Es kommt eher selten vor, dass Kinder an einem Samstag unbedingt zur Schule wollen. Der 5. Juli in einem niederbayerischen Dorf war so ein Tag. Die Grundschule hielt ihr Sportfest ab, für den achtjährigen Anton ein Pflichttermin. Er hatte trainiert, er wollte Spaß haben, sein Können zeigen - seine Mutter sollte ihm dabei zusehen. Und genau weil sie dem Wunsch ihres Sohnes entsprach, wird die Frau bald ins Gefängnis gehen. So jedenfalls stellt sich diese ungewöhnliche Geschichte aus ihrer Sicht dar.
Birgit R., 32, ist eine zierliche Frau, doch wenn sie über die bayerische Justiz und gefühlte Gerechtigkeit spricht, kann sie sehr energisch werden. Um ihren Sohn zu schützen, möchte sie weder ihren wahren Namen noch den Wohnort in der Zeitung lesen. Denn Anton mache ohnehin schon genug durch in diesem familiären Fiasko.
Anton ist ein Scheidungskind. Das Verhältnis seiner Eltern ist zerrüttet. Beide leben in neuen Partnerschaften, Birgit R. ist wieder verheiratet und vor elf Monaten Mutter einer Tochter geworden. Das alleinige Sorgerecht für Anton liegt bei ihr, der Umgang ist genau geregelt. Die Hälfte der Ferien verbringt Anton bei seinem Vater, dazu jedes zweite Wochenende. So auch jenes vom 4. bis 6. Juli. Eigentlich.
Nachricht via Umgangspfleger
Über den Umgangspfleger, der Anton vorschriftsgemäß zwischen seinen Eltern befördert, wies Birgit R. den Vater darauf hin, dass Anton gerne am Sportfest teilnehmen würde. Der Vater erklärte sich dazu bereit, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass weder Birgit R. noch ihr neuer Ehemann dann gleichzeitig diese Schulveranstaltung besuchen dürften. Dies sollten sie schriftlich zusichern. Andernfalls würde er, der Vater, mit Anton nicht zu dem Sportfest fahren. "Damit fing das ganze Theater an", sagt Birgit R.
Warum, fragte sie sich, solle sie sich vorschreiben lassen, ob sie ihr Kind anfeuern dürfe? Noch dazu, wenn Anton dies ausdrücklich wünschte. Das ließ sie den Vater auch so wissen. Der aber blieb bei seiner Haltung. Daher entschloss sich Birgit R., ihren Sohn an diesem Wochenende bei sich zu behalten, ihn selbst zum Sportfest zu begleiten und dem Vater stattdessen den Termin eine Woche später anzubieten.
Rechtlich wähnte sich Birgit R. auf der sicheren Seite. Der Umgangspfleger, ein durch und durch korrekter pensionierter Bundeswehroffizier, hatte sich bereits Rat beim Familienrichter geholt. Demnach habe der Vater kein Recht, von Birgit R. eine Verzichtserklärung zu fordern. Am schlechtesten sei es, Anton das Sportfest vorzuenthalten. Die Idee, der Vater könne seinen Sohn zum Sportfest begleiten, hielt der Deggendorfer Amtsrichter hingegen für gut umsetzbar. Schließlich sei der Sportplatz groß genug, damit die Eltern sich aus dem Weg gehen könnten.
Die "kindeswohlfreundlichste Lösung" indes sah der Richter in einem Tausch der Wochenenden. Welche Folgen das haben kann, darauf hatte der Umgangspfleger die Mutter in einer Auflistung verschiedener Szenarien vorsorglich hingewiesen: Dann könne es sein, dass der Vater einen Ordnungsgeldantrag stelle, dem das Gericht womöglich stattgebe. Für Birgit R. schwer vorstellbar. Hatte der Richter einen Tausch der Wochenenden laut Umgangspfleger nicht selbst als beste Lösung für das Kind bezeichnet?
Auf den formalen Standpunkt zurückgezogen
Die Mutter ging mit dem Sohn also zum Sportfest, kurz darauf kam vom Vater ein Ordnungsgeldantrag - den derselbe Richter tatsächlich befürwortete: Gegen Birgit R. wurden 500 Euro Ordnungsgeld oder wahlweise ein Tag Ordnungshaft verhängt, hinzu kommen die Verfahrenskosten. Der Richter habe sich offenbar auf den formalen Standpunkt zurückgezogen, sagt ein Jurist, auch wenn die Entscheidung menschlich eigenartig erscheine.
Problemfamilien:Sorge um das Sorgerecht
Die kleine Lena war gut ernährt, altersgemäß entwickelt und sauber gekleidet. Trotzdem reichte die Einschätzung des Jugendamtes, um den Eltern das Kind wegzunehmen. Es häufen sich die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidungen korrigiert.
So nicht, dachte sich Birgit R., und legte Beschwerde beim Oberlandesgericht München ein. Dort bestätigte man die Deggendorfer Entscheidung. Solange beide Elternteile nicht in der Lage seien, den Umgang des Kindes vernünftig miteinander zu abzusprechen, hätten sie sich an vereinbarten Regelungen zu halten. Weder Mutter noch Vater sei es gestattet, diese nach eigenem Dafürhalten abzuändern. Eine Stellungnahme des Umgangpflegers fand keine Berücksichtigung mehr, der Beschluss des OLG war bereits gefällt.
Birgit R. zeigt sich fassungslos. Sie wirft ihrem geschiedenen Mann vor, ihren Sohn zu instrumentalisieren. Noch enttäuschter ist sie aber von den Gerichten, die einem Vater Unterstützung gewährten, dem Kinderwünsche offenbar egal seien. Auf etwa 1000 Euro belaufen sich Ordnungsgeld und Verfahrenskosten - ein Betrag, den sich die Bürokauffrau während der Elternzeit schwer leisten kann. Doch auch um ein Signal zu setzen, werde sie nun einen Tag ins Gefängnis gehen, sagt R.: "Meine Kinder werden an diesem Tag ohne Mama sein, weil ich dem Rat unseres Richters gefolgt bin und zum Wohle meines Sohns entschieden habe."