Regensburg: Misshandlung bei Domspatzen:Die Männer mit dem Schlüsselbund

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40 Jahre Schläge: Wie der Direktor der Vorschule der Regensburger Domspatzen Kinder misshandelte - ehemalige Schüler berichten.

Rudolf Neumaier

Schuljahr 1981/82, in der Vorschule der Domspatzen in Pielenhofen. Frühstück nach einer Morgenmesse. Die Tür fliegt auf, Direktor Johann Meier stürmt herein, mit hochrotem Kopf, brüllend. Er steuert auf einen Tisch mit Drittklässlern zu. Es geht alles sehr schnell.

David Huber (Name geändert) hat schwarze Haare und eine dunklere Haut als die anderen Buben. Direktor Meier hat gerade die Frühmesse zelebriert, er ist ja Pfarrer, und David hat sich beim Ministrieren einen Fauxpas erlaubt. Meier schreit wie besessen auf den Jungen ein, man wagt nicht sich umzudrehen, aber man kann hören, wie Meiers Hand ins Gesicht von David Huber klatscht.

Alle schwiegen

Dann zieht Meier ihm den Stuhl unter dem Gesäß weg und setzt ihn als Schlagwerkzeug ein. Er donnert dem Achtjährigen den Stuhl auf den Rücken. Der Stuhl bricht, der Bub schluchzt.

Er ist nicht der einzige, der weint. Doch alle schwiegen.

Die Klosterschwestern, die im Speisesaal damals für Ruhe (Silentium) sorgten, schwiegen. Die Eltern schwiegen, wenn sie von solchen Erlebnissen erfuhren - wobei zum einen die Briefe der Kinder zensiert wurden, zum anderen viele Buben erst Jahre später darüber redeten, darüber reden konnten. Und auch die Verantwortlichen im großen Domspatzen-Internat in Regensburg schwiegen, wenn ihnen ehemalige Pielenhofener solche Fälle schilderten.

Für einen, der 1982 Pielenhofen überstanden hatte und aufs Gymnasium nach Regensburg wechseln durfte, ist es unfassbar, dass Johann Meier noch weitere zehn Jahre Kinder malträtieren konnte.

Nun aber liegt ein Brief von einem ehemaligen Domspatzen-Vorschüler auf dem Schreibtisch, der erst 1990 nach Pielenhofen in die Vorschule kam. Direktor Meier war zehn Jahre später tatsächlich immer noch da. In dem Brief steht, er habe bei seinen "erzieherischen Maßnahmen" immer noch den Schlüsselbund eingesetzt. 1991.

Der ehemalige Schüler steht zu diesen Aussagen mit einer eidesstattlichen Versicherung.

Pielenhofen, dort war die Vorschule der Domspatzen untergebracht, 1981 war sie dorthin verlegt worden. Davor war sie in Etterzhausen. Die Schüler in Etterzhausen, dann in Pielenhofen, wurden nicht als Kinder behandelt, sondern als Zöglinge.

Formen der Züchtigung änderten sich

Liegt hier, linguistisch betrachtet, nicht die Wortwurzel "Zucht" zugrunde? Zöglinge, Zucht, Züchtigung. Die Formen der Züchtigung änderten sich mit den Jahrzehnten.

Ein ehemaliger Etterzhausen-Schüler, der Direktor Meier in den 1960ern erlebte, erinnert sich an Stockschläge. Wobei das Strafmaß für Delikte wie Schwätzen und "Tändeln", was Meier nie näher definierte, eher willkürlich festgelegt wurde: Es reichte von fünf bis zehn Stockschlägen, die wahlweise auf die Fingerkuppen, auf die Fingernägel oder auf das Gesäß versetzt wurden.

Die Kinder empfanden Meier als Sadist.

Der Schüler aus den Sechzigern erinnert sich: "Als Meier bei der Frühmesse kurz vor der Wandlung ein Wispern vernahm, schleuderte er die goldene Patene, den Teller, auf dem die Hostie lag, wie einen Diskus in Richtung des vermeintlichen Störenfrieds, der es mit der scharfen Kante an die Schläfe bekam."

Der Schüler habe das liturgische Gerät nach vorn gereicht, und Meier legte die Hostie nach kurzem Abblasen wieder drauf, als sei nichts geschehen, und machte mit der Wandlung weiter.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie auch andere Schulangestellte Meiers "Erziehungsstil" verinnerlicht hatten.

Der Schlagstock muss Meier beim Umzug von Etterzhausen nach Pielenhofen abhanden gekommen sein, es gibt später keine Hinweise mehr auf solche Züchtigungen.

Doch es gab zu Beginn der 1980er Jahre noch vergleichsweise viele Eltern, die ihren Knaben mit dem Hinweis im Internat ablieferten: "Wenn er nicht spurt, geben S' ihm ruhig eine Watschn." Meier war nicht der einzige, der dieser Einladung nachkam.

Kopfnüsse - mit dem Schlüsselbund zwischen den Fingern

Der Chorleiter, der die Buben an die Musik heranführen sollte, zog gerne an den Schläfenhaaren, bevor seine Hand auf der Wange landete, und der Erzieher, der als Präfekt tituliert wurde, war ein Mann, der die modernen Leitsätze der Pädagogik nicht wirklich verinnerlicht hatte. Er hatte zumeist Kopfnüsse im Repertoire, bisweilen mit dem Schlüsselbund zwischen den Fingern. In Etterzhausen, wo er neben dem Internat wohnte, schnitt er sich angeblich auf dem Weg zur Arbeit Weidenruten zurecht. Erziehungsinstrumente.

Der junge Mann, der zu Beginn der 1990er in Pielenhofen war, hat Recht, wenn er schreibt: "Keinesfalls kann man von einem pädagogischen Betreuungskonzept sprechen." Als schrecklichstes Erlebnis schildert er, wie ein Klassenkamerad, der sich vor Bauchschmerzen krümmte und weinte, als Simulant abqualifiziert wurde. Am Ende musste der Bub notoperiert werden, wegen Blinddarmdurchbruchs.

Nach Meiers Übertritt in den Ruhestand, schreibt er, habe sich alles schlagartig geändert. Niemand wurde mehr geschlagen. Heute arbeiten sieben Erzieherinnen, wo einst Direktor Meier und der Präfekt wüteten.

Meiers Erziehungsmethoden waren bekannt

Aber warum hatten die Verantwortlichen nicht früher reagiert? Hat Papstbruder Georg Ratzinger wirklich nichts gewusst? Ratzinger war von 1964 bis 1994 Leiter der Domspatzen, Meier, der längst gestorben ist, leitete von 1953 bis 1992 die Vorschule. Seine Erziehungsmethoden waren bekannt.

Wie Misshandlungen vorzubeugen gewesen wäre, wussten die Verantwortlichen aus der eigenen Geschichte. Im Regensburger Domspatzen-Internat hatte man nach den Missbrauchsfällen in den 1960ern die Erziehung der Schüler keinen Priesteramtskandidaten mehr anvertraut, sondern ausgebildeten Pädagogen. Weltlichen Erziehern, keinen geistlichen Präfekten.

1975 übernahm ein progressiver Priester und Pädagoge die Internatsleitung, der für die Pädagogik des Hauses von Anfang an einen Grundsatz vorgab, welcher in Bayern erst zu Beginn der 1980er Jahre gesetzlich verankert wurde: dass Schüler unter keinen Umständen geschlagen werden dürfen. Unter seiner Ägide war das Internatsleben als Schüler überaus angenehm.

Unverständlich ist, warum wenige Kilometer entfernt in der Vorschule ein Berserker wie Direktor Meier wüten konnte.

Rudolf Neumaier war von 1981 bis 1982 selbst an der Vorschule der Domspatzen in Pielenhofen, danach bis 1992 war er bei den Domspatzen in Regensburg.

© SZ vom 09.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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