Süddeutsche Zeitung

Prügel-Vorwürfe gegen Mixa:"Warte nur, bis der Stadtpfarrer kommt"

Ehemalige Heimkinder erheben schwere Vorwürfe gegen den Augsburger Bischof Walter Mixa. Das Bistum spricht von Diffamierung.

Stefan Mayr

Walter Mixa gibt sich gern leutselig und jovial. Der Herr Bischof weiß durchaus mit seinen Leuten umzugehen. Wenn er auf dem Land zu Kirchenfesten oder Altarweihen eingeladen ist, dann genießt er es, inmitten der Gläubigen fröhlich durch die Straßen zu ziehen. Und da kann es schon einmal passieren, dass er winkend eine Nonne grüßt und ihr zuruft: "Grüß dich, Schwesterherz!"

Als er noch Bischof von Eichstätt war, haben es die Leute durchaus geschätzt, wenn sie ihr Oberhirte beim Spaziergang mit seinem Dackel in ein kurzes Gespräch verwickelt hat. Außerhalb seines Augsburger Bistums kennt man Walter Mixa freilich mehr als einen Mann des scharfen Wortes. Als einen Kirchenfürsten, der sich gern in die politischen Debatten einmischt, weil er glaubt, dem Zeitgeist den rechten Geist der katholischen Kirche entgegensetzen zu müssen.

Mixas Einlassungen beispielsweise zur Familienpolitik provozierten und verstörten nicht nur berufstätige Mütter. Auch brave Katholiken schüttelten den Kopf, und Kanzlerin Angela Merkel wies die Sichtweise des Bischofs, Frauen würden durch den Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung zu "Gebärmaschinen" degradiert, als wenig hilfreich zurück.

Die "sexuelle Revolution" ist mitschuldig

Nicht umsonst gilt der 68-Jährige gemeinsam mit dem Regensburger Oberhirten Gerhard Ludwig Müller und dem Kölner Kardinal Joachim Meisner zur Hardliner-Fraktion unter den katholischen Bischöfen Deutschlands.

Mixa sucht oft und gerne den Weg in die Medien, zuletzt meldete er sich in der Diskussion über sexuellen Missbrauch von Kindern in kirchlichen Einrichtungen als erster deutscher Bischof zu Wort.

Auf Kritik stieß dabei sowohl sein Vorpreschen als auch seine These, die "sogenannte sexuelle Revolution" sei "sicher nicht unschuldig" am sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.

Seit Hildegard Sedlmairs letzter Begegnung mit Walter Mixa sind bereits mehr als 30 Jahre vergangen. Dennoch bricht sie in Tränen aus, wenn sie davon erzählt. "Er hat mich am Kittel gepackt, aus dem Bett hochgerissen und mit der Faust mehrmals auf den Oberarm geschlagen." Sie ballt die Faust, lässt dabei den Knöchel des Mittelfingers leicht vorstehen und hebt ihre Hand: "So hat er uns geschlagen, mein Arm hatte viele blaue Flecken."

Hildegard Sedlmair war damals ein 15-jähriges Mädchen und lebte im Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef in Schrobenhausen. In dem Heim waren überwiegend Kinder aus problematischen Elternhäusern untergebracht. Sie kamen meist auf Weisung des Jugendamtes ins Heim.

Sedlmair ist 48 Jahre alt, und zusammen mit vier weiteren ehemaligen Bewohnern des Kinderheims wirft sie Walter Mixa vor, er habe als Stadtpfarrer von Schrobenhausen sie und andere Kinder in den siebziger und achtziger Jahren mehrmals geschlagen.

In eidesstattlichen Erklärungen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, berichten die ehemaligen Heimkinder von Ohrfeigen, von Fausthieben auf den Oberarm und von Schlägen auf das Gesäß mit Teppichklopfer oder Stock.

"Herr Mixa hat mir im Laufe der Jahre mindestens 50-mal die Hose heruntergezogen und mit einem Stock fünf- bis siebenmal kräftig auf das Gesäß geschlagen", sagt Markus Tagwerk (Name geändert). Der 41-jährige Familienvater lebte von 1972 bis 1982 in dem Kinderheim. Heute arbeitet er selbst als Erzieher, "aber antiautoritär", wie er betont.

Weil er für eine kirchliche Einrichtung arbeitet und Repressalien befürchtet, will er seinen Namen nicht in der Zeitung veröffentlichen. In seiner eidesstattlichen Erklärung schreibt er: "Einmal hat er (Mixa, Anm. d. Red.) einen Kochlöffel genommen. Dieser ist abgebrochen, dann nahm er die Hand." Während der Schläge soll Mixa laut Tagwerk gesagt haben: "Kind Gottes, nimm diese Strafe", oder: "In dir ist der Satan, den werde ich dir schon austreiben."

Walter Mixa war von 1975 bis 1996 Stadtpfarrer von Schrobenhausen. Danach wurde er Bischof von Eichstätt, 2005 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Augsburg. "Das war ein schwerer Schlag für mich", sagt Hildegard Sedlmair, die in Stadtbergen bei Augsburg lebt. "Wenn ich sein Bild in der Zeitung sehe, dann holen mich die Demütigungen wieder ein, dann ist der Tag schon gelaufen."

Die Vorwürfe, Mixa habe in Schrobenhausen Kinder geschlagen, bezeichnet das Bistum Augsburg in einer schriftlichen Stellungnahme als "absurd, unwahr und offenbar in der Absicht erfunden, den Bischof persönlich zu diffamieren". Handelt es sich bei den Vorwürfen um eine Kampagne von Trittbrettfahrern, die den umstrittenen Bischof in Misskredit bringen wollen? Oder sind die Heimkinder tatsächlich geschlagen worden?

Sabine Glas (Name geändert) von der Hilfsorganisation SOS-Kinderdorf hat keine Zweifel an Markus Tagwerks Schilderungen. Per eidesstattlicher Erklärung bestätigt sie, Tagwerk habe ihr von den Schlägen des früheren Stadtpfarrers bereits lange vor den Medienberichten über Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen erzählt.

Sabine Glas kennt Markus Tagwerk seit fast 30 Jahren. Er kam 1982 vom Schrobenhausener Kinderheim in eine SOS-Jugend-Wohngemeinschaft, die sie leitete. Die Familienberaterin betreute ihn und auch Angelika Knopf (Name geändert), die zuvor ebenfalls im Kinderheim in Schrobenhausen gelebt hatte, über mehrere Jahre hinweg.

Als junger Erwachsener habe ihr Tagwerk schließlich von "Misshandlungen durch den damaligen Stadtpfarrer Walter Mixa" berichtet. Diese Aussagen seien stets "glaubwürdig" und "nicht widersprüchlich" gewesen. Aber erst in späteren Jahren sei ihr, Glas, in Gesprächen mit den beiden ehemaligen Heimkindern "das ganze Ausmaß der systematischen körperlichen und seelischen Misshandlungen" deutlich geworden, das die beiden in ihrer Kindheit in Schrobenhausen erlitten hätten.

Keine Chance auf eine ehrliche Entschuldigung

Sie selbst habe nur deshalb zunächst nichts unternommen, weil die Vorwürfe "wie ein Bumerang" auf die Betroffenen zurückgekommen wären. "Ich finde auch aus heutiger Sicht keinen Zeitpunkt, zu dem Tagwerk und Knopf eine Chance auf eine ehrliche Entschuldigung gehabt hätte." Erst jetzt sehe sie die Möglichkeit gekommen, deshalb habe sie beide ermutigt, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Hildegard Sedlmair, 48, und Monika Bernhard, 47, stehen sogar mit ihrem richtigen Namen zu ihren Vorwürfen. "Die zwei Jahre in Schrobenhausen waren die schlimmsten meines Lebens", berichtet Hildegard Sedlmair. "Innerhalb einer Woche hat mich Herr Mixa dreimal jeweils mit der Faust geschlagen."

Ihre damalige Mitbewohnerin Monika Bernhard berichtet in ihrer eidesstattlichen Erklärung von zwei Ohrfeigen und einem "Boxschlag" gegen den Oberarm. Sie erzählt von einem "Klima der Angst" in dem Kinderheim, sie sei deshalb bis ins zwölfte Lebensjahr Bettnässerin gewesen und habe noch heute Albträume, in denen sie versucht, aus dem Heim zu flüchten. "Aber ich schaffe es nie", so Bernhard.

Auch Angelika Knopf, kaufmännische Angestellte aus Neusäß bei Augsburg, schreibt in ihrer eidesstattlichen Erklärung von "etwa zehn" Schlägen mit der Faust gegen den Oberarm: "Nach jedem Schlag stürzte ich ins Bett. Herr Mixa forderte mich auf, sofort wieder aufzustehen, dann schlug er wieder zu."

Mit Holzpantoffeln und Kleiderbügeln geschlagen

Nach Knopfs und Bernhards Angaben hätten außerdem zwei Nonnen die Kinder regelmäßig mit Holzbesen, Holzpantoffeln und Kleiderbügeln geschlagen. Der Orden der Mallersdorfer Schwestern, der im Heim damals die pädagogische Verantwortung trug, hört nach eigener Aussage zum ersten Mal von möglichen Übergriffen im Schrobenhausener Kinderheim.

Generalrätin Schwester Godehard Haushofer geht mit den Vorwürfen allerdings offen um: "Wir bitten die Betroffenen, mit uns Kontakt aufzunehmen, wir wollen alle Vorfälle aufarbeiten."

Auch Markus Tagwerk hat schlechte Erinnerungen an die Nonnen: "Die Schwestern drohten stets mit der Aussage: 'Warte nur, bis der Stadtpfarrer kommt.'" Er sei dann auch gekommen - und habe die Kinder bestraft. "Meistens stand er im Raum, krempelte die Ärmel hoch und sagte, ich habe gehört, du hast dich danebenbenommen", berichtet Markus Tagwerk. "Dann gab es Gebrüll und Schläge."

Das Bistum schreibt in seiner Stellungnahme: "Der seinerzeitige Stadtpfarrer von Schrobenhausen und spätere Bischof von Eichstätt und Augsburg hat in seinen jeweiligen Wirkungsbereichen zu keinem Zeitpunkt körperliche Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche angewendet." Zudem weist das Bistum darauf hin, dass Mixa als Stadtpfarrer von Schrobenhausen "zu keiner Zeit erzieherische oder pädagogische Funktionen im St.-Josef-Kinderheim innehatte".

Letzteres ist zutreffend: Die Verantwortung lag bis 1990 in den Händen der Mallersdorfer Schwestern. Dann wurde ein weltlicher Leiter installiert, der für die Betreuung der Kinder zuständig war.

Der heutige Leiter Herbert Reim ist seit 1999 im Amt und weiß nach eigenen Angaben nichts von Übergriffen in den siebziger oder achtziger Jahren. Heute leben in dem Heim 60 Kinder im Alter zwischen zwei und 18 Jahren, Träger ist die Katholische Waisenhausstiftung Schrobenhausen, die unter Aufsicht der Regierung von Oberbayern steht.

35 Schläge mit dem Teppichklopfer

Der Stadtpfarrer ist zwar von jeher kraft Amtes Vorsitzender des Stiftungskuratoriums, entscheidet als solcher aber nur über finanzielle und personelle Angelegenheiten. "Mit der Erziehung der Kinder hat der Stadtpfarrer nichts zu tun", sagt der heutige Stadtpfarrer Josef Beyrer.

Er bestätigt jedoch, dass er als Kaplan zwischen 1988 und 1991 "hin und wieder" zusammen mit Walter Mixa bei den Nonnen im Kinderheim gegessen habe. "Dies war aber nicht regelmäßig der Fall, sondern nur, wenn die Pfarrhaushälterin abwesend war." Von Schlägen durch die Schwestern oder durch Mixa habe er "nie etwa gehört", beteuert Beyrer.

Alle fünf ehemaligen Heimkinder erklären übereinstimmend, dass Stadtpfarrer Mixa regelmäßig ins Kinderheim gekommen sei und dort gegessen habe. "Danach mussten wir nach oben in die Klausur kommen", berichtet Markus Tagwerk. "Dorthin kamen wir immer nur zu drei Gelegenheiten: Namenstag, Geburtstag, oder wenn der Stadtpfarrer da war."

Was Walter Mixa dann mit den Kindern gemacht habe, berichtet Thomas Huber (Name geändert), der ebenfalls im Kinderheim wohnte: "Ich musste mich über einen Bock beugen", heißt es in seiner eidesstattlichen Erklärung, "dann hat mir Herr Mixa mit einem Teppichklopfer 35 Schläge auf das Gesäß gegeben." Huber trug dabei nach eigenen Angaben eine Stoffhose, dennoch habe er danach "beim Sitzen mehrere Tage Schmerzen" gehabt.

Huber ist heute 44Jahre alt und Maler. "Am meisten geschlagen wurden jene Kinder, deren Eltern nie kamen", berichtet Markus Tagwerk. Alle fünf ehemaligen Heimkinder betonen jedoch, dass sie nie Opfer von sexuellen Übergriffen wurden. "Immerhin kann ich heute darüber reden", sagt Tagwerk, "aber es gibt Menschen, die das nicht können."

Sein größter Wunsch sei, so Tagwerk, "dass sich Herr Mixa bei allen Betroffenen entschuldigt". Dieser Wunsch wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Das Bistum schreibt in seiner Stellungnahme, es behalte sich "ausdrücklich zivilrechtliche und strafrechtliche Schritte" vor.

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SZ vom 31.03.2010/liv
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