Prozess um Schießerei im Zug:Die Schreckensfahrt des Alex 84148

Prozess nach Schüssen in Zug

Der Angeklagte Michael W. muss sich vor Gericht wegen Mordversuchs verantworten, weil er in einem Regionalzug auf Polizisten geschossen haben soll.

(Foto: dpa)
  • Vor dem Landgericht Kempten wird dem mutmaßlichen Zugschützen Michael W. der Prozess gemacht.
  • Im März vergangenen Jahres sollen der 45-Jährige und ein weiterer Mann in einem voll besetzten Zug eine Schießerei mit zwei Polizisten angefangen haben.
  • Einer der mutmaßlichen Täter starb auf der Flucht. Die zwei Polizisten leiden bis heute unter den Folgen der Geschehnisse.

Von Stefan Mayr, Kempten

Der Zugschütze von Kempten macht es sich erst einmal auf der Anklagebank gemütlich. Michael W. legt seinen Ellbogen auf eine Holz-Balustrade. Seinen Kopf stützt er auf die Hand. Seinen Körper lässt er lässig leicht nach unten rutschen. In dieser Position beantwortet er die Fragen des Richters. "Unterschiedlich", nuschelt er auf dessen Frage, wie oft er sich Heroin gespritzt habe. Mit maximaler Kurzsilbigkeit macht der 45-Jährige Angaben zu seinem Lebenslauf und Drogenkonsum. Zur wilden Schießerei, die er am 21. März 2014 im Zug zwischen Kaufbeuren und Kempten angezettelt haben soll, sagt er kein Wort.

Mehr als ein Dutzend Schüsse zischten damals durch den voll besetzten Alex 84148 von München nach Kempten. Ein Polizist wurde dreimal getroffen. Einer der mutmaßlichen Täter wurde überrollt und getötet, nachdem er bei voller Fahrt aus dem Zug gesprungen war. Auch Michael W. versuchte per Sprung zu flüchten. Er überlebte schwer verletzt. Jetzt, fast ein Jahr später, wird ihm vor dem Landgericht Kempten der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem versuchten Mord vor. Er soll mehrmals auf einen Bundespolizisten geschossen haben, um die Festnahme seines 20-jährigen Kompagnons zu verhindern.

Alles begann mit einer Routinekontrolle

Was in einem Großeinsatz am Kemptener Bahnhof mit 200 Polizisten endete, hatte mit einer Routinekontrolle zweier Bundespolizisten begonnen. Auf ihrer "Zugstreife" kontrollierten sie die Papiere der beiden Männer. Als sich herausstelle, dass gegen den jüngeren ein Haftbefehl wegen räuberischen Diebstahls vorlag, wollten die Beamten ihn festnehmen. Dann ging alles "blitzschnell", wie einer der Beamten im Zeugenstand aussagte. Der 20-Jährige schoss mit seiner Schreckschusspistole einem Polizisten sofort ins Gesicht. Der ältere Angeklagte stürzte sich auf den anderen. Der jüngere schlug seine Waffe einem Polizisten mehrmals auf den Kopf. Dann entnahm er dem Benommenen die Dienstwaffe. Mit dieser schoss Michael W. laut Anklage dreimal auf einen Beamten.

Beide Polizisten - und ein LKA-Beamter, der zufällig im Zug war und seinen Kollegen zur Hilfe kam - schildern als Zeugen die dramatischen Minuten. Der Angeklagte hört sich das stoisch mit verschränkten Armen an. Nur einmal zeigt er eine Gefühlsregung: Als er kurz lächelnd einen Bekannten im Zuhörerbereich grüßt.

"Frauen haben geheult, Kinder haben geheult"

Michael W. ist in zweiter Ehe verheiratet, er hat drei Kinder im Alter von 23, zehn und acht Jahren. Er ist in Kasachstan aufgewachsen und kam nach abgeschlossener Schlosser-Lehre nach Deutschland. Er war stark drogensüchtig, rauchte Cannabis, nahm Badesalz, spritzte Heroin und schnupfte Kokain. Ohne sichtbare Regung hört er sich die Aussagen an, wie die Beamten im Zug um ihr eigenes Leben und das der Fahrgäste fürchteten. "Frauen haben geheult, Kinder haben geheult", berichtet der LKA-Mann. Auch seinem umsichtigen Vorgehen war es zu verdanken, dass kein Fahrgast verletzt wurde: So hielt er die Täter mit Schüssen aus seiner Dienstwaffe in Schach und schickte , gleichzeitig alle Passagiere in den hinteren Zugteil.

Plötzlich hörten die Polizisten ein lautes Rumpeln unter dem Zug. "Wir waren uns einig, dass einer der Männer aus dem Zug gesprungen ist und überfahren wurde", sagt ein Beamter. Die Annahme war korrekt. Der 20-Jährige war sofort tot. Was die Beamten nicht wissen konnten: ob der zweite Täter auch gesprungen war. Als die Horrorfahrt in Kempten endete, war lange Zeit unklar, ob es im Bahnhof zu einer weiteren Schießerei kommen würde. Erst nach langer Ungewissheit konnte die Polizei Entwarnung geben. Der Angeklagte wurde bewusstlos am Rande der Bahnstrecke gefunden.

Die zwei Polizisten leiden bis heute unter den Folgen der Geschehnisse: Einer wurde dreimal getroffen. Zweimal auf die Schutzweste, die ihm wohl das Leben rettete. Einmal in den Oberschenkel. Er erlitt einen Muskelabriss und Splitterbruch. "Ein leichtes Humpeln wird immer bleiben", berichtet er. "Wenn überhaupt, kann ich nur noch Schreibtisch-Tätigkeiten machen." Auf die Frage des Staatsanwalts, ob der Angeklagte einen Warnschuss abgegeben habe, bevor er auf ihn zielte, lacht der Polizist laut auf. "Wenn ein Schuss aufs Herz ein Warnschuss ist, dann ja." Sein Kollege kam mit drei Platzwunden und einem Knalltrauma davon. Er machte bereits wieder "Zugstreife". Das Urteil fällt voraussichtlich Mitte März.

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