Prozess um Wahlfälschung:Spargelconnection in Niederbayern

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Das niederbayerische Geiselhöring ist für Spargel und Gurken bekannt - und seit 2014 auch für eine mutmaßliche Wahlfälschung. (Foto: Armin Weigel)
  • In Geiselhöring sollen 427 Erntehelfer eines Bauern zu Unrecht bei der Kommunalwahl abgestimmt haben.
  • Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass der mutmaßliche Drahtzieher damit CSU-Kandidaten helfen wollte.
  • Der Richter übt am ersten Prozesstag aber auch deutliche Kritik am Wahlamt der Stadt.

Aus dem Gericht von Andreas Glas, Regensburg

Der erste Prozesstag ist gerade zu Ende und Karl B. steht auf dem Flur des Regensburger Landgerichts. Er ist der Mann, den die Staatsanwaltschaft für den Drahtzieher in der Geiselhöringer Wahlfälschungsaffäre hält. 56 Jahre alt, Brille, hohe Stirn, das Haar wellig in den Nacken gestrichen. Ob er zufrieden ist? "Ja, schon", sagt Karl B. Mehr sagt er nicht. Noch ist ja nicht klar, wie die Sache für ihn ausgeht. Aber eine Tendenz gibt es bereits nach dem ersten Prozesstag. Es sieht danach aus, dass sein Verfahren gegen eine Zahlung von 100 000 Euro eingestellt wird. Er wäre damit nicht vorbestraft.

Wer das absehbare Ende der Affäre verstehen will, muss die Chronologie kennen. Ende 2013 begann dieser Fall, der Stoff hergibt für einen Provinzkrimi. Er spielt in Niederbayern, wo auch die Eberhofer-Krimis der Autorin Rita Falk spielen: die "Grießnockerlaffäre" etwa oder das "Zwetschendatschikomplott". Für den Fall Geiselhöring käme einem der Titel "Spargelconnection" in den Sinn. Die Hauptdarsteller: ein bayerischer Spargelbauer und drei mutmaßliche Handlanger aus Rumänien, zwei Frauen, ein Mann. Gemeinsam sollen sie für einen Skandal verantwortlich sein, der so bizarr klingt, dass die Sache bundesweit Schlagzeilen machte.

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Von Andreas Glas

Mehr als 400 rumänische Erntehelfer des Spargelbauern Karl B. sollen bei der Kommunalwahl 2014 in Geiselhöring zu Unrecht mitgewählt haben. So schildert es die Staatsanwältin, die im Gerichtssaal den ersten Teil der Anklageschrift verliest. Stimmt, was in der Anklage steht, dann haben Karl B. und die drei Mitbeschuldigten großen Aufwand betrieben, um die Kommunalwahl 2014 in Geiselhöring zu manipulieren - zugunsten mehrerer CSU-Kandidaten. Dazu gehörten neben B.s Ehefrau, die für den Kreistag kandidierte, auch sein Cousin, eine Mitarbeiterin seiner Firma und der Freund seiner Tochter, die sich jeweils für den Stadtrat bewarben - und auffällig weit nach vorne gewählt wurden.

So auffällig, dass das Wahlergebnis die Ermittler neugierig machte. Sie stießen auf einen "Tatplan", den Spargelbauer B. "leitete, überwachte und koordinierte". Sagt jedenfalls der Staatsanwalt, der den zweiten Teil der Anklage vorliest. Gegenüber, auf der Anklagebank, hört Karl B. aufmerksam zu, macht Notizen. Bei ihm geht es nicht nur um den Verdacht der Wahlfälschung, es geht auch um einen Doktortitel, den B. offenbar in der Schweiz erworben hatte - aber in Deutschland wohl gar nicht führen durfte. Er tat das aber, fast 30 Jahre lang. Vielleicht sagt das schon einiges aus über das Talent dieses Mannes fürs Tricksen und Täuschen.

Das Bild des "tricksenden Agrarunternehmers" sei falsch, sagt eine der Verteidigerinnen des Spargelbauern in ihrem Eröffnungsstatement. Nicht Karl B. sei verantwortlich, dass die Erntehelfer an der Wahl teilnahmen, sondern die Stadt Geiselhöring, die Wahlscheine an die Helfer geschickt habe, obwohl bekannt gewesen sei, dass es sich um rumänische Saisonkräfte ohne dauerhaften Wohnsitz in Geiselhöring handelte - und damit ohne Wahlrecht. Weil die Stadt trotzdem Wahlscheine an die Erntehelfer schickte, habe B. davon ausgehen müssen, "dass ein Wahlrecht bestand", sagt seine Verteidigerin.

Dass Karl B. seine Erntehelfer angewiesen habe, für bestimmte Kandidaten zu stimmen, sei ebenfalls falsch. Er habe nur dafür geworben, an der Wahl teilzunehmen und gegenüber den Erntehelfern "mit seiner Meinung über die zur Wahl stehenden Kandidaten nicht hinter dem Berg gehalten", sagt seine Verteidigerin. Auch der Vorwurf, Karl B. habe die Unterschriften der Erntehelfer auf den Wahlunterlagen gefälscht und Kreuze selbst gesetzt, "schießt weit über das Ziel hinaus".

Doch genau davon geht die Staatsanwaltschaft aus: dass B. für 427 Erntehelfer Briefwahlunterlagen anforderte, um "die Stimmzettel in seinem Sinne auszufüllen oder ausfüllen zu lassen" und ans Wahlamt zurückzuschicken. Seinen drei mitangeklagten Helfern soll er Geld dafür versprochen haben, dass sie seinen Plan unterstützten. In einigen Fällen sollen die Angeklagten die Stimmzettel selbst beschriftet haben, in anderen Fällen seien B.s Helfer nach Rumänien gefahren, um die "Wahlberechtigten" an ihrem wahren Wohnort zu besuchen, die Zettel in B.s Sinne ausfüllen zu lassen, und zurück nach Geiselhöring zu bringen. Zudem soll Karl B. 92 Rumänen vor der Kommunalwahl "Scheinwohnungen" in Geiselhöring verschafft haben, um sich deren Wahlrecht quasi zu erschleichen. Dies weisen B.s Verteidigerinnen ebenfalls zurück.

"Triftige Punkte, die für eine Einstellung sprechen"

Dann sagt der Richter, wie er die Dinge sieht - und kritisiert zunächst das Geiselhöringer Wahlamt, das "auch dazu beigetragen hat, dass es zur Wahl durch die rumänischen Erntehelfer überhaupt gekommen ist". Es handle sich ja nicht um eine Metropole wie München, sondern um eine 7000-Einwohner-Stadt, "jedem Verantwortungsträger bei der Stadt Geiselhöring war bekannt, dass diese Erntehelfer nicht das ganze Jahr überwiegend in der Stadt ansässig sind". Trotzdem seien Wahlscheine für die Helfer ausgestellt worden, was "höchst fragwürdig" sei.

Der Richter betont zwar, dass er Karl B. und die Mitangeklagten sehr wohl für tatverdächtig hält und dass das Demokratieprinzip durch die mutmaßliche Wahlfälschung verletzt worden sein könnte. Da die Wahl in Geiselhöring aber annulliert und wiederholt worden sei, da seit Beginn der Ermittlungen viel Zeit verstrichen ist, der Prozess schon einmal verschoben wurde und wegen "innerbehördlicher Verfahrensfragen" eine erneute Verschiebung droht, sei es wegen der dauerhaften "Belastungen für die Angeklagten" möglich, das Verfahren "durch hohe Geldauflage" einzustellen. Außer den 100 000 Euro, die B. zahlen soll, schlägt der Richter für die Mitangeklagten jeweils 1000 Euro vor.

Am Ende des Prozesstages signalisieren alle Angeklagten ihre Zustimmung - auch die Staatsanwältin sagt, es gebe "triftige Punkte, die für eine Einstellung sprechen". Dennoch wolle man dies noch einmal "abschließend prüfen". Ihre Entscheidung will die Staatsanwaltschaft dann am kommenden Montag bekannt geben, wenn der Prozess fortgeführt wird.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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