Süddeutsche Zeitung

Regensburg:Tradinno zieht um

Der Hauptdarsteller des ältesten deutschsprachigen Volksschauspiels bekommt einen Platz im neuen Museum der Bayerischen Geschichte. Wegen seiner Ausmaße ist dort nur der Kopf des Further Drachens zu sehen

Von Hans Kratzer, Regensburg

Von außen betrachtet, herrscht auf der Baustelle des neuen Museums der Bayerischen Geschichte am Regensburger Donaumarkt eine erstaunliche Gelassenheit und Ruhe. Innen aber tobt die Arbeit. In sämtlichen Winkeln des Gebäudes werkeln Handwerker und Monteure konzentriert und unter Hochdruck. Bis zur Eröffnung des Museums am 5. Juni sind es nur noch wenige Monate. Wenn bis dahin alles blitzblank fertig sein soll, darf nichts mehr schiefgehen, der Zeitplan ist knapp genug bemessen.

Besucher sind jetzt nicht mehr gerne gesehen, sie gehen im Weg um. Am Donnerstag wurden dennoch Journalisten durch Teile des Gebäudes geführt. Die Gruppe wurde eng an die Hand genommen, die Sicherheitsauflagen sind enorm, nach dem verheerenden Brand, der die rechtzeitige Eröffnung des Museums verhindert hat, soll jetzt nichts Unvorhergesehenes mehr dazwischenkommen. Der Zugang ist gesichert wie ein Hochsicherheitstrakt. Auch wegen der kostbaren Leihgaben aus allerlei europäischen Museen, die schon eingetroffen sind. Auf ihnen lasten millionenschwere Versicherungssummen.

Manche Bühnen der künftigen Ausstellung sind fast fertig, manche Inszenierung springt schon jetzt ins Auge. Zum Beispiel jener wuchtige Strahler, der erste überhaupt, der ein Gebäude angestrahlt hat. Ende des 19. Jahrhunderts hat man ihn in Chicago aufgestellt, erbaut wurde er damals aber von der Firma Schuckert in Nürnberg. Spannung erzeugt vor allem der Kontext auf dieser Kleinbühne, denn neben dem Koloss werden Relikte des Schlierseer Bauerntheaters platziert, das damals kurz nach Inbetriebnahme des Strahlers im Lincoln Theatre in Chicago auftrat und vom Publikum begeistert gefeiert wurde.

An derlei Inszenierungen, die historisch stimmig wirken, hat Richard Loibl, der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte und federführender Gestalter des Museums, seine helle Freude. Und nicht nur das. "Wir sind gut im Zeitrahmen", sagte er beim Rundgang am Donnerstag. Ein Drittel der Ausstellung sei fertig, "wir sind ziemlich sicher, dass wir es bis zur Eröffnung beinahe hundertprozentig schaffen". Ein Reporter hörte bei diesem Satz durchaus einen gewissen Vaterstolz heraus. Loibl zuckte mit den Schultern und sagte: "Ich mach halt so was gerne!" Er zitierte aber auch den alten Spruch, dass es Lebenszeit koste, ein Museum zu planen. "Ich hab jetzt drei Museen gebaut, das stelle ich jetzt ein", sagte er lächelnd.

Wie Bayern Freistaat wurde und was ihn so besonders macht, so lautet der Leitsatz des neuen Museums, in dem die jüngere Geschichte Bayerns von 1806 bis heute gezeigt werden soll. Neben der historischen Zeitreise wird es im Rundgang sogenannte Kulturkabinette geben, die sich Phänomenen widmen, die für Bayern typisch sind. Eines dieser Kabinette, das bereits fertig ist, gehört den Festen und Bräuchen, zu denen das Schauspiel und das Spielerische untrennbar dazugehören. "Wir wären ja blöd gewesen, wenn wir das nicht genutzt hätten", sagte Loibl. Drei Feste werden dabei szenisch hervorgehoben, das Oktoberfest in München, die Landshuter Hochzeit und der Further Drachenstich, das älteste deutschsprachige Volksschauspiel überhaupt. Dessen Ursprung geht auf eine Kampfszene zwischen dem heiligen Georg und dem Drachen bei der Fronleichnamsprozession zurück. 1886 wurde dem Lindwurm ein eigenes Festspiel gewidmet, weil das Spektakel die Andacht gestört hatte. Heute sind die alljährlich im August stattfindenden Festwochen weltbekannt.

Der Further Bürgermeister Sandro Bauer (CSU) platzte fast vor Stolz, dass der Tradinno, wie der Drache genannt wird, soeben eine Kopie im Museum bekommen hat, nachdem der Drachenstich bereits ins Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes eingetragen wurde. Im Museum ist aber wegen der riesenhaften Ausmaße des Originals nur ein 1:1-Nachbau des Drachenkopfs zu sehen. Der Schreitroboter, der 2010 sein Debüt gab, gilt als Hightech-Sensation. Die Firma Magicon hat im Museumskopf einige Kleinigkeiten eingebaut, die nur dort zu sehen sind, etwa dass der Drache einen Goldzahn trägt. Er ist auch imstande, mit dem Auge zu zwinkern, begleitet von einem mordsmäßigen Brüller. "Wir wollen einen Blick hinter die Klischees werfen", sagte Loibl, nicht ohne zu ergänzen, dass diese Klischees meistens stimmen.

200 Vitrinen werden im Museum bespielt werden, jede ist quasi maßgeschneidert und erfüllt höchste Qualitätskriterien. Bei manchen Exponaten muss die Temperatur bis zur Dezimalstelle genau eingehalten werden. Die Schadstoffabsonderung der Vitrinen liege weit unter allen Grenzwerten, "es gibt zurzeit weltweit nichts Besseres", schwärmte Loibl über die technische Güte des Museums.

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SZ vom 22.03.2019
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