Matthias Podszus hatte überschätzt, wie anstrengend es sein würde, das Bistum zu verklagen, sagt er am Telefon. Jetzt aber, da es wohl zum Prozess kommen werde, habe er wieder Hoffnung. Podszus ist ein von der Kirche anerkanntes Missbrauchsopfer. Im Alter von neun Jahren soll er im Vorschulinternat der Regensburger Domspatzen in Pielenhofen durch den dortigen Direktor körperlich und sexuell missbraucht worden sein. Die Kirche zahlte ihm 50 000 Euro Entschädigung. Dann verklagte Podszus das Bistum Regensburg auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall, etwa eine Million Euro fordert er vom Bistum.
Es ist die erste Klage dieser Art in Regensburg, ob es zu einer Verhandlung kommt, war unklar. Ähnliche Fälle in Aachen wurden vom dortigen Landgericht abgelehnt, weil die Taten verjährt seien. Auch das Bistum Regensburg hatte so argumentiert. Nun zeichnet sich ab, dass das Landgericht Regensburg dieser Argumentation nicht zu folgen scheint. Nach einer vorläufigen Würdigung seien etwaige Ansprüche wegen der Verletzung sexueller Selbstbestimmung nicht verjährt, schreibt es in einer Verfügung, die der SZ vorliegt. Ein Prozess scheint wahrscheinlich zu sein. Welche Argumente dort ausgetauscht werden könnten, zeigen die Stellungnahmen beider Parteien zur Verfügung des Gerichts, die der SZ vorliegen. Das Bistum möchte sich nicht äußern.

Die Anwälte des Bistums bestreiten, dass Podszus Opfer von Missbrauch geworden sei. Zwar habe die Kirche sein Leid mit 50 000 Euro anerkannt, ein Hinweis darauf, dass die Tat stattgefunden habe, sei das aber nicht. Im Anerkennungsverfahren werde nur die Plausibilität geprüft, nicht die Richtigkeit. Auch ein Brief, den der Regensburger Bischof an Podszus geschrieben habe, fuße nur auf dieser Plausibilitätsprüfung und beweise die Taten nicht. Rudolf Voderholzer hatte 2018 Podszus mitgeteilt: „Das Ihnen angetane Leid bedaure ich zutiefst und möchte als kirchlicher Vertreter dafür um Entschuldigung bitten.“ Die Zahlungen der Kirche, so die Anwälte des Bistums weiter, seien kein Schuldeingeständnis, sondern eine freiwillige Leistung. Dem widerspricht Podszus’ Anwalt Sven Markuske in seiner Stellungnahme. Wenn ein Schuldner mehrfach an einen Gläubiger zahle, erkenne er die Forderung an.
Streitpunkt ist auch, ob dem Bistum die Taten zuzuordnen seien. Das Vorschulinternat wurde von der Stiftung der Regensburger Domspatzen betrieben, auf den mutmaßlichen Täter Johann Meier habe das Ordinariat keinen Zugriff gehabt, argumentieren die Anwälte des Bistums. Markuske hält dagegen, dass Meier Priester war und deshalb dem Bistum unterstellt gewesen sei. Er verweist zudem auf Äußerungen des Generalvikars von 2015. Damals hatte er bekannt gegeben, dass neben sexuellem Leid auch körperliches Leid anerkannt werde. Wie also, fragt Markuske, könne das Bistum einerseits die Verantwortung für Handlungen übernehmen und andererseits nicht für sie zuständig sein?
Auch zur Verjährung äußern sich die Anwälte erneut. Die des Bistums weisen darauf hin, dass erst seit 2013 eine 30-jährige Verjährungsfrist gelte. Markuske argumentiert, dass Podszus seinen Missbrauch jahrelang verdrängt habe und deshalb keine Kenntnis von ihm gehabt habe. Er verweist zudem auf eine Verfügung der Kirche von 2011 laut der Missbrauchsfälle nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden dürften. Durch diese Vertuschung seien Missbrauchsopfer daran gehindert worden, Ansprüche geltend zu machen. Auch der körperliche Missbrauch müsse als nicht verjährt angesehen werden.
Ob das Gericht hier seiner Argumentation folgt, ist unklar. Wichtig aber sei, dass das Gericht bei seiner Einschätzung bleibe, dass der sexuelle Missbrauch nicht verjährt sei. Markuske zeigt sich da zuversichtlich. Und Podszus? Graut es ein wenig vor einem Prozess, wenn er dort die Details seines Missbrauchs schildern soll. Am Ende aber sagt er: „Das schaff’ ich auch noch.“