Kaum hatte die Protestveranstaltung vor dem Landgericht Landshut begonnen, da ließ der Organisator Günter Mühlbauer über Lautsprecher jeden wissen, was er sich von diesem Tag erwartet: "Auf geht's Leute, Nina Hagen rockt in Landshut. Heute schreiben wir Geschichte." Und tatsächlich wird es ein ereignisreicher Tag - mit einem aus Sicht der Protestierenden erfreulichen Ende. Es sind zunächst nur etwas mehr als zehn Mitdemonstranten sowie einige Schüler auf Gerichtsbesuch, die Mühlbauer umringen. Doch zwei Stunden später kommt Leben auf. Nina Hagen stakst auf hohen lila Stiefeln daher - mit selbst gemalten Verkehrsschildern auf dem Arm. Die Aussage der Schilder ist klar: Stoppt den Paragrafen, durch den Menschen auch bei eher geringfügigen Straftaten in der Psychiatrie verschwinden.
Hagen mischt sich unter die Demonstranten und Passanten, die ihren Augen noch nicht recht trauen. Sie sei wegen ihrer Freundin Ilona hier, sagt die Künstlerin. Ilona sei seit Jahren im Isar-Amper-Klinikum untergebracht, nachdem sie angeblich mit einem Einkaufswagen eine Frau attackiert hatte. Was sie dort durchmachen müsse, sei menschenunwürdig. "Im vergangenen Sommer haben wir angefangen zu telefonieren, ich bin schockiert über das, was sie mir erzählt", sagt Hagen.
Es gibt nicht nur den Fall Mollath
Äußerlich ist sie auch an diesem Dienstag die schrille Person, die man aus dem Fernsehen kennt. Doch ihre Botschaft heute ist eine ernste: "Menschen dürfen nicht länger in kostbare und weniger kostbare unterteilt werden", zitiert sie den Bundespräsidenten. Alle Menschen hätten ein Recht auf menschenwürdige Behandlung. Das gelte auch für psychisch kranke und auffällige Menschen.
Ilona H. ist zu dem Zeitpunkt bereits unterwegs zum Landgericht Landshut, in einem Transportfahrzeug der Justiz. An diesem Tag soll das Gericht erneut in einer Anhörung darüber befinden, ob die Forensik-Patientin eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Ihr Anwalt Adam Ahmed will alles dransetzen, dass seine Mandantin auf freien Fuß kommt. Ilona H. ist seit November 2007 in der Einrichtung in Taufkirchen an der Vils untergebracht. Ihr Fall wurde bundesweit bekannt, als sie für mehr als 20 Stunden am Bett fixiert wurde. Die Klinikleitung hatte diese Maßnahme verteidigt. H. habe sich "mit tätlicher Gewalt" Anweisungen des Pflegepersonals widersetzt. Ilona H. indes berichtete ihrem Anwalt von einem brutalen Vorgehen der Pfleger. Sie sei über den Boden geschleift worden, bevor man sie fixiert habe.
Hagen betont, es sei gut, wenn die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehme, dass Justiz und Psychiatrie nicht nur Gustl Mollath Unrecht angetan hätten. "Nun gibt es auch den Fall Ilona H.", sagt sie. Deutschland, "das Weltmeisterland" im Fußball, müsse auch Weltspitze bei der Beachtung der Menschenrechte werden. Ilona H., 58, Sozialpädagogin, sei eine "der begabtesten Lyrikerinnen Deutschlands", sagt Hagen. Sie habe Gedichte von ihr vertont, bald werde eine CD erscheinen. Später vergießt Hagen plötzlich Tränen. Sie sei von einem Polizisten angerempelt worden, klagt sie, und wisse gar nicht warum. Doch am frühen Abend tritt das in den Hintergrund. Denn H.s Anwalt hat Neuigkeiten: Seine Mandantin werde voraussichtlich am 14. August freikommen, erklärt er.