Missbrauchs-Prävention:Therapie statt Taten

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Ein Mann hat in Moosach versucht, ein kleines Mädchen in sein Auto zu locken. (Foto: Thomas Imo/photothek.net/imago)

Um sexuelle Übergriffe auf Kinder zu verhindern, gab es in Regensburg neun Jahre lang ein ambulantes Behandlungsangebot für Pädophile. Nach zwei Jahren Zwangspause nimmt das Projekt nun einen neuen Anlauf.

Von Sonja Hößl, Regensburg

"Ich kam mir irgendwann vor, als hätte ich die Pest", sagt Thomas Loew. Seit Dezember 2021 leitet der Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Präventionsambulanz des Netzwerks "Kein Täter werden" in Regensburg. Über ein halbes Jahr hatte er nach einem Ort für die Therapie von Pädophilen gesucht. "Sobald ich den eventuellen Vermietern mitteilte, wofür wir die Räume nutzen würden, wollten auch renommierte Institutionen uns nicht hinter ihren Mauern haben", berichtet er. Über 20 Objekte habe er besichtigt, bis er erfolgreich war. Denn die Räume müssen anonyme Treffen der Teilnehmer ermöglichen, am Universitätsklinikum war dafür kein Platz. Das Projekt rührt an ein gesellschaftliches Tabu, das auch die Therapie Betroffener umfasst. Dabei soll es sexuelle Übergriffe auf Kinder verhindern.

Das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" gab es in Regensburg bereits von 2010 bis 2019. Damals leitete Michael Osterheider den Standort in der Oberpfalz. Doch das Projekt wurde beendet, als Osterheider in den Ruhestand ging. Es fand sich kein Nachfolger. Die damals knapp 70 Patienten aus einem weiten Umkreis mussten an niedergelassene Psychotherapeuten vermittelt werden. Mit der Rückkehr nach Regensburg bietet "Kein Täter werden" nun an insgesamt drei Standorten in Bayern anonyme und kostenlose Therapien für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Weitere Anlaufstellen im Freistaat sind München und Bamberg.

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Pädophilie betrifft laut Loew allein in der Oberpfalz und in Niederbayern etwa 2000 Menschen. Viele sind damit allein, und nicht alle haben sich dauerhaft unter Kontrolle. "Die Anzahl der Personen, die wir erreichen, liegt bisher im zweistelligen Promillebereich", sagt er. Seit Dezember haben sich nach seinen Angaben acht Personen telefonisch an "Kein Täter werden" in Regensburg gewandt. Es handele sich um Männer verschiedenen Alters und unterschiedlicher Berufe. Die Wiederaufnahme des Projekts in Regensburg sei nur dank der Bayerischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie möglich gewesen, betont Loew. Sie hat die Trägerschaft für die ambulante Behandlung 2021 übernommen.

Die Stigmatisierung, die die Errichtung des Regensburger Standorts erschwert hatte, hebt auch eine Regensburger Studie aus dem Jahr 2015 hervor, die sich mit dem Meinungsbild zu Pädophilie in der Gesellschaft befasst. In deren Rahmen sprachen sich 49 Prozent der Befragten für eine rein präventive Inhaftierung von Pädophilen aus, die noch keinen sexuellen Missbrauch begangen hatten. 27 Prozent wünschten Nicht-Tätern mit sexuellem Interesse an Kindern sogar den Tod. Auf der Internetseite von "Kein Täter werden" betont das Netzwerk, dass nicht zwangsläufig jeder Pädophile sexuelle Übergriffe begehe oder Kinderpornographie nutze. Präventive Hilfe für Betroffene sei daher wichtig, um Opferschutz auf Täterseite zu betreiben, also Taten zu verhindern.

Das Problem der Tabuisierung von Pädophilie trete auch unter Psychotherapeuten auf, sagt Loew. "Die sexualmedizinische Weiterbildung kommt bei der Psychotherapeutenausbildung viel zu kurz", kritisiert er. Viele Therapeuten und besonders Therapeutinnen hätten Angst vor Betroffenen. Auf der anderen Seite trauten sich Pädophile oftmals nicht, ihr Problem gegenüber Therapeuten anzusprechen, da sie Ablehnung als Reaktion fürchten. Es sei daher wichtig, dass auch Psychotherapeuten, die nicht für "Kein Täter werden" arbeiten, im Umgang und der Behandlung von Pädophilen geschult werden, sagt Loew. Für sein Team sucht er derzeit noch einen geeigneten Therapeuten.

Seit Start des Projekts in Regensburg bietet die Ambulanz zweimal wöchentlich Telefonsprechstunden für Betroffene an. Seit etwa zwei Wochen finden außerdem die ersten Gespräche zur Diagnose statt. "Wir erwarten, dass sich in den kommenden Wochen noch mehr Leute melden", sagt Loew. Es müsse sich erst herumsprechen, dass das Netzwerk auch in Regensburg erneut Therapien anbiete. An der Therapie dürften nach Angaben des Netzwerks nur Menschen teilnehmen, gegen die nicht strafrechtlich ermittelt wird. Neben Personen, die noch keinerlei Übergriffe begangen oder Abbildungen sexuellen Kindesmissbrauchs - wie Kinderpornographie - genutzt haben, richtet sich das Projekt auch an Menschen, die bereits zum Täter geworden sind. Erneute Übergriffe sollen so verhindert werden. Die Therapie dauert ein bis zwei Jahre und unterliegt der Schweigepflicht, was vergangene Taten betrifft. Die ersten Therapiesitzungen, die einmal pro Woche in Gruppen von maximal sechs Leuten stattfinden werden, könnten bereits im März beginnen.

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