Prozess in Regensburg:"Da steckt erhebliche kriminelle Energie drin"

Ein Mann soll über Jahre hinweg wie ein Sektenführer Frauen um sich geschart und die Tochter einer Anhängerin sexuell missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft fordert achteinhalb Jahre Haft.

Aus dem Gericht von Lisa Schnell, Regensburg

Aryah D. wirkt an diesem Tag wenig charismatisch. Mit gebeugtem Rücken schlurft ein kleiner Mann in den Gerichtssaal, er verschwindet fast unter seiner grünen Jacke, die Füße sind gefesselt, das Metall klackt auf dem Boden. Als er die Kapuze vom Kopf zieht, kommt das runde Gesicht eines älteren Mannes zum Vorschein, weißer Vollbart, Nickelbrille.

Ein Mann mit "Charisma", der "hochmanipulativ vorgeht, raffiniert sexuelle Kontakte plant", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Kamm über den Angeklagten in seinem Plädoyer am Mittwoch vor dem Landgericht Regensburg. Es ist der vorletzte Tag in einem Verfahren, in dem immer neue Skurrilitäten und Abgründe auftauchten. Aryah D. soll seit 1990, einem Sektenführer gleich, eine Gruppe von Frauen um sich geschart haben, die ihm offenbar blind ergeben waren. Etwa jedes zweite Wochenende missbrauchte er laut Anklage vier Jahre lang die Tochter einer Anhängerin. Er war damals 58 Jahre alt, das Mädchen zehn. So steht es in der Anklage, so sagt es Oberstaatsanwalt Kamm in seinem Plädoyer.

Es gehe um 75 Taten, "die mit dem Eindringen in den Körper verbunden waren", sagt Kamm und damit um schweren sexuellen Missbrauch. Auf die Einzelheiten wolle er nicht eingehen. Sie sind erschreckend. D. soll die anfangs Zehnjährige unter anderem in seinem Haus im niederbayerischen Rattenberg (Landkreis Straubing-Bogen) vergewaltigt haben, sie in einem Hotel, in dem er Seminare hielt, missbraucht haben, sowie auf einer Busfahrt. Dabei saß die Mutter nur zwei Reihen vor ihrer Tochter. So ergaben es die Ermittlungen. D. hat all diese Taten in einem Geständnis eingeräumt, das er seinen Anwalt vortragen ließ. Jetzt geht es um die Strafe.

Oberstaatsanwalt Kamm plädiert für eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Die mehr als zwei Jahre eingerechnet, zu denen D. bereits wegen Steuerhinterziehung verurteilt ist. Der Täter sei "voll schuldfähig", sagt Kamm und beschreibt dessen Charakter. Aryah D. habe zwar Züge narzisstischer und psychopathischer Art, für eine medizinische Diagnose reichten sie aber nicht aus, auch eine pädophile Neigung sehe er nicht. D. könne sich nur schwer in andere hineinversetzen, habe ein gesteigertes Selbstwertgefühl und reagiere bei Ablehnung schnell gekränkt, auch aggressiv.

Zwischenmenschliche Beziehungen gestalte er "sehr ausbeuterisch" und nutze seine charismatischen Fähigkeiten dafür, "Frauen zu Sexkontakten zu bringen". Als D. all das über sich hört, blickt er zu seinem Anwalt, der beinahe unmerklich den Kopf schüttelt.

Kamm zitiert die Aussagen einer Gutachterin, die sich vor allem auf Erzählungen von D.s Anhängerinnen stützen. Diese berichteten, dass D. bei Verfehlungen Strafzahlungen verhängte, bis zu fünfstellige Summen. Sie glaubten ihm, dass er Kontakt zu Außerirdischen habe und Sexualkontakte mit ihm eine positive Wirkung auf eine Verbindung zur anderen Art haben könnten. Die Mutter des Mädchens, das D. missbraucht haben soll, sprach von "Psychoterror". Sie wusste den Ermittlungen zufolge vom Leid ihrer Tochter, sagte aber nichts, weil sie die Ablehnung der anderen fürchtete.

Die Verteidigung fordert eine Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren

Alle Taten wögen gleich schwer, sagt der Oberstaatsanwalt. D. sei "planvoll und manipulativ" vorgegangen, er habe Druck auf das Mädchen ausgeübt, damit es nichts erzähle, noch heute leide es unter "erheblichen psychischen Folgen". Sein Fazit: "Da steckt erhebliche kriminelle Energie drin." Er zählt aber auch entlastende Umstände auf. Am wichtigsten sei das Geständnis, sagt Kamm. "Auch wenn es dürr war", auch wenn D. nicht selbst gesprochen habe, sondern nur sein Anwalt. Es müsse zu seinen Gunsten gewertet werden, dass er der 16-Jährigen eine Aussage erspart habe: "Das hätte vieles wieder aufgewühlt."

Auch D.s Reuebekundung erwähnt Kamm, er sei sich aber nicht sicher, was D. bereut, "die Folgen für das Opfer oder die Folgen, die die Taten für ihn selber haben". Berücksichtigt werden müsse aber, dass D. eine Haft aufgrund seines Alters und gesundheitlicher Probleme mehr belasten würde. Zudem habe D. Verantwortung übernommen, indem er der 16-Jährigen 50 000 Euro überwies. Dazu komme, dass D. bis zur Anklageerhebung nicht vorbestraft war. Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kam erst danach und zeigte, dass er mit seinem Kult offenbar mehr als eine Million Euro verdient hatte. Eine Sicherungsverwahrung lehnt Kamm ab, da nicht eindeutig nachgewiesen werden könne, dass D. weiterhin eine Gefährdung darstelle.

Thomas Jupp, der Anwalt von Aryah D., hält sich kurz in seinem Plädoyer. Die meisten entlastenden Punkte hat die Staatsanwaltschaft schon erwähnt. Er ergänzt, dass die Reue seines Mandanten ernst gemeint gewesen sei und eine Haft auch des- halb belastender sei, weil der Angeklagte als US-amerikanischer Staatsbürger kein Deutsch spreche. Jupp fordert eine Gesamtstrafe von nicht mehr als fünf Jahren Freiheitsentzug. Das Urteil wird am nächsten Mittwoch erwartet.

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