Radio:Bayern 1 ist so prickelnd wie ein Telefonbuch

Bayerischer Rundfunk - Funkhaus

Immer weniger anspruchsvolle Inhalte bietet der Sender Bayern 1.

(Foto: Felix Hörhager/dpa)

Durchgenudelte Melodien statt guter Reportagen: Das erste Programm des Bayerischen Rundfunks wird zunehmend entkernt.

Kolumne von Hans Kratzer

Die Unordnung der heutigen Zeit hat zu einer kuriosen Verklärung der Siebziger- und Achtzigerjahre geführt. Viele Menschen sind geradezu süchtig nach der Musik von damals. Der Bayerische Rundfunk hat deshalb seinen Vorzeigesender Bayern 1 umformatiert: Der spielt fast nur noch Hits von damals. Laut Media Analyse 2017 schalten täglich gut drei Millionen Hörerinnen und Hörer Bayern 1 ein, das ist im Radiogeschäft ein Spitzenwert. Der Sender wirbt mit der "besten Musik für Bayern", was aber auch heißt: Wer Bayern 1 wählt, dem drohen sogleich Showaddywaddy ("Moon of love"), Sailor ("A glass of champagne") oder noch schlimmer: das Electric Light Orchestra ("Hold on tight").

Das sind die Interpreten der musikalischen Einheitskost, mit der Millionen Hörer rund um die Uhr abgespeist werden. Tausend Mal gehörte Songs, durchgenudelte Melodien, die Texte prickelnd wie ein Telefonbuch. Wortbeiträge böten eine willkommene Abwechslung, aber die sind auf Bayern 1 rar geworden. Nun fiel auch noch das beliebte Naturprogramm "Rucksackradio" weg. Es ist künftig nur noch auf dem Wortsender und Bildungskanal Bayern 2 zu hören.

Einst war auch Bayern 1 lehrreich, voller Reportagen und Kommentare. Unvergessen, wie Bernhard Ücker und seine Kollegen wortgewaltig die Landtagspolitik aufs Korn nahmen. Zuletzt wurde das ambitionierte Programm schleichend entkernt. Die Wortbeiträge auf Bayern 1 wurden reduziert auf wenige kurze Häppchen. Seitdem ist vieles erwartbar und nicht mehr wie früher, als auf Bayern 1 Sendungen liefen, die den Hörer überraschten und seinen Blick auf Unbekanntes lenkten.

Seitdem der öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk die überdrehten Privatsender imitiert, ist auf Bayern 1 das Wort irgendwie zum Feind geworden. Dafür wird dem Hörer musikalisches Junk-Food aus der Zeit des Kalten Krieges serviert. Immerhin: Noch trotzen zwei Klassiker dem Rausschmiss aus dem Sender: das "Zwölfuhrläuten" und die Fußballschalte "Heute im Stadion". Fallen auch sie irgendwann aus dem Programm, sollte Bayern 1 die Walker Brothers spielen, auch sie Relikte aus den Achtzigern. Ihr größter Hit: "The Sun ain't gonna shine anymore."

Frei übersetzt: Jetzt wird's finster!

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