Prozess:Polizisten wegen Übergriffen in "Ankerzentrum" verurteilt

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Zwei Polizisten und eine Polizistin mussten sich am Donnerstag vor dem Schweinfurter Amtsgericht verantworten. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Das Gericht verhängte gegen den einen Polizisten eine Freiheitsstrafe auf Bewährung, gegen den anderen eine Geldstrafe.

Von Clara Lipkowski, Schweinfurt

Es sind zwei Polizisten und eine Polizistin, die am Donnerstag vor Gericht in Schweinfurt erscheinen. Aber nicht, wie so häufig, als Zeugen, sondern auf der Anklagebank. Verrat von Dienstgeheimnissen wird den beiden Männern vorgeworfen, das Weiterleiten von Bildern unter anderem von Festgenommen, teils versehen mit rassistischen Kommentaren. Außerdem besteht der Vorwurf des Hausfriedensbruchs; einem der Männer wird zudem Nötigung vorgehalten. Die Beamtin soll Beihilfe zur versuchten Körperverletzung im Amt geleistet haben. Doch dann sind es Aussagen einer Zeugin, durch die sich im Saal des Amtsgerichts Untiefen auftun.

Es ist der Auftritt einer Regierungsrätin. Sie war 2020 als Ermittlungsführerin bei der Disziplinarbehörde der Polizei München tätig. Ihre Aufgabe: Smartphone-Chats auswerten, unter anderem des Angeklagten Andreas J. Es habe Anhaltspunkte für rassistische und rechtsextreme Haltungen gegeben, sagt sie. Sie habe das Handy geöffnet und sofort sei es losgegangen - mit Begriffen wie "Kanaken", schildert sie. Und nennt weitere Beispiele.

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J. habe das Attentat von Halle damit kommentiert, dass dort "ein paar Dönerboys weggemacht" worden seien, "Lachsmiley", so schildert es die Zeugin. Auf einem Bild sei ein Überraschungsei als Handgranate dargestellt gewesen. Dazu laut der Zeugin ein Verweis im Sinne: "Sonderedition Asyl". Zumindest der Angeklagte J. erscheint Prozessbeobachtern spätestens jetzt als stramm rechtsradikal.

Ein Staatsbediensteter, der regelmäßig im unterfränkischen "Ankerzentrum" bei Schweinfurt Einsätze fuhr. "Das war wie ein Schneeballeffekt", sagt die Zeugin, sie habe den einen Chat geöffnet "und da hat sich schon der nächste ergeben", mit weiteren Personen, das wiederholt sie. Was das für die Schweinfurter Polizei bedeutet? Einmal mehr entsteht der Eindruck, dass sie ein massives Problem mit Rechtsradikalen in den eigenen Reihen hat.

Erst im Oktober stand der AfD-Abgeordnete Richard Graupner vor Gericht, früher Polizist in Schweinfurt. Der Vorwurf lautete Geheimnisverrat. In einem Indizienprozess wurde Graupner freigesprochen, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt. Der Ex-Polizist soll aktiv auf die Polizeiinfos zugegriffen haben, um sie einem Bekannten zu schicken, der seinerseits in ein Verfahren verwickelt war und Graupner zuvor "arischen Freund" genannt haben soll.

Unsachgemäße Drogenkontrollen

Auch an diesem Donnerstag geht es um Geheimnisverrat. So soll einer der Angeklagten, Andreas J., Jahrgang 1993, im vergangenen Jahr Bilder und Personalien Festgenommener in privaten Chats verschickt haben. Sein Kollege Martin H., Jahrgang 1991, soll ein Video verschickt und die Hautfarbe eines Mannes mit "Ab in die Zelle. Dem Ni**a hinterher" kommentiert haben. H. muss sich deshalb auch wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten verantworten.

Die Liste der disziplinarischen Vergehen, die ihnen die Staatsanwaltschaft vorwirft, geht weiter. Die Männer sollen bei ihren Einsätzen im "Ankerzentrum" unsachgemäß Drogenkontrollen durchgeführt haben. Einen Bewohner, den sie erwischt hatten, hätten sie bedrängt, sie zu informieren, wenn er von anderen Drogenbesitzern erfahre. Tue er dies nicht, soll H. dem Mann gedroht haben: "I will kill you". Dazu habe er sich mit der Hand an der Kehle entlang gestrichen. Das habe auf den Bewohner gewirkt, wird der Richter später sagen.

Juristisch übersetzt heißt das: Nötigung im besonders schweren Fall. Außerdem sollen sich die Männer mit einer Generalkarte Zugang zu Räumen in der Unterkunft verschafft haben - ohne das Wissen der Einrichtungsleitung. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. J. soll außerdem Drogen sichergestellt und für sich behalten haben. H. und J. sollen den zuvor "rekrutierten" Bewohner als Lockvogel für einen Drogendeal eingesetzt haben. Beide schweigen bis zum Schluss zu allen Vorwürfen.

"Ich habe mir gerade einen Kindheitstraum erfüllt"

Bei einem weiteren Vergehen kommt die Kollegin Anna W. ins Spiel. Der Angeklagte J. soll 2020 bei kaltem Wetter das Dienstfahrzeug beschleunigt und absichtlich durch eine Pfütze gefahren haben, um Umherstehende "vermeintlich fremdländischer Herkunft" nass zu spritzen. Anna W., Jahrgang 1994, soll das Ganze gefilmt, geteilt und J. das Video noch aus dem Auto per Whatsapp an eine Freundin geschickt und kommentiert haben: "Ich habe mir gerade einen Kindheitstraum erfüllt."

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Anna W. lässt sich auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ein und sagt aus. "Es sollte niemand nassgespritzt werden", sagt sie unter Tränen. Sie und J. hätten nur eine Fontäne erzeugen und "die lustige Situation" festhalten wollen. Die Drogenkontrollen ihrer Kollegen habe sie nicht infrage gestellt, könne sich das aber auch nicht erklären. Den Staatsanwalt überzeugt das nicht, auch nicht die "Fontäne". "Warum schreibt dann einer, er habe sich einen Kindheitstraum erfüllt?"

Wegen des Deals wird ihr Verfahren gegen eine Geldstrafe von 5000 Euro vorläufig eingestellt. Was im Saal zurückbleibt, ist Ratlosigkeit über das Verhalten von Beamten, die sich eigentlich neutral verhalten sollen. Anna W. ist bereits von der Schweinfurter Dienststelle an einen anderen Ort versetzt worden. Die beiden Männer sind suspendiert. Das beeilt sich die Polizei Unterfranken noch während des Verfahrens mitzuteilen. Offenbar will man sich möglichst eilig von den Kollegen distanzieren.

Am Abend verurteilt der Vorsitzende Richter den Angeklagten H. zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung - unter anderem wegen der Nötigung. Andreas J. muss eine Geldstrafe von insgesamt knapp 5000 Euro zahlen - weil er polizeiinterne Infos verschickt und sich Zutritt zu Räumen im "Ankerzentrum" verschafft hatte.

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