Zum Tod von Benedikt XVI.:"Die Ratzingers gehörten einfach zu Regensburg"

Zum Tod von Benedikt XVI.: Ein Bild mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. steht im Dom St. Peter in Regensburg.

Ein Bild mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. steht im Dom St. Peter in Regensburg.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Hier hat Joseph Ratzinger als Professor gelehrt, hier war sein Bruder Georg Chef der Domspatzen, hier hätten sie wohl zusammen ihren Ruhestand verbracht - wäre nicht die Wahl zum Papst dazwischen gekommen. Wie die eigentliche Heimatstadt des emeritierten Papstes um Benedikt XVI. trauert.

Von Lisa Schnell, Regensburg

Im Regensburger Dom steht ein junger Mann und blickt Papst Benedikt XVI. direkt in die Augen. Er sieht die schwarze Schleife, die an die Ecke des Bildes gebunden ist, das silberne Kreuz, das auf das weiße Papstgewand fällt und die flackernde Osterkerze direkt daneben, mit der Aufschrift 2022. Lange steht der große Mann mit den blonden Haaren vor dem Bild des Verstorbenen. Er muss wohl hören, was die Touristen um ihn herum so sagen - "Wir sind Papst, erinnert ihr euch?" - und doch scheint er es nicht zu hören, er ist wie versunken.

Als er sich dann doch in eine Kirchenbank setzt, erzählt er. Von den Nachrichten, die vor ein paar Stunden auf seinem Handy eingingen. Von überall auf der Welt, alle zur gleichen Zeit, wenn ein ehemaliger Papst sterbe, sei das "ein Weltereignis". Er hat dann selbst sein Beileid an die geschrieben, die "geistliche Kinder von Papst Benedikt" sind. So wie er eines sei. Ja, Joseph Ratzinger, ist sein "geistlicher Vater", sagt er und korrigiert dann "war".

Es gibt so einige in Regensburg, die an diesem 31. Dezember Silvester Silvester sein lassen und ihren Weg in die Kirche finden. Es sind keine Massen, man muss sie suchen, aber die, die man findet, erzählen von einer starken Verbundenheit zu dem Mann, der einmal Papst war und der am Morgen, um 9.34 Uhr, mit 95 Jahren in seiner Altersresidenz im Vatikan gestorben ist. Aber hier kennen sie ihn schon viel länger. Mit keiner deutschen Stadt ist der Name Joseph Ratzinger mehr verbunden als mit Regensburg.

Wobei hier auch noch der Name Marktl erwähnt werden muss, jener Ort am Inn, in dem Joseph Ratzingers Geburtshaus steht. Nach der Nachricht von seinem Tod haben sich auch dort nach und nach viele Gläubige eingefunden. Am Sonntag waren es einige hundert, und zwar nicht nur aus der nächsten Umgebung. "Es waren auch viele internationale Gäste da", sagt Franz Haringer, der Theologische Leiter der Stiftung Geburtshaus Benedikt XVI. voller Freude. "Wir sind sehr angetan", sagt er noch, bevor er sich wieder um die Besucher kümmert.

Seit 1964, als sein Bruder Georg Chef der Domspatzen wurde, war Joseph Ratzinger oft zu Besuch in Regensburg. 1969 wurde er hier Professor, er kaufte sich ein Haus im nahen Pentling und fühlte sich dieser Stadt so nahe, dass er 1974 seine Eltern vom Friedhof in Traunstein nach Regensburg holte. In Regensburg, das kann man wohl so sagen, war Joseph Ratzinger daheim. Hier hätte er wohl seinen Ruhestand verbracht, wäre er nicht 2005 zum Papst gewählt worden. Und in Regensburg, so spürt man es an diesem Samstag, wird er auf eine ganz besondere Weise vermisst.

Von dem jungen Mann im Dom etwa. Er hat für den früheren Papst einen Rosenkranz gebetet und seine Silvester-Party abgesagt. Er mache eine Ausbildung zum Kirchenmaler, soviel darf man schreiben, seinen Namen nicht, ist heutzutage ja "nicht gerade cool", ein gläubiger Christ zu sein. Davon, wie Joseph Ratzinger sein Leben prägte aber, will er erzählen. Er sei 22 oder 23 Jahre alt gewesen, als er "in einer Welt ohne Helden einen Helden" suchte. Seine Eltern hätten ihn nicht kirchlich erzogen, also sei er selbst auf die Suche gegangen nach dem Sinn des Lebens.

Er landete auch bei einem Youtube-Clip, keine zwei Minuten lang. Der Moderator fragte, wie man heute denn noch glauben könne und Joseph Ratzinger antwortete sinngemäß: Wenn man es nicht fühlt, solle man sich einfach reinsetzen in die Kirche und so tun. Fand er gut. Seine Schriften auch, "Einführung in das Christentum" und "Jesus von Nazareth". Das sei so "intellektuell akkurat" gewesen, sagt er, "kein Gefühl, sondern Sinn". Dieses "Feeling", dem jetzt alle hinterherliefen, er wedelt dazu mit den Händen in der Luft, das sei nicht seins. Jesus habe geschrien und geweint am Kreuz, da war nichts mit "feel good". Die Kirche sei auch da im Leid, das hätten ihm Ratzingers Schriften gezeigt. Und natürlich habe es da noch andere Einflüsse gegeben, aber ja, das könne man schon so sagen: "Wegen ihm bin ich in die Kirche eingetreten."

An Austritt hat er seitdem nicht gedacht. Auch nicht, als ein Missbrauchsfall in der katholischen Kirche nach dem anderen bekannt wurde, auch nicht, als Joseph Ratzinger vorgeworfen wurde, als Erzbischof von München und Freising nicht genügend dagegen unternommen zu haben. "Das hat mein Bild von ihm nicht verändert", sagt der Mann in der Kirchenbank. Als man ihn verlässt, beugt er sich vor und bekreuzigt sich.

Ein paar Kirchenstufen runter, ein paar andere hoch in die Stiftskirche um die Ecke. Hinten links, neben dem Christbaum, steht seit dem Papstbesuch 2006 eine überlebensgroße Kerze, darauf Papst Benedikt im goldenen Rahmen. Keiner kann sich erinnern, dass sie jemals gebrannt hätte, jetzt brennt sie. Ein paar Meter entfernt sitzt eine Frau mit feuchten Augen und knüllt ihr Taschentuch in der Hand zusammen. Als man sie vor der Kirche anspricht, will sie erst nichts sagen, dann nur anonym, das sei "zu privat".

Sie sei eigentlich evangelisch, aber eben auch Regensburgerin, zumindest im Herzen. Zehn Jahre habe sie in der Stadt gewohnt, erzählt sie, jetzt komme sie fast jedes Wochenende von München. Sie habe Joseph Ratzinger noch an der Uni gesehen, als sie Pharmazie studierte, sein Bruder, der gleich da hinterm Dom gewohnt hat, sei gefühlt jeden Tag über den Domplatz spaziert. "Die Ratzingers gehörten einfach zu Regensburg", sagt sie. Für sie habe dieses Bruderpaar etwas Beständiges gehabt, etwas Bleibendes "in einer Welt, die sich ständig verändert". Selbst wenn sie im Bayerischen Rundfunk die Parodien des Komikers Helmut Schleich über die beiden gesehen habe, sei ihr irgendwie heimelig warm ums Herz geworden. Und dann steht sie an diesem Samstag in Regensburg vorm Rathaus, die Einkaufstaschen in der Hand und - "ratsch"- lassen sie auf einmal die Fahnen runter, den Trauerflor. Sie eilt zur Stiftskirche, wo sie sich den Ratzingers nahe fühlt. Sie weiß, wo in der Kirche der Sarg von Georg Ratzinger stand, er ist 2020 gestorben, da war sein Bruder zum letzten Mal in Regensburg. Jetzt ist an der Stelle in der Stiftskirche eine Fahne mit dem Wappen des Vatikans für ihn aufgestellt.

Als aus Joseph Ratzinger Papst Benedikt wurde, das war "die reine Freude, völlig strahlend und golden", sagt sie. Und dann - vom Licht in den Schatten - spricht sie von der "dunklen Seite, Stichwort: Missbrauch". Dass auch Joseph Ratzinger vertuscht haben soll, war für sie "eine große Enttäuschung". Da unterscheide sich ein Papst wohl nicht von uns allen, sagt sie, denn jeder lade im Leben ja irgendwann Schuld auf sich. Und wer weiß, "vielleicht hat er ja was hinterlassen dazu?"

Sie werde die Nachrichten verfolgen, ob es ein paar letzte Worte von Joseph Ratzinger dazu gibt. Und sie werde, wenn sie die Ratzingers vermisst, so sagt sie es, "im Album meines Lebens blättern." Sie lächelt ein bisschen dabei, denn genau so hatte das Joseph Ratzinger gesagt. Und er habe Recht: "Was einem bleibt, ist die Erinnerung."

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:Himmel und Herde

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