Regensburg:Obergschaftler = Wichtigtuer

Im Korruptionsprozess überlagern Nebensächlichkeiten wie Wolbergs' Verhalten zum Teil die wichtigen Fragen

Von Andreas Glas, Regensburg

Die Zuschauer lachen, die Richterin bittet um Ruhe. Natürlich weiß Elke Escher, dass der Beschluss urkomisch ist, den sie gerade vorliest. Doch ihre Miene bleibt finster, der Richterin ist es ernst. Ihr Beschluss soll beurteilen, ob es eine Beleidigung war, als der Oberbürgermeister den Oberstaatsanwalt neulich einen "Obergschaftler" nannte. Der Beschluss umfasst mehrere Seiten, Escher liest minutenlang daraus. Und minutenlang müssen sich die Zuschauer das Kichern verkneifen.

Der "Obergschaftler" sei "eine Steigerung des Begriffs Gschaftler", doziert die Richterin. Der "Gschaftler" wiederum sei "eine Kurzform der Bezeichnung Gschaftlhuber". Dabei handle es sich um eine Person, die "unangenehm betriebsam ist" und "Bestätigung sucht". Der bairische Begriff "Obergschaftler" sei daher gleichzusetzen mit dem hochdeutschen "Wichtigtuer", sagt die Richterin. Um es kurz zu machen: Elke Escher lehnt den Antrag der Staatsanwaltschaft ab, den "Obergschaftler" ins Protokoll aufzunehmen. Der Begriff sei keine Beleidigung und von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Während Escher doziert, wird sie von einem älteren Herrn beobachtet, der in der ersten Zuschauerreihe sitzt und durch ein Opernglas schaut - offenbar aus Neugier, ob die Richterin vielleicht doch noch eine Miene verzieht. Doch selbst als sie ihren Beschluss zu Ende gelesen hat, bleibt sie ernst. Den "Obergschaftler" lässt sie dem suspendierten Regensburger Oberbürgermeister zwar durchgehen. "Unhöflich und respektlos" sei Joachim Wolbergs' (SPD) Wortwahl trotzdem gewesen, sagt Escher. Sie ist erkennbar genervt vom Ton, den der OB seit Beginn des Korruptionsprozesses anschlägt. Sie ermahnt ihn, "in Zukunft mehr auf die Wortwahl zu achten". Wolbergs gibt sich einsichtig. Es tue ihm leid, dass er "gelegentlich ausgeflippt" sei. Er verspricht: "Das mache ich nicht mehr." Er hat das schon einmal versprochen, gleich am zweiten Prozesstag. Seinen Vorsatz hat er dann aber schnell wieder über den Haufen geworfen.

Einmal mehr überlagert also eine Nebensächlichkeit die wichtigen Dinge im Wolbergs-Prozess. Zu den wichtigen Dingen gehört an diesem Mittwoch erneut die Frage, ob sich der OB pflichtwidrig für den mitangeklagten Bauunternehmer Volker Tretzel einsetzte, aus dessen Umfeld rund 475 000 Euro an Parteispenden auf ein SPD-Konto flossen, auf das Wolbergs Zugriff hatte. Diesmal geht es nicht um das Wohnbaugebiet namens Nibelungenareal, das im Prozess bereits abgehandelt ist. Es geht um Gewerbegrund der Firma Tretzel, den die Stadt in ein Wohnbaugebiet umwandeln sollte. Laut Anklage soll Tretzel dem OB im Zusammenhang mit diesem Projekt 200 000 Euro versprochen haben.

Als Zeugin ist Regensburgs Baureferentin Christine Schimpfermann geladen, die Wolbergs in Schutz nimmt. Sie spricht über ein "normales Verfahren", das "in Abstimmung mit Herrn Wolbergs" erfolgt sei. Doch habe sich der OB nie in einer Weise eingemischt, die ungewöhnlich gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft wiederum verweist auf ein Telefonat, das von den Ermittlern abgehört wurde. Darin habe Tretzel dem OB besagte 200 000 Euro angeboten. Auch das Gericht habe das Telefonat in seinem Eröffnungsbeschluss so interpretiert, dass Wolbergs das 200 000-Euro-Angebot "konkludent" angenommen habe. Gegen diese Interpretation wehren sich sowohl Wolbergs als auch die Tretzel-Verteidiger. Der Korruptionsprozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

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