Auswilderungsprojekt:Live aus der Bartgeier-Kinderstube

Auswilderungsprojekt: Bartgeier-Weibchen Wally, das von SZ-Lesern seinen Namen bekommen hat, hat einen recht geregelten Tagesablauf in der Auswilderungsnische. Mit dem Sonnenaufgang wird der Jungvogel wach, gegen sieben Uhr wird erstmals am Tag gefressen. Zu beobachten ist das auch über eine Webcam.

Bartgeier-Weibchen Wally, das von SZ-Lesern seinen Namen bekommen hat, hat einen recht geregelten Tagesablauf in der Auswilderungsnische. Mit dem Sonnenaufgang wird der Jungvogel wach, gegen sieben Uhr wird erstmals am Tag gefressen. Zu beobachten ist das auch über eine Webcam.

(Foto: Hansruedi Weyrich/LBV)

Die jungen Greifvögel Wally und Bavaria leben seit einer Woche in einer Felsnische im Nationalpark Berchtesgaden. Sie knabbern an Gamsschädeln und beobachten die Steinadler. Und bald könnte es spannend werden.

Von Christian Sebald, Ramsau

Die wichtigste Nachricht zuerst: Wally und Bavaria geht es ausgezeichnet. Eine Woche ist es jetzt her, dass die beiden jungen Bartgeier-Weibchen in einer Felsnische im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert worden sind. "Bisher ist alles bestens gelaufen", sagt der Biologe Toni Wegscheider. "Die Jungvögel kommen sehr gut miteinander zurecht, sie haben sich schnell an ihre neue Umgebung gewöhnt, und sie fressen und trinken, wie sie sollen. Es könnte nicht besser sein."

Wegscheider muss es wissen. Er leitet das Bartgeier-Wiederansiedlungsprojekt des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) im Nationalpark und beobachtet Wally und Bavaria gleichsam lückenlos. Wobei Bavaria die agilere von den beiden ist. "Sie schlägt etwas mehr mit den Flügeln als Wally", berichtet Wegscheider. "Und sie steigt öfter in der Nische herum." Aber das macht nichts aus. "Auch Bartgeier sind Individuen", sagt Wegscheider. "Jeder ist ein bisschen anders wie der andere."

Dass Toni Wegscheider so gut über das Wohlergehen der Greifvögel Bescheid weiß, hat mit der Technik in der Auswilderungsnische zu tun. Dort sind zwei Webcams und zwei Fotofallen installiert. Eine Webcam läuft seit der Auswilderung vor gut einer Woche und überträgt ihre Bilder als Livestream ins Internet (lbv.de/bartgeier-webcam). Die andere wird demnächst zugeschaltet. Ihr Blickwinkel reicht vom Eingang der Felsnische steil nach unten in einen Bereich, in dem sich die Greifvögel noch nicht aufhalten. "Wenn sie öfter dort sind, knipsen wir auch diese Webcam an", sagt Wegscheider.

Dafür arbeiten die beiden Fotofallen bereits. Sie schießen alle 30 Sekunden ein Bild von Wally und Bavaria. Das Material ist auch für die spätere Dokumentation und wissenschaftliche Aufarbeitung der Auswilderung gedacht. Die Webcam läuft übrigens auch nachts, sie schaltet dann in den Infrarot-Modus. "Damit kriegen wir es sofort mit, wenn einmal in der Dunkelheit etwas Außergewöhnliches los wäre", sagt Wegscheider.

Bisher verlaufen die Tage der jungen Bartgeier alle nach dem gleichen Schema. Mit dem ersten Tageslicht werden Wally und Bavaria wach. Die beiden, die noch nicht fliegen können, lassen es gemächlich angehen. Von ihren Ruheplätzen aus schauen sie mal hierhin, mal dorthin. Irgendwann erhebt sich eine und steigt ein wenig herum. Die Auswilderungsnische ist so ausgerichtet, dass die Greifvögel schon morgens viel Sonne abbekommen. "Zum ersten Mal gefressen wird gegen sieben Uhr", berichtet Wegscheider.

Auf dem Speiseplan stehen Knochen und andere nicht verwertbare Überreste von Gämsen, die im Winter bei der Jagd im Nationalpark angefallen und speziell für das Bartgeier-Projekt eingefroren worden sind. "Zum Beispiel Hufe, auf denen noch Fell drauf ist", sagt Wegscheider. "Neulich haben wir ihnen einen Gamsschädel raufgetragen." Da haben Wally und Bavaria gleich ein wenig Beschäftigung. "Sie können an den Teilen immer wieder rumzupfen und rumknabbern", sagt der Biologe.

Später am Tag beziehen die Greifvögel ihre Lieblingsplätze. Der von Wally liegt mitten in der Nische vor einem großen Felsblock. Bavaria hält sich meist links davon etwas außerhalb des Überhangs auf. "Das ist ein sehr guter Aussichtspunkt", sagt Wegscheider. "Er hat aber den Nachteil, dass er nicht im Blickfeld unserer Webcam liegt. Deshalb sehen die Zuschauer mehr von Wally als von Bavaria." Dafür bekommen die beiden Greifvögel umso mehr von ihrer Umgebung mit. Sie sind sehr aufmerksame Beobachter.

"Als neulich mal oben auf einem Schneefeld neben der Nische ein Gamsrudel mit fünf Geißen und sieben Kitzen herumgetollt hat, da waren sie richtig neugierig", erzählt Wegscheider. "Und wenn die Steinadler in der Thermik am Knittelhorn segeln oder von den Turmfalken attackiert werden, die dort oben ein Nest haben, dann sind ihre Köpfe gleich steil nach oben gerichtet." Nachts wird fest geschlafen. "Bald nach Sonnenuntergang, so gegen 22 Uhr, herrscht Ruhe in der Felsnische", berichtet Wegscheider. "Und zwar ungefähr bis gegen vier, halb fünf Uhr."

Bartgeier (Gypaetus barbatus) zählen zu den spektakulärsten Greifvögeln weltweit. Wenn so ein Bartgeier mit seinen bis zu drei Metern Spannweite hoch am Himmel durch die Luft segelt, ist das ein majestätischer Anblick. Aber auch aus der Nähe sind die Tiere sehr imposant. Das liegt vor allem an dem hakenförmigen Schnabel und den schwarzen Federn, die von ihm borstenartig nach unten abstehen. Von ihnen hat der Bartgeier seinen Namen. Die Greifvögel sind aber harmlos und ungefährlich. Sie fressen nur Aas und Knochen.

Auswilderungsprojekt: Biologe Toni Wegscheider leitet das Bartgeier-Wiederansiedlungsprojekt des Landesbunds für Vogelschutz.

Biologe Toni Wegscheider leitet das Bartgeier-Wiederansiedlungsprojekt des Landesbunds für Vogelschutz.

(Foto: Privat)

Allerdings haftete den Bartgeiern der Irrglaube an, dass sie Schafe und andere Nutztiere auf den Almen jagen und durch die Lüfte davontragen. Manche Bauern waren sogar überzeugt, dass die Greifvögel Kleinkinder entführen. Deshalb wurden die Bartgeier erbittert gejagt. 1906 wurde der letzte in Österreich abgeschossen. In den Achtzigerjahren startete die Wiederansiedlung in den Alpen - vom Nationalpark Hohe Tauern aus. Die Projekte waren sehr erfolgreich. Aktuell leben etwa 300 Bartgeier in den Alpen. Die Auswilderung von Wally und Bavaria ist der Auftakt für die Wiederansiedlung der Bartgeier in Bayern. Die SZ begleitet das Auswilderungsprojekt, die SZ-Leser sind die Namenspaten von Wally.

Die beiden Greifvögel verstehen sich sehr gut. "Aber natürlich haben sie auch immer wieder mal Reibereien", sagt Wegscheider. "Das ist normal, sie müssen ja eine Rangordnung untereinander herstellen." Wenn sich Wally und Bavaria mal untereinander rangeln, stoßen sie hohe Pfiffe aus, die man sehr gut über das Mikrofon der Webcam hören kann. Doch die Rangeleien dauern nur kurz. Alsbald trennen sich wieder ihre Wege. Eine knabbert wieder mal an einem Knochen herum, die andere ist irgendwo in der Felsnische unterwegs. Bisweilen verweilen Wally und Bavaria aber auch eine ganze Zeitlang am gleichen Platz. "Neulich haben sie abends sogar fast ein wenig gekuschelt", sagt Wegscheider. Grundsätzlich sind junge Bartgeier aber eher Einzelgängertypen.

Und wie geht es nun weiter? "Die nächsten Tage wird sich noch nicht so viel ändern", sagt Wegscheider. "Aber nächste Woche, da könnte es spannend werden. Da werden Wally und Bavaria womöglich schon ihre ersten Hopser und Flatterübungen mit den Schwingen machen."

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