HebammenmangelGeburtsvorbereitung im Hörsaal

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Fühlt sich erstaunlich echt an: Mit dem umgeschnallten roten Geburtssimulator auf dem Bauch spielt Lena Nagengast die Patientin, während Hebammenstudentin Miriam Baumgartner den Zustand der "Schwangeren" prüft, bei der gerade die Wehen eingesetzt haben.
Fühlt sich erstaunlich echt an: Mit dem umgeschnallten roten Geburtssimulator auf dem Bauch spielt Lena Nagengast die Patientin, während Hebammenstudentin Miriam Baumgartner den Zustand der "Schwangeren" prüft, bei der gerade die Wehen eingesetzt haben. (Foto: Sonja Hößl)

In Bayern werden wieder mehr Babys geboren, aber die Hebammen fehlen. Für den Beruf wird bald ein akademischer Abschluss notwendig sein - in Regensburg werden Geburtshelfer schon an der Hochschule ausgebildet.

Von Sonja Hößl, Regensburg

Ohne Hektik streift sich Miriam Baumgartner die Einmalhandschuhe über. Mir ruhiger Stimme erkundigt sich die junge blonde Frau, wie es ihrer Patientin geht - bei Lena Nagengast haben die Wehen eingesetzt. Der Muttermund ist schon fünf Zentimeter weit offen. "Nicht erschrecken, ich habe kalte Hände", sagt Baumgartner, sie will den Bauch der werdenden Mutter befühlen.

Doch anstatt über den runden Bauch einer Schwangeren zu tasten, greift sie an einen rucksackähnlichen weinroten Stoffbeutel, den sich die vermeintliche Patientin umgeschnallt hat. Darin versteckt: eine Babypuppe. Denn Lena Nagengast ist nicht schwanger. Sie arbeitet als medizinisch-technische Angestellte der Hochschule Regensburg. Gerade dient sie der Hebammenstudentin Baumgartner als Untersuchungsmodell. Professorin Barbara Fillenberg beobachtet die Szene. Sie wirkt zufrieden mit Baumgartners ruhigem Auftreten.

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Was für Außenstehende erstmal wenig realitätsnah erscheinen mag, ist Studiengangleiterin Fillenberg zufolge eine wichtige Vorbereitung auf die Arbeit mit echten Schwangeren. Denn dafür bildet die Ostbayerische Technische Hochschule (OTH) Regensburg ihre Hebammenstudierenden aus. Fünf Semester dieses Bachelorstudiengangs hat Baumgartner bereits absolviert. Sie war eine der ersten in Bayern, die zum Wintersemester 2019/20 nicht eine Ausbildung zur Hebamme, sondern das Studium wählte. Dass Baumgartner darauf stieß, war Zufall. "Ich bin über ein Plakat, das den neuen Studiengang beworben hat, auf diese Berufsmöglichkeit gestoßen", sagt die 22-Jährige. Für viele ihrer Kommilitoninnen sei Hebamme aber schon seit Kindheitstagen der Traumberuf.

Baumgartner hätte 2019 noch eine Ausbildung an einer Hebammenschule machen können. Vom Jahr 2027 an wird nach dem neuen Hebammengesetz der einzige Weg zu diesem Beruf aber über die bayerischen Hochschulen und Universitäten führen. Das Ziel: Die Akademisierung soll eine umfassendere Berufsvorbereitung ermöglichen und die Hebammenversorgung in Bayern verbessern. Bereits an fünf Standorte können Hebammen in Bayern ihr Studium absolvieren, vier weitere Hochschulen planen das Studium von den Wintersemestern 2022/23 beziehungsweise 2023/24 an.

Mit dem sogenannten Hebammenbonus soll freiberuflichen Hebammen der Einstieg oder Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert werden.
Mit dem sogenannten Hebammenbonus soll freiberuflichen Hebammen der Einstieg oder Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert werden. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Für Baumgartner ein richtiger Schritt: "Der Hebammenberuf ist komplex. Für mich ist es deswegen wichtig, meine Berufsausbildung auf höchstem Niveau zu bekommen." Schließlich müssten Hebammen besonders in der Geburtshilfe mit Ärzten zusammenarbeiten, durch das Studium sei das auf Augenhöhe möglich. Auch Fillenberg sieht in der Akademisierung eine Notwendigkeit. "Ich verspreche mir davon eine bessere Verständigung zwischen den Berufsgruppen" sagt sie. "Zum Wohle der gebärenden Frauen."

Der Studiengang in Regensburg kommt gut an. Etwa 560 Bewerber pro Wintersemester gibt es laut Fillenberg. 25 Studierende können pro Jahrgang angenommen werden. "Unsere Studienplätze richten sich nach den Plätzen bei unseren Praxispartnern", erläutert Fillenberg. Partner sind derzeit Kliniken in Niederbayern und der Oberpfalz. Dort absolvieren die Studentinnen ihre Praxiseinsätze und werden von diesen auch während des Studiums vergütet. Die Studiengangleiterin hofft, dass es in den kommenden Semestern bis zu 30 Studienplätze geben wird. Denn Hebammen werden in Bayern dringend benötigt. Es gibt immer mehr Babys, aber zu wenige Hebammen, die Schwangerschaften und Geburten begleiten.

Dem Landesamt für Statistik zufolge wurden 2010 exakt 105 251 Kinder in Bayern geboren, im Jahr 2020 waren es 128 764 Geburten. Dass Hebammen fehlen, zeigt auch eine Studie des IGES-Instituts zur Hebammenversorgung in Bayern von 2018, die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege beauftragt wurde. Dort gaben etwa 71 Prozent der befragten Hebammen an, dass sie deutlich mehr Anfragen für eine Wochenbettbetreuung bekamen, als sie annehmen konnten. Daran hat sich seitdem nicht viel verändert.

Professorin Barbara Fillenberg betreut die werdenden Hebammen an der Hochschule in Regensburg.
Professorin Barbara Fillenberg betreut die werdenden Hebammen an der Hochschule in Regensburg. (Foto: privat)

Auch im Raum Regensburg ist der Hebammenmangel für werdende Mütter ein Problem. Viele sind verzweifelt auf der Suche nach einer Hebamme. Theresa Zapf, Hebamme in Regensburg, bekomme pro Monat etwa zehn bis 25 Anfragen von Schwangeren, erzählt sie am Telefon. Zwei bis sechs könne sie dann maximal aufnehmen, je nachdem wie viele Frauen sie bereits betreut. Damit zumindest alle Wöchnerinnen versorgt werden können, wurde im Jahr 2019 die Koordinierungsstelle für die Hebammenversorgung der Stadt und des Landkreises Regensburg eingerichtet. An die verweist Zapf die abgewiesenen Frauen.

"2021 haben sich 389 Schwangere an uns gewandt", berichtet Stefanie Malle von der Koordinierungsstelle. Nur 16 von ihnen konnten mit viel Glück noch eine Betreuung bei einer Hebamme ergattern. Die übrigen wurden in die Akutversorgung aufgenommen. Um solche Frauen kümmern sich mit Zapf derzeit 27 Hebammen. Sie melden der Koordinierungsstelle, wann sie zusätzliche Kapazitäten haben, um die Frauen zu unterstützen - neben ihrer übrigen Hebammenarbeit. Den Frauen stünde eigentlich eine umfassende Betreuung zu. "Ohne die Akutversorgung hätten viele Frauen aber gar keine Versorgung", sagt Zapf. So seien die Frauen, die sie abweisen muss, zumindest nicht komplett auf sich allein gestellt. Auch Fillenberg, selbst gelernte Hebamme, unterstützt die Koordinierungsstelle neben ihrer Professur an der OTH. "So bleibe ich zumindest auf dem aktuellen Stand", meint sie.

Aber nicht nur im Beruf, schon im Studium ist für Miriam Baumgartner der Hebammenmangel spürbar. "Wir arbeiten in den Praxisphasen meist schon recht autonom, weil es einfach zu wenige Kolleginnen gibt", sagt sie. Ob sie die viele Arbeit nicht abschreckt? Ein bisschen belaste sie diese Aussicht schon, sagt sie. Aber: "Hebammen haben die schönste Arbeit in einem Krankenhaus. Die Frauen sind nicht dort, weil sie krank sind, sondern weil sie etwas Schönes erwartet." Das gebe es so sonst nirgends in der Medizin, betont die Studentin. Für sie scheint das Ansporn genug zu sein, dem Hebammenmangel etwas entgegen zu setzen.

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Um an der OTH bestmöglich auf die verantwortungsvolle Arbeit vorbereitet zu werden, gehören praktische Einsätze in Kliniken und bei freiberuflichen Hebammen ebenso zum Studium wie Rollenspiele oder Simulationen von Vorsorgeterminen und Geburten. In den Räumen im ersten Stock der Hochschule können die Studierenden mit Puppen oder Modellen üben. Doch der wohl spannendste Raum befindet sich im Keller. Im dortigen High-Fidelity-Raum gibt es vollautomatisierte Puppen, die alles können, was Frauen bei einer Geburt tun: Ein Kind gebären, bluten, schreien. Auch in Momenten, in denen sie ruhig daliegen und nicht wie im Simulationsfall aus dem Technikraum gesteuert werden, wirken die Puppen lebensecht. Beinahe gruselig. Bei ihrer ersten Simulation mit der Puppe war Baumgartner noch skeptisch, wie realistisch diese Übung überhaupt sein können. Es stellte sich heraus: sehr realistisch. "Spätestens wenn das künstliche Blut spritzt, hat man einen Puls von 180", berichtet sie. So lerne man, mit der eigenen Nervosität umzugehen und die nötigen Handgriffe für den Ernstfall zu verinnerlichen.

Aber auch weniger nervenaufreibende Übungen gehören zum Studium. Wie eben das Abtasten am Modellbauch, den sich die Mitarbeiterin Nagengast umgeschnallt hat. Doch in den vermeintlich leichteren Übungssituationen fordert Fillenberg genauso viel Konzentration von ihrer Studentin. Baumgartner soll den Muttermund überprüfen - und weiß sofort, was ihre Professorin noch von ihr hören möchte. "Der Muttermund ist deutlich mehr als fünf Zentimeter geöffnet", bemerkt sie. Situation gekonnt gelöst. Ihre Professorin zeigt sich zufrieden und sagt stolz: "Genau darauf kommt es an: Dass unsere Studentinnen aufmerksam und für jede Situation gewappnet sind."

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