Die Vorlage, über die der Nürnberger Stadtplanungsausschuss an diesem Donnerstag abstimmen wird, bemüht sich nicht ums Vertuschen. Erster Satz: "Eine der ältesten und wohl die einzige noch weitgehend erhaltene kombinierte Rad- und Motorradrennbahn Deutschlands, ein überregionales Zeugnis der Industrie- und Sportgeschichte aus dem Jahr 1904, soll abgerissen werden."
Warum? Die Antwort darauf führt ins Jahr 2016, als der Verein "Sportplatz Nürnberg 1903" die Bahn verkaufte, um Geld für ein modernes Velodrom einzulösen. Dieses Projekt ist inzwischen ins Stocken geraten, die Pläne fürs Bebauen der Rennbahn dagegen schritten stetig voran. Abriss also eines "überregionalen Zeugnisses" zugunsten von Wohnungen? Auch hier geben sich die Stadtratsunterlagen offenherzig: "Die Radrennbahn war zu diesem Zeitpunkt", 2016 also, "noch nicht als Denkmal erkannt, da sie dem Landesamt für Denkmalpflege bis dahin nicht bekannt war."

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Das änderte sich, als eine örtliche Initiative begann, sich ins Zeug zu legen. Angeführt wird sie von der promovierten Biologin Dorith Müller, die - wie sie selbst sagt - bis dato wenig mit Detailfragen des Denkmalschutzes am Hut hatte. Aufgrund einer Landtagspetition wurde die Rennbahn in Nürnberg-Reichelsdorf zu Jahresbeginn auf ihre Denkmaleigenschaften überprüft. Mit dem Ergebnis: Bei der Bahn handelt es sich eindeutig um ein Baudenkmal. Ihre "Kurvenüberhöhung" von 47 Grad war eine der steilsten ihrer Zeit - eine historische "Besonderheit", urteilt das Landesamt.
Nicht nur das: Die Rennbahn sei "die letzte erhaltene Zementbahn ihrer Zeit in Europa" und von "sportgeschichtlicher" sowie "architektur- und technikgeschichtlicher Bedeutung". Zumal das Interesse in der international bedeutenden Fahrrad- und Motorradstadt Nürnberg besonders groß war in den 1920er-Jahren.

Das deckt sich mit den Beobachtungen des freien Sportjournalisten Manfred Marr, der Aufnahmen aus den vergangenen 118 Jahren gesammelt hat. 12 000 Zuschauer erlebten 1904 das Eröffnungsrennen, noch größer soll der Andrang im folgenden Jahr gewesen sein, als erstmals in Nürnberg Radler im Windschatten eines motorisierten Schrittmachers in die Pedale traten, ein "Steherrennen". Mindestens auf Augenhöhe mit den Fußballern waren die Rennfahrer zu der Zeit, berichtet Marr.
Was wiederum mit Feststellungen des Landesamtes übereinstimmt, das der Zementpiste "sehr hohe geschichtliche Bedeutung" beimisst - sowie "Einzigartigkeit in Deutschland als stadtgeschichtliches, technisches und sportgeschichtliches Denkmal". Als solches ist es freilich noch nicht auf der Denkmalliste eingetragen.
Die Stadt hat das alles auf dem Schirm. Sie argumentiert, dass für die Sanierung der baufälligen Bahn mehr als elf Millionen Euro notwendig wären. Und sogenannte Steherrennen heute kaum noch stattfänden. Der wohl entscheidende Satz in der Abrissvorlage für den Stadtrat lautet: "Hat ein Denkmal keine Verwendung mehr und kann nur noch museal genutzt werden, dann kann im Regelfall ein Erhalt aufgrund fehlender Zumutbarkeit von einem privaten Eigentümer nicht gefordert werden."

Man erkenne zwar die historische Bedeutung der Bahn. Deren Abriss zu versagen, sei aber "unverhältnismäßig". Zumal alle immer ein "Nachverdichten" der Stadtlandschaft forderten, sagt Baureferent Daniel Ulrich - und das Areal in Nähe eines S-Bahnhofs künftig nicht bloß als Wohnraum, sondern auch für eine Kindertagesstätte genutzt werden soll. Überdies soll als Reminiszenz ans Denkmal ein Teilstück von 30 Metern der insgesamt 400 Meter langen Bahn erhalten bleiben, als "Kunst- und Erinnerungsobjekt".
Die Stadt habe den Ehrgeiz der Initiative schlicht "unterschätzt", glaubt der Chef der Altstadtfreunde, Karl-Heinz Enderle. Immerhin müsse den Stadtratsmitgliedern nun klar sein, dass sie gegebenenfalls für den Abbruch eines Denkmals votierten. "Großen Optimismus", dass sich davon bis Donnerstag noch hinreichend viele Stadträte umstimmen lassen, habe sie freilich nicht, sagt Dorith Müller.