Regensburg:Filmriss in der Kneipenstadt

Neues Licht für Regensburger Altstadt

In Regensburg gehen derzeit die Nischen für die Subkultur gehen verloren.

(Foto: dpa)

Regensburg ist eine Kneipenstadt. Doch nun verschwinden immer mehr alteingesessene Lokale aus der Altstadt. Und die Uni sperrt ausgerechnet die "Alte Filmbühne" zu - die beliebteste Kneipe der Studenten. Doch die wehren sich.

Von Andreas Glas

In der Silvesternacht lag Karin Griesbeck auf dem klebrigen Kneipenboden, zwischen tanzenden Beinen, und krümmte sich und heulte und konnte nicht mehr aufhören. Ein Weinkrampf. Und irgendwann haben sie dann alle geheult. Weil sie wussten, dass es in sechs Wochen vorbei ist. Jetzt, sechs Wochen später, ist Griesbeck wieder auf den Beinen und wischt feucht durch. Ein letztes Mal. An diesem Samstag ist es so weit: Die "Alte Filmbühne" muss dichtmachen.

Griesbeck stellt den Wischmopp an die Wand und dreht sich eine Zigarette: "Nächste Woche ist hier alles draußen. Das ist scheiße." Sie deutet auf die Stühle, die Tische - und auf die roten Lampions, die von der Decke des Kellergewölbes hängen und ein bisschen nach China-Restaurant aussehen. Zu einem Regensburger Studenten braucht man nur "rote Lampions" zu sagen, und er weiß, dass die "Alte Filmbühne" gemeint ist.

Sie ist keine dieser Szeneläden mit Kaffee-Filialen-Sofas, keine dieser loungig-bunten Cocktailbars. Die "Filmbühne" gibt es seit 30 Jahren. Sie ist düster und ein bisschen ranzig, es läuft Musik abseits des Mainstream, manchmal finden hier Lesungen und Poetry-Slams statt, die Tischkicker sind immer besetzt, die Halbe kostet 2,50 Euro. Und seit feststeht, dass sie dichtmacht, ist die "Filmbühne" vor allem eines: ein Politikum.

Die Tür geht auf, etwas Tageslicht und Baulärm fallen ins Kellergewölbe. Ein alter Mann mit Werkzeugkiste trödelt über die Tanzfläche in den hinteren Raum der verwinkelten Kneipe. "Bis zum bitteren Ende", murmelt Herr Pleyer im Vorbeigehen. Seit 30 Jahren kümmert er sich um die Spielautomaten in der "Filmbühne". Heute ist er zum letzten Mal da.

Er klappt seine Werkzeugkiste auf und beginnt am Flipperautomaten zu schrauben. Am Flipper, der die Teichmann-Brüder vor fast 20 Jahren zu Stammgästen gemacht hat. In der "Filmbühne" haben die beiden dann auch als DJs ihre ersten Gehversuche gemacht. Heute leben die Gebrüder Teichmann in Berlin, gelten als Aushängeschilder der deutschen Elektro-Kultur - und machen sich große Sorgen um ihre Heimatstadt.

Die DJ-Brüder fürchten um Regensburgs Subkultur und haben im Oktober einen offenen Brief an den Bürgermeister geschrieben - sie äußerten darin ihre Hoffnung, "dass endlich auch ein politisches Bewusstsein dafür entsteht, welch wichtige Funktion kulturelle Orte wie die Filmbühne für die Gesellschaft haben. Studieren alleine macht niemanden schlau. Und ohne inspirierende Orte für junge Menschen, wird es in einer Stadt auch keinen kreativen Nachwuchs geben".

"Kneipensterben, hä? Geht's noch?"

Wer die Sorgen der Teichmann-Brüder verstehen will, muss die Entwicklung der vergangenen Monate kennen: Immer mehr alteingesessene Lokale verschwinden aus der Regensburger Altstadt. Immer mehr Nischen für die Subkultur gehen verloren.

Ein Beispiel neben der "Filmbühne" ist das "Gloria", ein ehemaliges Kino mit Plüsch-Atmosphäre, das ebenfalls als Plattform gilt für Nachwuchsmusiker und DJs. Weil die Stadt fand, dass dort zu laut gefeiert wird, zog sie die Sperrstunde um zwei Stunden nach vorne. Die Folge: Der Umsatz ging zurück, am Sonntag muss auch das "Gloria" zusperren.

Oder die "Banane", eine Institution für die Punk-Szene und all jene, die das Haar gern etwas länger und fettiger tragen. Das Gebäude, in dem die "Banane" zu Hause ist, wurde an einen privaten Investor verkauft, der Pachtvertrag endet im Juni. Wo jahrzehntelang gefeiert wurde, wird bald luxuriös gewohnt.

Wer Regensburgs Oberbürgermeister zum Kneipensterben befragt, schaut in große Augen: "Kneipensterben, hä? Geht's noch?", fragt Hans Schaidinger (CSU), dessen Büro im Rathaus ein Filet-Objekt wäre für jeden Immobilieninvestor: Altbau, Innenstadtlage, hohe Decken, Fischgrät-Parkett. "Von Kneipensterben zu sprechen, ist falsch", sagt Schaidinger, "es gibt sogar viele Menschen, die in der Altstadt wohnen und glauben, dass Regensburg viel zu viele Kneipen hat." Deshalb müsse sich die Stadt vor allem darum kümmern, "das Feierbedürfnis der einen mit dem Ruhebedürfnis der anderen zu verbinden. Eine oder zwei Kneipen mehr oder weniger verändern doch kaum etwas".

Karin Griesbeck sieht das anders. Die 49-Jährige sitzt jetzt im Schneidersitz auf dem Tresen und raucht: "Es wird in Regensburg immer genug Kneipen geben. Aber man muss differenzieren zwischen Kneipe und Kneipe. Die Plätze der alternativen Szene werden immer weniger, das ist Realität."

Dann verschwindet sie im Hinterzimmer, kommt mit einem dicken Ordner zurück und knallt ihn auf die abgewetzte Holztheke. 6000 Unterschriften hat Griesbeck darin abgeheftet. 6000 Unterschriften gegen die Schließung ihrer Filmbühne. Aber die haben nicht geholfen, den Eigentümer davon zu überzeugen, den Pachtvertrag zu verlängern. Auch der Bürgermeister hat sich rausgehalten: "Wenn ein privater Vermieter seinen Mietvertrag nicht verlängert, dann mischt sich die Stadt Regensburg nicht ein", sagt Hans Schaidinger.

Wirklich privat ist die Sache mit der Filmbühne aber nicht. Das Gebäude gehört der Universität und gilt seit Ende der 1970er-Jahre als "Haus der Begegnung" zwischen Professoren und Studenten. In den oberen Etagen wohnen ausländische Gastdozenten, im Keller feiern die Studenten - und manchmal kommen die Professoren auf ein Bier runter in die "Filmbühne". "Hier mischt sich alles: vom Punk bis zum Professor", sagt Griesbeck, "da gibt es Konfrontation und dadurch entsteht etwas Neues. Durch den Mainstream entsteht gar nichts."

Mieten steigen so stark wie fast nirgendwo

Dass ausgerechnet die Uni die beliebteste Kneipe ihrer Studenten zusperrt, kann auch Armin Schmid nicht verstehen. Der 26-Jährige hat für diesen Samstag eine Demo organisiert - weil er nicht verstehen kann, dass der Hochschule der ruhige Schlaf von einem Dutzend Professoren wichtiger ist als 6000 Studenten, die feiern wollen und für den Erhalt der "Filmbühne" unterschrieben haben: "Da stimmt das Verhältnis nicht mehr. Wenn die Dozenten es ruhig haben wollen, dann muss ich sie halt am Stadtrand unterbringen." Stattdessen, sagt Schmid, verdränge die Stadt- und Hochschulpolitik die Studenten aus der Altstadt.

"Die Politik", sagt Kneipenbetreiberin Griesbeck, "will in meinen Augen eine Touri-Stadt, in der alles leise ist und schick und fein und ohne Herz." Herzlos findet die 49-Jährige auch, dass immer mehr alteingesessene Mieter ihren Platz in der Innenstadt räumen müssen - weil vielerorts saniert wird. Mit der Sanierung wiederum steigen die Mieten - in Regensburg so stark wie fast nirgendwo.

Laut einer Studie des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) liegt die Mietsteigerung mit rund 36 Prozent im Zehn-Jahres-Vergleich deutlich über dem bayerischen Schnitt (25,8 Prozent) - für die Altstadt sind jene 36 Prozent gar "nur die Unterkante", wie IVD-Geschäftsführer Stephan Kippes sagt.

Für Einkommensschwache, zu denen auch die Studenten gehören, sei eine Altstadtwohnung kaum mehr zu bezahlen, sagt Franziska Hilbrandt, die Studentische Sprecherin der Uni Regensburg - und sorgt damit für noch mehr Stirnrunzeln beim Bürgermeister: "Zum Mietanstieg tragen doch die Studenten massiv bei. Die Studenten sind die Gentrifizierer der Altstadt", sagt Schaidinger. Studentensprecherin Hilbrandt kontert: "Schuld an der Situation sind nicht die Studenten, sondern die laxe Haltung der Politik gegenüber privaten Investoren, die teuren Wohnungsbau betreiben."

In der "Alten Filmbühne" verabschiedet sich Herr Pleyer, der Automatenaufsteller. "Ein halbes Menschenleben bin ich hierher gekommen", sagt Pleyer und klappt seine Werkzeugkiste zu: "Als ob du aus einer Wohnung raus musst, aus der du nicht gehen willst." Auch Griesbeck hat Angst vor dem Tag nach der letzten Party: "Es ist eine harte Nummer. Ich weiß nicht, wie ich es verdaue. Aber ich werde auf jeden Fall weitermachen."

In ein paar Monaten will die 49-Jährige die "Alte Filmbühne" wieder öffnen und die roten Lampions dort aufhängen, wo bis vor Kurzem noch die "Heimat" war - ebenfalls eine alternative Kneipe mit Live-Bühne, die schließen musste. Auch den Flipperautomaten will sie mitnehmen, sagt Karin Griesbeck, "dem Herrn Pleyer zuliebe".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: