Süddeutsche Zeitung

Prozessauftakt:LKA-Beamte geraten wegen eines V-Mannes in Erklärungsnot

  • Am ersten Prozesstag gegen einen eingeschleusten Ex-Bandido gerät das Landeskriminalamt unter Verdacht, von kriminellen Handlungen des V-Manns gewusst und diese unterstützt zu haben.
  • Das legt ein Zwischenbericht der Kriminalpolizei Nürnberg nahe, die gegen ihre Kollegen vom LKA ermittelt hat.
  • Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, hätten die LKA-Beamten falsch ausgesagt und damit die Gefängnisstrafe ihres ehemaligen V-Mannes in Kauf genommen.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Ein früherer Bandido-Rocker und Spitzel des Landeskriminalamts steht vor Gericht, und schaut man sich sein Vorstrafenregister an, scheint klar zu sein, wer in dieser Geschichte der Bösewicht ist. Mario F., so hieß der Angeklagte in seiner Regensburger Bandido-Zeit, hat wenig ausgelassen seit 1991. Mit einem Vollrausch am Steuer fing es an, danach ging's richtig zur Sache: 1993 Beihilfe zu Untreue und Erpressung, dann wieder Vollrausch, danach versuchter Diebstahl, Körperverletzung, Hehlerei, Veruntreuung, Einschleusung von Ausländern, Fälschung technischer Aufzeichnungen, immer wieder Betrug und illegaler Erwerb einer Schusswaffe.

Stiftete ein Beamter des Landeskriminalamts zum Dealen an?

Keiner also, dem man zu glauben geneigt wäre, wenn er sich selbst als Unschuldslamm darstellt. Nach dem ersten Verhandlungstag aber steht doch eine Frage im Raum: War ein Bösewicht in der jüngeren Kriminalitätsbiografie des Mario F. ein Beamter des Landeskriminalamts? Wurde er von diesem LKA-Mann womöglich sogar angestiftet zum Drogendealen?

Vordergründing geht es um mehrere Drogendelikte, die der 48-Jährige begangen hat. Für diese ist er vom Landgericht Würzburg im August 2013 zu einer heftigen Haftstrafe verurteilt worden. Auch aufgrund seiner Vorstrafen musste er sechs Jahre und zehn Monate lang hinter Gitter. Dass der Prozess zumindest in Teilen nun wieder aufgerollt werden muss, liegt beinahe schon an einer Petitesse.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bemängelt, dass ein Messer, das der Bandido bei sich trug, als er Crystal über die Grenze schleuste, juristisch nicht richtig gewürdigt worden wäre vom Landgericht. Also hatte die Revision in diesem Punkt Erfolg. Wohlgemerkt: sogar zuungunsten des Angeklagten. Der BGH hatte Zweifel, ob dieses Messer womöglich eine klassische Waffe ist.

Warum der Richter große Augen bekam

Und doch gerät an diesem ersten Tag nicht etwa der Angeklagte unter Druck, sondern die Staatsanwaltschaft. Der Wahlverteidiger des Ex-Bandidos, Alexander Schmidtgall, stellt Beweisantrag um Beweisantrag. Und mit jedem der Anträge wird das Staunen größer im Raum, man hat den Eindruck, auch das Staunen des Vorsitzenden Richters. Sollte auch nur die Hälfte von dem zutreffen, was der Anwalt glaubt, mit Hilfe von Ermittlungen der Nürnberger Kriminalpolizei nachweisen zu können, könnte sich diese Verhandlung zu einem Skandalprozess ausweiten.

Dann wäre der Angeklagte nicht nur vom LKA bei den Bandidos eingeschleust worden. Dann wäre dessen Drogendealerei auch vom LKA gebilligt worden. Dann hätte das LKA für dessen Fahrten über die Grenze sogar die Fahrtkosten übernommen. Und dann hätten die LKA-Männer ihren V-Mann am Ende fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, nachdem dieser aufgeflogen ist. Und hätten beim anschließenden Drogenprozess in Würzburg plötzlich von nichts mehr gewusst, hätten falsch ausgesagt und tatenlos dabei zugesehen, wie ihr ehemaliger V-Mann fast sieben Jahre hinter Gitter ging. Kann das sein?

Einiges spricht dafür. Tatsächlich gibt es einen Zwischenbericht der Kriminalpolizei Nürnberg, die gegen ihre Kollegen vom LKA ermittelt hat. Gegen sechs LKA-Beamte gibt es derzeit Ermittlungsverfahren, es geht vor allem um Strafvereitelung im Amt. In einem Fall auch um die Frage, inwieweit das LKA an einem besonders schweren Fall von Diebstahl beteiligt war.

Über die zweifelhafte Glaubwürdigkeit von LKA-Beamten

In der Sache sieht es nicht gut aus für das LKA. Sein V-Mann, der Angeklagte, war an einem Raub von Mini-Baggern in Dänemark beteiligt. Und vieles spricht dafür, dass das LKA davon wusste, den Raub aber weder verhindert hat, noch hernach die ermittelnde Staatsanwaltschaft korrekt informierte.

Für die Kriminalpolizei sieht es auch eindeutig so aus, als hätte das LKA Dokumente gefälscht, um zu verschleiern, wie sehr es mit der Sache befasst war - und wie weit die Beamten offenbar Straftaten zu tolerieren und verheimlichen bereit waren, damit ihr Mann, die Quelle bei den Bandidos, nicht auffliegt. Die Glaubwürdigkeit der Aussagen von LKA-Beamten vor Gericht wäre damit schwer erschüttert.

Mario F. jedenfalls ist jetzt obenauf. Er trägt eine getönte Brille und kurze Haare, hat ein breites Kreuz und spricht ein sanftes Sächsisch. Als "Kollateralschaden" hätten LKA-Beamte ihn im ersten Prozess hingehängt, um zu verheimlichen, wie sehr sie selbst in Straftaten eingeweiht waren, sagt er. Die Augen des Vorsitzenden Richters werden immer größer. Diese ganzen Ermittlungsakten, die die Kriminalpolizei Nürnberg da offenbar gegen ihre Kollegen vom LKA zusammengetragen hat, die kenne er nicht, sagt der Richter.

Die richtig dicken Fische

Das wiederum versetzt den Angeklagten in Erstaunen. Denn aus diesen Akten gehe eben hervor, dass er mit Drogen dealte, um an Informationen über die richtig dicken Fische der Regensburger Bandidos heranzukommen. Schließlich wurde er bezahlt vom LKA. Da musste er auch nahe ran an die Szene. "Ich denke, dass Sie die Akten brauchen", sagt der Ex-Bandido zum Richter. Und der antwortet: "Das denke ich auch."

Dem Angeklagten war im ersten Prozess eine Persönlichkeitsstörung attestiert worden. Man habe versucht, ihn als "paranoiden Spinner" hinzustellen, klagt er, auch als notorischen Lügner. Derzeit sitzt er seine Strafe in einer Bezirksklinik ab, einer Drogentherapie wegen. Das Gericht will sich nun Akten der Kriminalpolizei beschaffen. Am 7. Dezember wird die Verhandlung fortgesetzt.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2015/libo
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