Der Uhrzeiger in Saal 104 springt auf 9.15 Uhr. Es sollte jetzt eigentlich losgehen. Doch die wichtigste Figur in diesem Prozess ist nicht da. Karl B., der Angeklagte. Fängt das jetzt schon wieder an? Scheitert auch der fünfte Anlauf, die Wahlfälschungsaffäre von Geiselhöring aufzuklären? Der Uhrzeiger springt weiter, 9.16 Uhr, dann biegt er doch um die Ecke: Spargelbauer Karl B. Er marschiert auf die Reporter zu, die auf dem Flur des Regensburger Landgerichts warten. "Ist der Spargelbauer ein Bauernopfer?", fragt ein wortwitziger Reporter und hält B. das Mikro unter die Nase. Kein Kommentar. Karl B. marschiert weiter, rein in den Gerichtssaal, rüber zur Anklagebank. Dann nimmt er Platz. Es kann losgehen. Endlich.
Hat der Spargelbauer die Kommunalwahl 2014 manipuliert? Hat er Erntehelfer angestiftet, per Briefwahl ihre Stimmen für bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten abzugeben? Das waren die Kernfragen, als der Prozess im Januar 2018 seinen ersten Anlauf nahm. Der Prozess wurde immer wieder abgesagt, ausgesetzt, verschoben. Mal hatten die Verteidiger nicht alle Beweismittel und Akten bekommen, mal war der Angeklagte krank, mal fehlten dem Regensburger Landgericht die Richter. Nun, beim fünften Versuch, soll alles glattgehen. Und zu den Kernfragen haben sich weitere Fragen gesellt: Hat sich die Stadt Geiselhöring zur Komplizin eines Kriminellen gemacht, und sei es unfreiwillig? Ist Karl B. gar das Bauernopfer, von dem der Reporter spricht?

Prozess um Wahlfälschung:Spargelconnection in Niederbayern
In Geiselhöring sollen 427 Erntehelfer eines Bauern zu Unrecht bei der Kommunalwahl abgestimmt haben. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass der mutmaßliche Drahtzieher damit CSU-Kandidaten helfen wollte.
Stimmen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, dann hat B. einen großen Aufwand betrieben, um die Wahl in Geiselhöring (Kreis Straubing-Bogen) zu manipulieren. Es sollen ja mehrere Hundert rumänische Erntehelfer gewesen sein, die zu Unrecht ihre Kreuzchen gemacht haben. So steht es in der Anklage, die die beiden Staatsanwälte am Montag verlesen. Von einem "Tatplan" ist die Rede, den B. "leitete, überwachte und kontrollierte". Von den Stimmen sollen mehrere CSU-Kandidaten profitiert haben. Dazu gehörten neben B.s Ehefrau, die für den Kreistag kandidierte, auch sein Cousin, eine Mitarbeiterin seiner Firma und der Freund seiner Tochter, die sich jeweils für den Stadtrat bewarben - und am Ende auffällig weit nach vorne gewählt wurden.
Wer nur die Anklage hört, dem fällt es leicht, Karl B. für einen Betrüger zu halten. Vielleicht stimmt das ja auch. Doch wer sich näher mit dem Fall befasst, muss in der Tat danach fragen, ob die Stadt Geiselhöring Mitschuld trägt an der Wahlfälschungsaffäre. Es geht um die Frage, wieso die Stadt für mehr als 400 rumänische Saisonarbeiter Wahlscheine ausstellte - und damit erst die Voraussetzung schuf, dass B.s Erntehelfer an der Kommunalwahl teilnehmen konnten?
Für B.s Anwältin ist die Sache jedenfalls klar: Wenn die Stadt schon Wahlscheine an Saisonarbeiter schickt, dann müsse ihr Mandant "darauf vertrauen", dass diese Arbeiter "auch wahlberechtigt sind", sagt Ricarda Lang beim Prozessauftakt am Montag. Auch gebe es keine Zeugen, die den Vorwurf der Staatsanwaltschaft bestätigen, dass B. die Wahlzettel selbst ausgefüllt hat oder die Erntehelfer anwies, wo sie ihre Kreuzchen machen sollen. Dass er bei den Erntehelfern für bestimmte Kandidaten warb, hat der Spargelbauer zwar eingeräumt. Das allein dürfte aber kaum strafbar sein.
In die Karten spielen könnte B. ein Urteil des Regensburger Landgerichts in einem Parallelverfahren. Der Hintergrund: Nach Bekanntwerden des Fälschungsverdachts hatte die Regierung von Niederbayern die Wahl für ungültig erklärt. Nicht nur die Kommunalwahl in Geiselhöring wurde wiederholt, auch die Kreistagswahl im Landkreis Straubing-Bogen. Kosten: 124 000 Euro. Dieses Geld wollte der Landkreis beim Spargelbauern einklagen - doch das Landgericht wies die Klage auf Schadenersatz ab. Die Richter sprachen von einem "Sowieso-Schaden". Soll heißen: Da die Stadt die Erntehelfer zur Kommunalwahl zuließ, wäre die Wahl sowieso ungültig gewesen, auch ohne Manipulation durch den mutmaßlichen Wahlfälscher.

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Es gibt aber noch ein weiteres Parallelverfahren, das den Prozess um die Wahlfälschungsaffäre beeinflussen könnte: Beim Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) haben B.s Verteidiger beantragt, die Einstellung des Verfahrens zu erzwingen. Auch hierzu muss man die Vorgeschichte kennen: Beim zweiten Prozessanlauf im Herbst 2018 hatte der damalige Richter vorgeschlagen, das Verfahren gegen den Spargelbauern gegen Zahlung von 100 000 Euro einzustellen. Auch die Staatsanwaltschaft sah "triftige Gründe, die für eine Einstellung sprechen", signalisierte zunächst ihre Zustimmung - und machte eine Woche später doch eine Kehrtwende. Hat das Justizministerium interveniert? Davon sind B.s Anwältinnen überzeugt.
Ein schwerwiegender Verdacht, der sich auf eine Auskunft des Ministeriums an den Landtagsabgeordneten Toni Schuberl (Grüne) stützt. Darin schreibt das Ministerium, es habe "aufgrund der Schwere, des Umfangs und der Bedeutung der Tatvorwürfe Bedenken" gegen eine Einstellung des Verfahrens gehabt. Eine entsprechende Weisung an die Staatsanwaltschaft habe es jedoch nicht gegeben, teilt das Ministerium auf SZ-Anfrage mit. Karl B.s Verteidiger dagegen sagen, dass der Prozess gegen ihren Mandanten "ein politischer Prozess" sei. Es gehe darum, den Spargelbauern "zum Sündenbock" zu machen, um die Fehler der Behörden vor der Wahl "zu vertuschen".
Bernhard Krempl hält diese Theorie offenbar für ein Manöver, um von den Vorwürfen gegen Karl B. abzulenken. Krempl (Freie Wähler) war bis zur Wahl 2014 Bürgermeister in Geiselhöring. Er wehrt sich dagegen, dass die Stadt die eigentliche Wahlfälscherin sein soll - und dass ihn damit selbst eine Schuld an der Affäre trifft. Krempl nennt Karl B. nicht beim Namen, aber er sagt: "Hier ist eindeutig, wer das gemacht hat." Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.