewusst gewesen, sagte die Richterin. Wolbergs interpretierte das als "faktischen Freispruch" und als er durch die Tür trat, vor die Reporter, mit rotem Kopf, da platzte der Zorn aus ihm heraus. "Klarer geht es nicht", blaffte er. Und dass man ihn behandelt habe "wie ein Stück Scheiße".

Diesmal? Bleibt Wolbergs nicht vor den Reportern stehen. Er dreht nach links ab, raus auf den Flur, harter Blick. Nur sein Anwalt Peter Witting macht kurz Halt. "Niederschmetternd, dieses Urteil", sagt Witting, man werde "mit Sicherheit" Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegen. Man darf davon ausgehen, dass Wittings Mandant die Dinge genauso sieht. Seit die Korruptionsaffäre ihren Anfang nahm, hat Wolbergs ja fast mantrahaft wiederholt, niemals käuflich gewesen zu sein. Und jetzt, nach vier Jahren? Hat ihm ein Gericht das Gegenteil bescheinigt.

Zu Beginn seiner Urteilsbegründung sagt Richter Kimmerl ein paar grundsätzliche Dinge. Etwa dazu, dass Wolbergs immerzu betont hat, dass nicht nur die SPD, sondern auch die CSU üppige, seltsam tranchierte Parteispenden aus der Baubranche bekam. Stimmt, sagt Kimmerl, aber "wenn jemand eine Straftat begeht, kann er sich nicht dadurch rechtfertigen, dass andere eine Tat in gleicher Weise begangen haben". Weit über eine Million Euro hatten SPD und CSU im Kommunalwahlkampf 2014 zusammengerechnet eingestrichen, vor allem aus der Bauwirtschaft. Summen, die man vielleicht in einer Millionenstadt erwartet, aber in Regensburg? "Ein außergewöhnliches Spendenvolumen", sagt der Richter. Alles, was diese Affäre nach oben gespült hat, deutet ja darauf hin, dass das Regensburger Spendensystem seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten existierte. Und dass diese Spendenpraxis in Regensburg "eine Selbstverständlichkeit angenommen" habe, sagt Kimmerl.

Die Spenden, die das Gericht nun bestraft hat, flossen nach Wolbergs Sieg bei der OB-Wahl 2014. Die insgesamt 75 000 Euro stammten vom Bauunternehmer Thomas D. Er trat im Prozess nur als Zeuge auf, weil er ja bereits einen Strafbefehl akzeptiert hatte. Wie "die Mafia" habe die CSU Spenden eingefordert, sagte Thomas D. im Gerichtssaal. Über Wolbergs sprach er netter, bestätigte aber, dass auch der SPD-OB mehrfach nach Spenden fragte, einmal sogar eine Summe von 150 000 bis 200 000 Euro ins Spiel brachte. Richter Kimmerl bezeichnet D.s Aussagen als "glaubwürdig" und sieht nicht nur im zeitlichen Zusammenhang zwischen D.s Spenden und Wolbergs Einsatz für dessen Bauprojekt den Beleg für Korruption. Auch sichergestellte E-Mails legen das nahe. "Bei der Wahl" habe Wolbergs "mir seine Hilfe angeboten", er müsse deshalb "mit ihm reden und ihn daran erinnern", schrieb D. in einer Mail an einen Kollegen, in der es um sein Bauvorhaben ging. Kurz darauf habe Wolbergs seine Verwaltung um einen "Lösungsvorschlag" gebeten, sagt Kimmerl, auch das gehe aus E-Mails und Zeugenaussagen hervor. Es habe sich um "eine Bitte" und "eine Gegenbitte" gehandelt, die Verbindung zu den Wahlkampfspenden sei offensichtlich, sagt Kimmerl.

Dann sagt er Sätze, die Wolbergs schwer treffen dürften. Dass Wolbergs von den Spenden "auch persönlich" profitiert habe, da er Geld brauchte, um einen Kredit zurückzuzahlen, den er privat aufgenommen hatte, um Wahlkampfschulden der SPD zu tilgen. Und Kimmerl sagt, es sei fernliegend, dass Wolbergs nicht gewusst habe, dass er strafbar handelte, als er sich für den spendenfreudigen Unternehmer stark machte. Er bescheinigt Wolbergs damit, was dieser immer bestritten hatte: private Vorteile, kriminelle Energie. Bei den übrigen Vorwürfen, den Spenden zweier Bauunternehmer aus Regensburg und eines fränkischen Projektentwicklers im Vorfeld der Wahl 2014, sah das Gericht keinen Beweis, dass sich Wolbergs beeinflussen ließ - und spricht ihn deshalb frei.

Weil das Disziplinarrecht vorsieht, dass ein bestechlicher Beamter bei einer Strafe von mehr als einem halben Jahr seinen Beamtenstatus los ist, verliert Wolbergs auch seine Pensionsansprüche, falls das Urteil rechtskräftig wird. Sein Amt hat er ja bereits verloren. Bei der OB-Wahl 2020 trat er zwar mit einer eigenen Liste wieder an, schaffte es aber nicht in die Stichwahl. Immerhin, sein Stadtratsmandat darf Wolbergs behalten, entschied das Gericht. Doch ob er nach diesem Urteil an seinem Mandat festhält? Auch dazu sagt Joachim Wolbergs nichts. Er verlässt das Gerichtsgebäude wortlos.

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SZ vom 18.06.2020/aner
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