Reenactment:Amerikanischer Bürgerkrieg mitten in Deutschland

Reenactment: Ein rekonstruiertes Lager aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg.

Ein rekonstruiertes Lager aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg.

(Foto: Elsbeth Föger)

Einmal selbst Soldat der Südstaaten, Kelte oder Wikinger: Im Osten Baden-Württembergs spielen Enthusiasten historische Ereignisse nach.

Von Elsbeth Föger, Ellwangen (Jagst)

Eine Waldlichtung nahe Ellwangen an der Jagst im Ostalbkreis. Es riecht nach Holz, Vögel trällern. Da scheppert auf einmal Metall. Ein Grüppchen uniformierter Männer macht sich zum Kampf bereit: Männer in dunkelblauen Mänteln mit goldenen Knöpfen, feldgrauen Uniformen mit Mützen und Federhüten. Andreas Bräunling steht in der ersten Reihe. Zackig schlägt er die Hacken zusammen und schultert seine Muskete. Wie die Kameraden neben ihm stopft er mit einem Ladestock imaginäres Schwarzpulver in die Waffe. Anlegen, zielen, abdrücken. "Boom!", rufen die Männer.

Aus den Gewehrläufen staubt allerdings kein Pulver, auch Kugeln zischen keine durch die Luft. Die Männer sind Hobbydarsteller und spielen nach, was vor 155 Jahren im Amerikanischen Bürgerkrieg geschah, im Jahr 1861. Alle paar Monate leben die Teilnehmer ein Wochenende lang als "Südstaatler" im Milizlager, einer kleinen Siedlung mit weißen Zelten. Sie exerzieren, braten Speck und philosophieren über den Krieg.

Hier gibt es keinen Verkehr, keine Hochspannungsleitungen. Nichts stört die Illusion, im Amerika des 19. Jahrhunderts zu leben. Organisiert wird das Wochenende von der Historischen Darstellungsgruppe München, einem der größten Living-History-Vereine in Süddeutschland. 70 Mitglieder hat die Gruppe, die Hälfte von ihnen stammt aus Bayern. Sie haben nicht nur den Bürgerkrieg im Repertoire: Teilnehmer können auch zu Kelten oder Wikingern werden und das Frühmittelalter oder das Franken des späten 18. Jahrhunderts nachleben.

Bräunling, 48, ist einer der Erfahrensten im Team: Er betreibt schon seit mehr als 40 Jahren Reenactment, also die Neuinszenierung geschichtlicher Ereignisse. "Diese Zeit übt auf mich seit frühester Kindheit eine besondere Faszination aus, die ich nicht erklären kann", sagt er. Auch beruflich hat Bräunling mit Geschichte zu tun, er ist Stadtarchivar in Dachau. Mit seinem Ziegenbart und dem gezwirbelten Moustache sieht er aus wie aus der Zeit gefallen. "Wenn Andy mit einer Zeitmaschine nach Gettysburg katapultiert würde", sagt einer der Darsteller, "dann wäre keiner überrascht. Die Soldaten würden einfach nur sagen: Oh, Bräunling is here."

Seine Lebensgefährtin hat Bräunling beim Reenactment kennengelernt. Dorothea Fischer ist als einzige Soldatenfrau beim Treffen dabei. "Die gemeinsame Begeisterung und der Einsatz für das Hobby ist eine schöne Basis für eine Beziehung", sagt die 60-Jährige mit dem störrischen grauen Haar. Eine Zeit lang flog das Paar aus Egenhofen zweimal im Jahr zu Living-History-Events nach Amerika.

Beim Reenactment wird nicht gespielt

Das klingt nach einem Spiel - doch genau diesen Begriff lehnt die Gruppe ab. Die Teilnehmer stellen den schrecklichsten Krieg der amerikanischen Geschichte nach. In keinem Konflikt starben mehr amerikanische Soldaten als in diesem. 600 000 Tote in nur vier Kriegsjahren - das sind mehr als im Zweiten Weltkrieg, mehr als im Vietnamkrieg. Den Darstellern geht es trotzdem mehr um das Leben als um das Sterben.

Zum Kampf kommt es nicht, die Gruppe schlüpft an diesem Tag in nur eine Rolle: die der Südstaatler. Sie tragen schwarze Federhüte, Abzeichen und Uniformen. Die Zähne putzen sie sich mit einer Backpulver-Mischung und auf dem hölzernen Plumpsklo hängen Kopien zeitgenössischer Zeichnungen. Sogar historisches Geld haben sie drucken lassen.

Alles Moderne muss draußen bleiben

"Wenn ich mich für einen Moment tatsächlich in der Zeit fühle - das ist ein Geschenk", sagt Dorothea Fischer. Im echten Leben ist sie Finanzfachwirtin. Das Reenactment sieht sie als Ausgleich zum Beruf. Ihren braunen Mantel und das Reifrock-Kleid hat Fischer selbst genäht, nach historischen Schnittvorlagen. "Zum Glück gab es um 1860 schon Nähmaschinen!"

Mit der Authentizität nimmt es der Verein sehr genau: Nichts an den Teilnehmern darf ans 21. Jahrhundert erinnern. Deshalb sind moderne Uhren und Brillen genauso verboten wie Piercings und Smartphones, fotografiert wird nur im Ausnahmefall. Nicht einmal unterhalten sollen sich die Darsteller über moderne Themen. "Wenn jemand über Autos oder Serien spricht, wird das nicht gern gesehen", sagt Bräunling.

Über unauthentische Mittelaltermärkte rümpft die Gruppe die Nase, auch Zuschauer will sie meist nicht. Anwohner hatten die Treffen der Gruppe anfangs argwöhnisch beäugt. Einmal rückte sogar die Polizei an: Ein Spaziergänger hatte Alarm geschlagen. Ältere Männer, die im Wald Krieg spielen? Da denkt die Öffentlichkeit gern an eine Horde Waffennarren.

Reenactment: Sogar die Fototechnik stammt aus dem 19. Jahrhundert. Darsteller Andreas Bräunling und Dorothea Fischer aus Egenhofen in historischem Schwarz-Weiß.

Sogar die Fototechnik stammt aus dem 19. Jahrhundert. Darsteller Andreas Bräunling und Dorothea Fischer aus Egenhofen in historischem Schwarz-Weiß.

(Foto: Peter Kubala)

"Uns wird immer wieder vorgeworfen, Kriegsverherrlichung zu betreiben", sagt einer der Teilnehmer, "das ist Unsinn." Der Krieg eigne sich nun mal gut für die Darstellung, auch deshalb, weil der Alltag der Soldaten gut dokumentiert ist. Viele Mitglieder wälzen Literatur und lesen zeitgenössische Tagebücher. Durch die Rekonstruktion bekomme man zumindest einen kleinen Einblick in die Kriegsstrapazen, sagt Bräunling. "Auch wenn wir nie die Todesgefahr der Soldaten nacherleben können: Bei nasskaltem Wetter im Freien zu sein, das lässt einen erahnen, was die Menschen damals durchgemacht haben."

Auch ein Engländer und ein Amerikaner gehörten zur Gruppe, sagen die Darsteller stolz. Sie selbst üben fleißig Englisch, den schweren deutschen Akzent können viele trotzdem kaum verstecken. Doch selbst das sei authentisch, sagt Bräunling: Der Amerikanische Bürgerkrieg sei auch Teil der deutschen Geschichte. Unter den ausländischen Soldaten waren Deutsche die zweitgrößte Gruppe.

Der Waldweg wird zur Zeitschleuse

Armen Einwanderern bezahlte man die Überfahrt nach Amerika, wenn sie sich zum Kampf verpflichteten. "Wir stellen eine Einheit aus dem Shenandoah Valley in Virginia dar", sagt Bräunling, seit Ende des 17. Jahrhunderts ein traditionelles Einwanderungsgebiet. Vielleicht waren sogar Bräunlings Vorfahren aus seinem Geburtsort Bayreuth dabei.

Viele der Darsteller kennen sich seit mehr als 20 Jahren. "Wir sitzen hier und erinnern uns. Wie Veteranen", sagt einer und lacht. Und Veteranen fällt es bekanntlich nicht leicht, in den Alltag zurückzukehren. Auch Dorothea Fischer und Andreas Bräunling nehmen sich gerne Zeit auf dem Rückweg in die moderne Welt. Ein Pfad führt zu den Parkplätzen. Für manche ist der Wald wie eine Zeitschleuse. Man hört die Hauptstraße, sieht ein Dorf in der Ferne - und ist plötzlich wieder im Jahr 2016. Nur eben mit einem Federhut auf dem Kopf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: