Wahlfälschungsaffäre:Verteidigung wirft Stadt "schwere Versäumnisse" vor

Prozess um Wahlbetrug in Geiselhöring

Wegen mutmaßlicher Wahlfälschung in Geiselhöring müssen sich mehrere Tatverdächtige vor dem Landgericht Regensburg verantworten.

(Foto: dpa)
  • Der Prozess gegen Karl B., Drahtzieher der Geiselhöringer Wahlfälschungsaffäre, wird fortgesetzt und nicht, wie der Richter zunächst vorgeschlagen hatte, gegen Zahlung von 100 000 Euro eingestellt.
  • B.s Verteidigerinnen und ein Gutachten werfen der Stadt Geiselhöring schwere Versäumnisse vor.
  • Laut Anklage sollen mehr als 400 rumänische Erntehelfer des Spargelbauern Karl B. bei der Kommunalwahl 2014 in Geiselhöring zu Unrecht gewählt haben.

Von Andreas Glas, Regensburg

Es kommt dann doch anders als erwartet. Bei dem, was in Geiselhöring geschah, handle es sich um einen "einzigartigen Vorfall", sagt Staatsanwältin Christine Müller am Montag im Saal 101 des Regensburger Landgerichts. Auch "wegen der Schwere der Tat" bedarf es "einer weiteren Aufklärung". Damit steht fest: Der Prozess gegen Karl B. wird fortgesetzt. Der Spargelbauer gilt als Drahtzieher der Geiselhöringer Wahlfälschungsaffäre, die bundesweit Schlagzeilen machte.

Zu Prozessbeginn am vergangenen Dienstag sah es noch anders aus. Der Richter regte an, das Verfahren gegen Karl B. einzustellen - gegen Zahlung von 100 000 Euro. Die Staatsanwältin bat um Bedenkzeit, sprach über "triftige Punkte, die für eine Einstellung sprechen" - und sorgte für Entsetzen. "So kann dieser Fall nicht beerdigt werden", sagte Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der "um den Ruf des Rechtsstaats" fürchtete. Auch Kommunalpolitiker äußerten sich fassungslos. "Unvorstellbar", "Katastrophe", "das Schlimmste, was passieren kann". Das waren die Kommentare quer durch alle Parteien.

Laut Anklage sollen mehr als 400 rumänische Erntehelfer des Spargelbauern Karl B. bei der Kommunalwahl 2014 in Geiselhöring zu Unrecht gewählt haben. Der 56-jährige B. "leitete, überwachte und koordinierte" demnach die Wahlfälschung zugunsten mehrerer CSU-Kandidaten. Dazu gehörten B.s Ehefrau, die für den Kreistag kandidierte, sein Cousin, eine Mitarbeiterin seiner Firma und der Freund seiner Tochter, die sich jeweils für den Stadtrat bewarben. Nach Bekanntwerden des Betrugsverdachts wurde die Geiselhöringer Kommunalwahl wiederholt.

Wer nur die Anklage liest, dem fällt es leicht, Karl B. für einen Betrüger zu halten. Und vielleicht stimmt das ja auch. Doch wer sich näher mit dem Fall befasst, der muss auch danach fragen, ob die Stadt Geiselhöring Mitschuld trägt an der Wahlfälschungsaffäre. Konkret geht es um die Frage, warum die Stadt für mehr als 400 rumänische Saisonarbeiter Wahlscheine ausstellte - und damit erst die Voraussetzung schuf, dass B.s Erntehelfer an der Kommunalwahl teilnehmen konnten?

"Höchst fragwürdig" finden B.s Verteidigerinnen Dörthe Korn und Mayumi Weinmann, wie die Stadt Geiselhöring mit dem Wahlrecht umging. Auch der Richter machte deutlich, dass das Wahlamt "dazu beigetragen hat, dass es zur Wahl durch die rumänischen Erntehelfer überhaupt gekommen ist". Hierzu hat Karl B. ein Gutachten bei Gerrit Manssen in Auftrage gegeben, einem Rechtswissenschaftler der Universität Regensburg. In dem Gutachten, das der SZ vorliegt, heißt es, die Stadt hätte "von Beginn an Zweifel an der Wahlberechtigung dieser europäischen Landarbeiter haben" müssen. Manssen schreibt über "schwere Versäumnisse" der Stadt, die "Augen und Ohren verschlossen und mehr oder weniger bewusst falsche Wählerverzeichnisse angelegt" habe. Hat sich das Geiselhöringer Wahlamt unfreiwillig zum Komplizen eines Betrügers gemacht?

Laut Manssen hätte die Stadt genauer untersuchen müssen, ob die Saisonarbeiter neben ihrem Wohnsitz in Geiselhöring auch einen Wohnsitz in Rumänien hatten. Denn nur EU-Bürger mit dauerhaftem Lebensmittelpunkt in Deutschland dürfen an einer Kommunalwahl teilnehmen. Dass es sich um Saisonarbeiter handelte, habe der Stadt bekannt sein müssen. "Es wäre hinreichend Anlass geboten gewesen", so findet Manssen, "die Erteilung der Wahlscheine genauer zu prüfen."

Bürgermeister Lichtinger will zunächst den Prozess abwarten

Und was sagt die Stadt Geiselhöring? Er sei sicher, dass die Mitarbeiter im Wahlamt nach "bestem Wissen und Gewissen" gearbeitet hätten, sagt Bürgermeister Herbert Lichtinger (CSU). Er wolle zunächst den Prozess abwarten. Sollten sich Fehler der Stadt herausstellen, "werden wir schauen, was sich für die Zukunft ändern muss", sagt Lichtinger. Für ihn sei zunächst wichtig, "dass sämtliche Fakten auf den Tisch kommen", damit es endlich ein Urteil gebe und Geiselhöring wieder zur Ruhe komme.

Für B.s Verteidigerinnen ist die Sache bereits klar: Da die Erntehelfer Wahlscheine bekamen, habe ihr Mandant davon ausgehen müssen, dass sie wahlberechtigt waren. Deshalb sei es legitim, dass der Spargelbauer seine Erntehelfer ermuntert habe, bei der Kommunalwahl für Kandidaten aus seinem Umfeld zu stimmen. Laut Anklage jedoch hat Karl B. seine Erntehelfer nicht einfach ermuntert - er soll für 427 Personen Briefwahlunterlagen angefordert haben, um "die Stimmzettel in seinem Sinne auszufüllen oder ausfüllen zu lassen". Drei mitangeklagten Rumänen soll er Geld versprochen haben, damit sie seinen Plan unterstützten. In einigen Fällen sollen die Angeklagten Stimmzettel selbst beschriftet haben, in anderen Fällen seien B.s Helfer nach Rumänien gefahren, um die vermeintlich Wahlberechtigten an ihrem wahren Wohnsitz zu besuchen, die Zettel in B.s Sinne ausfüllen zu lassen, und wieder zurück zu bringen. Zudem soll Karl B. 92 Rumänen vor der Wahl "Scheinwohnungen" in Geiselhöring verschafft haben.

B.s Verteidigerinnen weisen sämtliche Vorwürfe zurück. B.s mutmaßliche Helfer dagegen belasteten den Spargelbauern am Montag im Gerichtssaal. Ihre Aussagen stützten im Wesentlichen die Anklage der Staatsanwaltschaft. Dabei war auch von "Druck" die Rede, den B.s mutmaßliche Helfer gespürt hätten. Der Mann und die zwei Frauen waren in einer Firma tätig, die den Einsatz der Erntehelfer koordinierte. Am Ende sei nicht mal das Geld geflossen, das B. ihnen für die Hilfe bei der Wahlmanipulation versprochen habe.

Anders als bei Karl B. stimmte die Staatsanwaltschaft im Fall der drei Mitangeklagten dem Vorschlag des Richters zu, deren Verfahren wegen Beihilfe zur Wahlfälschung einzustellen - gegen Zahlung von je 1000 Euro. Wann es zu einem Urteil gegen Karl B. kommt, ist noch nicht absehbar. Weil B.s Verteidiger erst kurz vor Prozessbeginn Einsicht in alle digitalisierten Ermittlungsakten bekamen, stellten sie den Antrag, das Verfahren auszusetzen, um die Akten noch studieren zu können. Nachdem der Prozessauftakt schon einmal verschoben wurde, könnten bis zur Fortsetzung weitere Monate vergehen.

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