Als eine Feuersbrunst anno 1273 den alten Regensburger Dom verwüstete, stieg gerade eine Zeit herauf, in der das Weltbild des Mittelalters zu bröckeln begann und das Wissen sich fast explosionsartig vermehrte. Das hatte unmittelbare Folgen für den Neubau des Doms. Der damalige Bischof Leo Thundorfer (1262-1277) hatte in Frankreich die frühen Kirchen der Gotik gesehen. Tief beeindruckt setzte er durch, dass auch der neue Regensburger Dom im gotischen Stil erstrahlen sollte.
Der romanische Vorgängerbau verschwand aber nicht komplett, unter anderem blieb ein Turm mit dem kuriosen Namen Eselsturm erhalten. Das Wort Esel verweist hier auf den Lastenaufzug, und tatsächlich dient dieser Turm bis heute für den Transport von Baumaterial. Die damaligen Architekten und Arbeiter aber, die in der romanischen Baukunst geübt waren, hatten zunächst Schwierigkeiten, das Maß der Gotik in den Griff zu bekommen. Erst nachdem ein Meister aus Burgund herbeigeholt worden war, schritt der Dombau voran.
Der besagte Meister formte die Kirche behutsam nach dem Muster der klassischen gotischen Kathedralen. Die Regensburger wollten wohl in der ersten Begeisterung mehr, als es ihre Fähigkeiten und Mittel erlaubten, auch wenn der Dombau ein riesiges Konjunkturprogramm für die Stadt in Schwung brachte. Deshalb sollte der Bau noch viele Generationen beschäftigen, erst 1872 war er, nach 600 Jahren, in Gänze fertiggestellt. Die Finanzierung sicherten bis zum Ende des 14. Jahrhunderts die Regensburger Bischöfe sowie reiche Händler und Patrizierfamilien, die sich dafür mit ihren Wappen in den Glasfenstern, Portalen und Pfeilern der Kathedrale verewigten.
Die Motivation für einen Kirchenbau war in jener Zeit eine fundamental andere als heute, der Glaube bot den Vorfahren einen vordringlichen Investitionsgrund. "Heute vergraben wir viel Geld in der Erde", sagt Egon Johannes Greipl, der frühere Generalkonservator des Landesamts für Denkmalpflege, "und zwar in Kanalisation, Straßenbau und Breitbandversorgung. Dieses Geld wurde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht zuletzt für den Bau von Kirchen verwendet."
Hoch wie der Himmel - so lautete schon 1275 die Zielsetzung des Dombaus. Als aber um 1520 herum endgültig das Geld ausging, war von den Türmen noch kaum etwas zu sehen. Erst im 17. Jahrhundert wurde im größeren Stil weitergebaut, wobei nun die Stilelemente des Barocks Einzug hielten. Der Dom hat auf diese Weise Abertausende Geschichten hervorgebracht, so klein kann die Nische gar nicht sein, dass sich dort nicht der jeweilige Zeitgeist verewigt hätte. Das Schicksal unzähliger Menschen war untrennbar mit dem Dom verbunden. Greifen wir als beliebiges Beispiel den Baumeister Wolfgang Roritzer heraus, der das Sakramentshäuschen errichtete, das zu den besten Schöpfungen der Spätgotik zählt. Roritzer wurde, warum auch immer, 1514 auf dem Rathausplatz enthauptet. Sein Werk blieb unvollendet, das belegen Details, deren Abschluss sichtbar unterblieb.
Immerhin war die Kirche von 1450 an überdacht. Verglichen mit heute wirkte der damalige Dom ohne Türme noch sehr gedrungen. Über Jahrhunderte hinweg besaß der Bau nur pyramidenartige Notdächer, mit denen man sich später nicht mehr zufrieden gab. Himmelwärts sollte es gehen, wie in den Anfängen. Vor allem die Könige Ludwig I. und Maximilian II. drängten darauf, den Dom endlich zu vollenden. Er sollte ein Nationaldenkmal bilden. "Hoch zum Himmel emporgerichtet, mit einem Kranze von Heiligen umgeben" - so formulierte Bischof Ignatius von Senestrey das hehre Ziel beim Start des Ausbaus der Türme im Jahr 1859. Er setzte dabei auf die "Opferbereitschaft des ganzen Bisthums". Das Wachsen der Doppeltürme ging dann rasch voran, 1872 war die Kathedrale vollendet, gotisch erstrahlend.
Ludwig I. hatte nämlich 1834 eine Purifizierung des Innenraums angeordnet. Bis auf den Hochaltar entfernte man alle barocken Altäre sowie Chorgitter, Oratorien und Tribünen. Die Barockkuppel wich einem gotischen Rippengewölbe. Zudem wurden alle barocken Grabdenkmäler und die Wandgemälde entfernt. Ungeachtet der vielen Veränderungen nimmt der gotische Regensburger Dom mit seinen 105 Meter hohen Doppeltürmen in der deutschen Architekturgeschichte eine herausragende Stellung ein. Nicht zuletzt gehört er zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen Monumentalbauten überhaupt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Dombauherren stets die Grenzen des technisch Machbaren ausgereizt haben. Die hier tätigen Steinmetze und Bildhauer waren Meister ihres Fachs. Mehr als 700 Steinmetzzeichen seien entdeckt worden, sagt der Kunsthistoriker Achim Hubel, der sich viele Jahre lang mit der Erforschung des Doms beschäftigt hat. Ausgebildet wurden diese Künstler und Handwerker direkt an den Dombauhütten. Manche waren Jahre auf der Baustelle, andere nur Wochen. Diese Fluktuation schuf die Voraussetzung, dass sich die am Dom geborenen Ideen und Kenntnisse sowie die meisterhafte Handwerkskunst übers ganze Land ausbreiteten.
Die unvergleichliche Fülle der Bauzier und der Bauskulpturen vermittle einen tiefen Einblick in die Formensprache und die Bilderwelt des gotischen Mittelalters, sagt Hubel. Vor allem bei den bizarren Fabelwesen ließen die Künstler ihrer Fantasie freien Lauf. Am Hauptportal und im Innenraum dominieren jedoch die Heiligenfiguren. Die Heiligen genossen im Mittelalter eine heute kaum mehr vorstellbare Verehrung und wurden entsprechend oft abgebildet. Einen scharfen Kontrast dazu bilden die Wasserspeier, mit deren Hilfe das Wasser von den Dächern abgeleitet wurde. Am Dom begegnen sie uns als Drachen, Dämonen und Monster. An den Fassaden prangen aber auch Fantasieviecher, sie zeichnen sich aus durch bizarre Gliedmaßen und Krallen. "Die mittelalterlichen Künstler haben unendlich genau gearbeitet", sagt Hubel, auch dort, wo kein Blick hinfiel. "Sie durften nicht schlampen, denn sie arbeiteten zur Ehre Gottes."
Die Hauptfassade des Doms mit den Doppeltürmen.
(Foto: Johannes Simon)Das moderne Bauen hat sich von diesem Anspruch weit entfernt. Umso mehr drängt sich beim Blick auf den Dom die Frage auf, wie lange eine Gesellschaft so ein Bauwerk noch erhalten will. Schon der Dichter Adalbert Stifter, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Landeskonservator tätig war, äußerte den Gedanken, auch die vollkommensten Methoden der Restaurierung und Konservierung könnten den Untergang des Werks allenfalls verzögern, nie aber verhindern: "Alles, was ist, wie groß und gut es sei, besteht eine Zeit, erfüllt einen Zweck, und geht vorüber." Um die Zukunft des Doms sorgt sich Egon Johannes Greipl trotzdem nicht. "Er gehört ja dem Staat, und der ist gemäß der Bayerischen Verfassung verpflichtet, sein bauliches Erbe zu sichern." Trotzdem ist zu ergründen, woraus der Wert eines Doms in einer Gesellschaft besteht, die sich immer weniger damit identifiziert. Greipl hat diesbezüglich mehr Angst um die Rettung der Dorfkirchen. "Wofür will eine Gesellschaft eigentlich ihr Geld ausgeben?" Als Greipl Generalkonservator war und er die Politik auf den finanziellen Bedarf der Denkmalpflege hingewiesen habe, habe man ihm oft mitgeteilt: "Es ist kein Geld da." Das war keine korrekte Aussage, sagt Greipl. Es hätte nämlich heißen müssen: "Dafür ist kein Geld da."
Beim Nachdenken über dieses Problem taucht zurzeit häufig der Begriff Präsentismus auf. Er benennt unter anderem ein tief gestörtes Verhältnis der Gesellschaft gegenüber der Zeit: Gegenwart ist alles, Vergangenheit nichts, Zukunft wenig. Auch Denkmäler und Kirchen werden dabei nur mehr als Teil der Gegenwart und ihres Verwertungsinteresses betrachtet, als Kulisse für persönliche Inszenierung, Vergnügung und Freizeit. Noch ist der Regensburger Dom davon weitgehend unberührt, noch dient er als geistliches Herz des Bistums Regensburg. Sein zentrales Zeichen ist unübersehbar das Kreuz. Nicht nur an der Westfassade sind Hunderte Figuren so angeordnet, dass sie alle um das Kreuz im Zentrum kreisen.