Lichtinstallation:"Wenn ich sterbe, möchte ich solche Bilder sehen"

Lichtinstallation: Das Schweizer Künstlerkollektiv Projektil zeigt in der Regensburger Kirche St. Ulrich seine Lichtshow "Genesis I".

Das Schweizer Künstlerkollektiv Projektil zeigt in der Regensburger Kirche St. Ulrich seine Lichtshow "Genesis I".

(Foto: Uwe Moosburger/altrofoto.de)

Es werde Licht: In Regensburg verwandelt ein Künstlerkollektiv Kirchenräume in eine neue Erlebniswelt. Bei den Gästen löst das mitunter starke Gefühle aus. Ein Besuch.

Von Lisa Schnell, Regensburg

Gerade noch im Weihnachtstrubel - Lichter, Ellbogen, Glühwein - dann rein ins Dunkel der Kirche St. Ulrich. Sakrale Stille umgibt einen, keiner sagt ein Wort. Eingesunken in Sitzsäcke liegen etwa zwanzig Menschen auf dem Boden. Als man sich selbst in einen solchen fallen lässt, stellt sich das Gefühl eines auf dem Rücken liegenden Käfers ein. Mehr oder weniger elegant um Halt ringend, erhascht man den Blick einer recht stabil wirkenden älteren Dame: "Ist ungewohnt, aber schön", macht sie einem Mut. Noch einmal das gesamte Gewicht in den Sack gedrückt - gewonnen. Los geht's.

Es ist, als würde das Dach verschwinden und die frühgotischen Säulen in den Himmel wachsen. Feierlich erklingt das "Urlicht" von Gustav Mahler. Aus dem schwarzen Nichts schält sich ein weißer Kreis, kommt immer näher und läuft über vor Licht. Ein Sternenregen strömt an den Wänden entlang, umfängt einen ganz. Überall flimmert und funkelt es, da öffnet sich der Himmel wieder und man schwirrt weiter in die nächste Welt.

Licht, Wasser, Erde, Pflanzen - das sind die vier Sphären, in die einen das Schweizer Künstlerkollektiv Projektil noch bis zum 15. Januar in der Kirche St. Ulrich in Regensburg mitnimmt. Die 30-minütige Lichtinstallation "Genesis I" erzählt die ersten drei Tage der Schöpfungsgeschichte, ein Projekt, das 2018 in Zürich aufgeführt wurde und nun auf Initiative des Bistums in Regensburg zu sehen ist - zum ersten Mal in Deutschland (am 20. Januar kommt die Show nach München). Ein Ticket kostet zwölf Euro.

Eigentlich machen die Schweizer um Roman Beranek das, was der 43-Jährige mit der schwarzen Hipster-Mütze "edutainment" nennt. Mithilfe von großflächigen Projektionen führen sie durch die Bilder und die Leben von Künstlern wie Claude Monet. Ist das Kunst oder kann das weg? Das haben sie sich schon oft anhören müssen. Sicher ist, dass die künstlerische Freiheit bei ihren Lichtshows in Kirchen am größten ist.

Die Idee, Kirchen zu bespielen, kam ihnen vor vier Jahren. Nicht, dass man sie falsch versteht. Sie seien "relativ normale Menschen", sagt Beranek, soll heißen: "keine Gläubigen". Gotteshäuser aber sind nun mal von einer einzigartigen Architektur, auf der ihre Lichtinstallationen besonders gut zur Geltung kommen.

Projektil nämlich schmeißen ihre Installationen nicht einfach nur an die Wand, sondern schmiegen sie mithilfe eines 3-D-Scanners wie ein Lichtkleid an die Architektur an. Da laufen Muster an den Balustraden entlang, pulsieren die Säulen im Takt der Musik oder eröffnen sich Fenster ins Universum durch die Kassettendecke. Das Thema freilich, die Schöpfungsgeschichte, ist doch ein kirchliches. Auf keinen Fall wollten sie Werbung für die Kirche machen, sagt Beranek. Deshalb sei ihre Interpretation sehr frei und soll alle Konfessionen ansprechen, aber sie wollten eben doch etwas kreieren, das "in den Raum passt".

Lichtinstallation: Der komplette Innenraum der Kirche wird beim Lichtspiel miteinbezogen.

Der komplette Innenraum der Kirche wird beim Lichtspiel miteinbezogen.

(Foto: Uwe Moosburger/altrofoto.de)
Lichtinstallation: Licht, Wasser, Erde, Pflanzen - das sind die vier Sphären, in die sich die Zuschauer vertiefen können.

Licht, Wasser, Erde, Pflanzen - das sind die vier Sphären, in die sich die Zuschauer vertiefen können.

(Foto: Uwe Moosburger/altrofoto.de)
Lichtinstallation: In Sitzsäcken können es sich die Zuschauer mehr oder minder bequem machen.

In Sitzsäcken können es sich die Zuschauer mehr oder minder bequem machen.

(Foto: Uwe Moosburger/altrofoto.de)

Und noch einen weiteren Vorteil hätten Kirchen, sagt Beranek, auch wenn die Kirche das wohl anders sieht: Sie sind meist leer. Zumindest, wenn Projektil sie nicht gerade bespielt. In Zürich, als sie Genesis zum ersten Mal zeigten, trauten die Kirchenleute ihren Augen kaum, als sie Hunderte Menschen in ihre Kirche strömen sahen. "So viele Leute hatten die noch nie da", sagt Beranek. Und auch er war überwältigt von den Reaktionen mancher Zuschauer. "Die kamen heulend raus und umarmten mich", sagt er.

Tränen sichtet man in den Augenwinkeln der Regensburger nicht, die Vorstellung aber ist ausverkauft. Fast 30 000 Zuschauer haben sich laut den Veranstaltern seit November die Show angesehen. "Ich fühle mich wie beseelt", sagt Ingrid Wirth-Hesse, als sie die Kirche verlässt. Sie hebt beide Hände nach oben, senkt sie wieder. Als wäre sie geschwebt und wieder gelandet, so fühle sich das an, sagt die 70-Jährige. Und diese Lichterkringel in der blauen Nacht, das hat sie an van Gogh erinnert. Hell, dunkel, Leben und Tod, da sei alles drin gewesen: "Wenn ich sterbe, möchte ich solche Bilder sehen."

Ein "Gefühl von Unendlichkeit" empfindet ihre Freundin, Berthilde Schindler, 69. Nur am Ende, diese Kerzen und Laternen, die da am Firmament schwebten, waren das wirklich Kerzen oder doch Raketen? Man weiß ja nie in dieser Welt, die von Gott erschaffen worden sei und vom Menschen so konsequent zerstört werde.

Der Mensch allerdings wird in Regensburg wahrscheinlich erst nächstes Jahr kreiert. Wenn es gut läuft nämlich, und das tut es bis jetzt, wollen Projektil in Regensburg 2023 "Genesis II" aufführen und die Schöpfung damit vollenden.

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