Regensburg:Mit dem Regensburger Jahnstadion verschwindet ein Bolzplatz voller Geschichten

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Vom alten Jahnstadion in Regensburg wird bald nichts mehr übrig sein.

(Foto: Sebastian Pieknik)
  • Seit knapp zwei Jahren spielt der SSV Jahn Regensburg nicht mehr im alten Jahnstadion, sondern in der neu gebauten Continental Arena.
  • Nun wird das alte Stadion abgerissen, auf dem Gelände soll eine Grundschule entstehen.

Von Andreas Glas, Regensburg

Er steht jetzt ungefähr da, wo er damals draufgezimmert hat, ein paar Meter hinter der Strafraumlinie. Er hat draufgezimmert, die Latte hat gezittert, aber der Ball sprang zurück ins Spielfeld. Das war 1967, es war sein erstes Spiel für den SSV Jahn, und dieser Torschuss ist seine erste Erinnerung an diesen Ort. "Das weiß ich noch ganz genau", sagt Alfred Kohlhäufl. Nun, 50 Jahre später, ist er zurückgekommen ins Jahnstadion. Er wird auch diesmal eine Erinnerung mitnehmen. Eine allerletzte.

Kohlhäufl, 70, steht auf einem Spielfeld, das keines mehr ist. Es wächst kein Gras mehr, der Platz ist ein Trümmerfeld aus Steinen, Schutt und Stahl. Die Strafraumlinie, den Ball, die zitternde Latte, man muss sich das alles dazudenken, wenn Kohlhäufl erzählt. "Mein Gott", sagt er, als der Bagger seine Kralle ausfährt und das Wellblech vom Dach der Haupttribüne reißt. Sechs, sieben Wochen noch, dann ist Ende, dann wird das Jahnstadion eine einzige, ebene Fläche sein.

Als das Stadion am 19. September 1926 eröffnet wurde, hieß es noch Jahn-Platz. Und so sah es dort auch aus: wie auf einem stinknormalen Fußballplatz. In den Jahren danach kam die Haupttribüne dazu, mehr und mehr Stehplätze, und auf der Gegengerade: der Turm, das Markenzeichen des Stadions. Ein quaderförmiger Bau, etwa sieben Meter hoch, mit mechanischer Uhr und manuell bedienbarer Anzeigetafel. Direkt drunter war der Stammplatz derjenigen, die heute Ultras heißen: die treuesten Fans. Der Turm immerhin wird nach dem Abriss stehen bleiben, als Denkmal. Er soll in den Neubau der Grundschule integriert werden, die hier gebaut wird.

Noch aber ist das Stadion nicht weg und wer sich so umschaut, kann kaum glauben, dass hier vor zwei Jahren noch Fußball gespielt wurde. Das Stadion war ja schon damals nicht mehr zeitgemäß, es war morsch und abgeranzt. Ein brutaler Kontrast zu den modernen Plastikstadien, die jetzt überall stehen und nicht mehr Stadien heißen, sondern Arenen. Das neue Regensburger Stadion heißt auch so: Continental Arena. Dorthin ist der SSV Jahn vor knapp zwei Jahren umgezogen. Raus aus der Stadt, neben die Autobahn.

"Ein Super-Stadion", sagt Alfred Kohlhäufl über die neue Arena. Er ist da Realist: "Man muss sehen, dass der heutige Zuschauer mehr Komfort möchte. Es ist halt eine andere Zeit." Er hat ja irgendwie recht, die Arena ist hübscher, größer, komfortabler. Aber nur das Jahnstadion erzählt die Geschichte eines Vereins, bei dem der Fußball noch im 21. Jahrhundert nach Gras roch und wo die Spieler nie genau wussten, ob das Duschwasser in den Kabinen warm oder kalt aus der Leitung kommt. Die neue Arena hat zwei noble VIP-Etagen, der Promi-Bereich im Jahnstadion war ein Baucontainer, und wenn der Stehplatz-Fan mal musste, dann musste er in eines dieser mobilen Klohäuschen steigen.

Jeder Fan kann eine Anekdote erzählen

Es gibt so viele Anekdoten über das Stadion an der Prüfeninger Straße. Jeder Fan, jeder Spieler hat da seine eigenen, auch Alfred Kohlhäufl. Insgesamt fünf Jahre hat er für den SSV Jahn gespielt, meistens im Mittelfeld, von 1967 bis 1969 und von 1970 bis 1973, die Jahn-Fans haben ihn in die Jahrhundertelf gewählt. Ein Spiel im Jahnstadion ist ihm besonders in Erinnerung geblieben, in der Saison 1971/72, Regionalliga Süd, gegen den Freiburger FC. Der Jahn spielte, wie immer, in Rot, die Freiburger in grünen Trikots. "Ich habe eine Rot-grün-Schwäche", sagt Kohlhäufl, "ich habe einen Fehlpass nach dem anderen gespielt, weil ich das so schlecht auseinander gekannt habe. Das war das einzige Spiel, in dem ich ausgewechselt worden bin."

Und selbst jetzt, da es abgerissen wird, erzählt das Jahnstadion noch Geschichten. Vor drei Wochen entdeckten die Abrissarbeiter unter der Holzdecke der Sportgaststätte mehrere Fresken des Malers Max Wissner (1873 bis 1959). Sie zeigen die Gründer des SSV Jahn und die Vorstände des Jahntribüne-Bauvereins. Weil die Fresken direkt auf den Putz aufgemalt waren, wurden sie samt Holzdecke ausgesägt, in der Sportgaststätte unter der Haupttribüne klafft deshalb ein Loch in der Decke. Die Malereien sollen jetzt restauriert und ausgestellt werden.

Sogar die Brasilianer haben im Jahn-Stadion gespielt

Zur Geschichte des Jahnstadions gehören auch die Olympischen Spiele 1972 in München. Damals wurden mehrere Vor- und Zwischenrundenspiele in Regensburg ausgetragen. Die Brasilianer haben hier gespielt, die Ungarn, die Polen, die Sowjets. Die Regensburger werden aber vor allem die Erfolge des SSV Jahn mit dem Jahnstadion in Erinnerung behalten. Etwa die Saison 1974/75, als der Jahn zum ersten Mal in die neu geschaffene zweite Bundesliga aufstieg. Zu einer Zeit, als man es mit der Sicherheit in Fußballstadien noch nicht so genau nahm. Auch Alfred Kohlhäufl kann sich an ein Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg erinnern, mit 25 000 Zuschauern. In einem Stadion, das nur für halb so viele Menschen ausgelegt war. Der Rekord, im Februar 1950, lag sogar bei 30 000.

Noch zweimal ist der SSV Jahn Regensburg im Jahnstadion in die zweite Bundesliga aufgestiegen, 2003 und 2012, beide Male stieg der Klub direkt wieder ab. Nun schaut es erneut ganz gut aus. Neun Spiele noch - vier davon in der neuen Arena, draußen an der Autobahn - dann wird man sehen, ob es zum vierten Mal für den Aufstieg reicht. Das letzte Saisonspiel findet am 20. Mai statt. Das alte Jahnstadion wird dann bereits verschwunden sein.

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