Umstrittener Polizeieinsatz:Staatsanwalt stellt Angeklagte als psychisch krank dar

Die Beamten sollen sie gegen die Wand geschleudert und ihr in den Unterleib geboxt haben - wie eine Gewaltorgie schildert Sandra B. vor dem Amtsgericht Rosenheim einen Besuch der Polizei. Angeklagt sind allerdings nicht die Beamten, sondern die Frau und ihre Familie.

Hans Holzhaider

Im Prozess gegen die vier Mitglieder einer Familie, die sich vor dem Amtsgericht Rosenheim wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung verantworten müssen, hat die Staatsanwaltschaft einen überraschenden Vorstoß unternommen. Staatsanwalt Thilo Schmidt stellte den Antrag, die Angeklagte Sandra B., 36, psychiatrisch untersuchen zu lassen.

Pensionierter Polizeibeamter mit Familie vor Gericht

Eine Familie verteidigt sich: Der Angeklagte Josef E. und seine Frau Aloisia zeigen im Gericht die Dokumentation ihres Klinikaufenthalts.

(Foto: dpa)

Es bestehe Grund zu der Annahme, dass die Frau an einer traumatisch bedingten psychischen Erkrankung leide und deshalb Phantasie und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten könne.

Sandra B., ihr Ehemann Anton B. und ihre Eltern Josef und Aloisia E. sollen der Anklage zufolge am 15. November 2010 in Schechen (Landkreis Rosenheim) zwei zivile Polizeibeamte bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten behindert und sich dann, als die Beamten sie mit Handschellen ruhigstellen wollten, körperlich so zur Wehr gesetzt haben, dass ein Polizist am Ellbogen verletzt wurde.

Die vier Angeklagten stellen den Vorgang freilich völlig anders dar. Sie seien von den Polizisten völlig ohne Grund zu Boden gerungen, geschlagen, gewürgt und getreten worden, sodass sie selbst vielfältige Verletzungen davontrugen.

Am zweiten Verhandlungstag schilderte Sandra B. sehr ausführlich die Ereignisse jenes Tages. Die beiden Polizisten suchten in dem Haus, das ihren Eltern gehört, nach einem früheren Mieter, der aber schon ausgezogen war. Das habe sie den Beamten gesagt, die aber immer weiter gefragt und ihr schließlich unterstellt hätten, sie wisse mehr, als sie sagen wolle.

Der Aufforderung, sich auszuweisen, seien die Polizisten nur sehr zögerlich nachgekommen. Als sie Stift und Block zur Hand genommen habe, um sich die Namen zu notieren, habe der eine sie gepackt und gegen die Wand geschleudert, der andere habe ihr mit der Faust in den Unterleib geschlagen. Inzwischen seien drei uniformierte Polizisten dazugekommen, zu viert hätte sie dann der Reihe nach auf sie eingeschlagen. Sie sei zu Boden geworfen worden, man habe ihr die Hände auf dem Rücken gefesselt, ein Beamter habe sich so auf ihren Hals gekniet, dass sie keine Luft mehr bekommen habe.

Als ihre Eltern herbei eilten, habe sie beobachtet, wie ihr Vater zu Boden geschleudert und geschlagen worden sei. Ein anderer Polizeibeamter habe ihre Mutter angesprungen und niedergerissen.

Auf die Frage des Staatsanwalts, wie denn ihr Verhältnis zur Polizei sei, antwortete Sandra B.: "Völlig unbelastet." Sie berichtete, wie sie mit ihrer Familie im Sommer 2010 den "Tag der offenen Tür" im Polizeipräsidium Rosenheim besucht habe. Josef E., der Vater, war selbst Polizeibeamter gewesen, bis er 1996 nach einem schweren Unfall aus dem Dienst scheiden musste.

"Schwerer seelischer Schockzustand"

Die Staatsanwaltschaft will nun beweisen, dass Sandra B.s Verhältnis zur Polizei ganz und gar nicht unbelastet sei. In der Personalakte von Josef E. hat sie einen Vorgang aus dem Jahr 1988 entdeckt. Die damals zwölfjährige Sandra habe einen Polizeieinsatz in der elterlichen Wohnung als extrem belastend erlebt, ein Arzt habe damals einen "schweren seelischen Schockzustand" diagnostiziert. Das lasse den Schluss zu, dass Sandra B. an einer bis heute andauernden posttraumatischen Belastungsstörung leide.

Auch in den Schilderungen der Polizeibeamten von dem Vorfall im November 2010 fänden sich zahlreiche Hinweise, dass Sandra B. psychisch schwer angeschlagen sei. Es sei deshalb zu befürchten, "dass die Angeklagte krankheitsbedingt Erlebnisse von 1988 und daraus resultierende Angstphantasien nicht von tatsächlichen Wahrnehmungen am 15.November 2010 zu trennen vermag", sagte Staatsanwalt Schmidt. Dafür spreche auch die "Überdetaillierung" ihrer Aussage. Die "massenhaften Details" könnten "selbst bei überdurchschnittlichen Gedächtnisfähigkeiten nicht auf eigener Wahrnehmung beruhen".

Nach Sandra B. schilderte auch ihr Ehemann Anton die Ereignisse. Seine Darstellung stimmte völlig mit der seiner Frau überein, auch er berichtete von einem überraschenden und durch nichts motivierten Angriff der beiden Zivilbeamten. Er selbst habe zwei heftige Faustschläge in den Bauch abbekommen, die ihm "höllische Schmerzen" verursacht hätten, sagte Anton B. . Einen Antrag, auch den Ehemann psychiatrisch untersuchen zu lassen, stellte die Staatsanwaltschaft bisher nicht.

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