Prozess um Polizeieinsatz:Jagdszenen aus Oberbayern

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Gewaltexzess von Polizisten? Die Rosenheimer Polizei soll eine Familie grundlos geschlagen und gefesselt haben, die Beamten schildern den Fall jedoch ganz anders. Nun steht die Familie vor Gericht. Ob sich auch die Polizei in einem Prozess verantworten muss, wird sich erst zeigen.

Hans Holzhaider

Eine renitente Familie, die korrekte Polizeibeamte an der Ausübung ihrer Dienstpflichten hindern will - oder eine Horde gewalttätiger Polizisten, die ohne Anlass und ohne Rechtsgrundlage unbescholtene Bürger misshandelt? An diesem Freitag beginnt vor dem Amtsgericht Rosenheim der Prozess über einen Fall, der vor fünf Monaten über Bayern hinaus Aufsehen erregt hat.

Prozess um Polizeieinsatz: Eine der Angeklagten nahm ein Foto von dem Vorfall in Pfaffenhofen am Inn auf. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Beamten wurden vorläufig eingestellt.

Eine der Angeklagten nahm ein Foto von dem Vorfall in Pfaffenhofen am Inn auf. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Beamten wurden vorläufig eingestellt.

(Foto: oh)

Angeklagt sind der ehemalige Polizeibeamte Josef E., 67, seine Ehefrau Aloisia, 62, seine Tochter Sandra B. und deren Ehemann Toni, beide 36 Jahre alt. Sie werden des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Josef E. auch der vorsätzlichen Körperverletzung beschuldigt.

Die vier Angeklagten haben ihrerseits Strafanzeige gegen zehn Polizeibeamte erhoben. Diese Ermittlungsverfahren wurden jedoch von der Staatsanwaltschaft Traunstein vorläufig eingestellt. Ob sie wieder aufgenommen werden, hängt vom Ergebnis des Prozesses ab, für den das Amtsgericht Rosenheim vorerst sechs Verhandlungstage angesetzt hat.

Der Vorfall, der der Anklage zugrunde liegt, spielte sich am 15. November 2010 in einem Mietshaus in Pfaffenhofen, einige Kilometer nördlich von Rosenheim ab. Zwei Polizeibeamte in Zivil sollten einen Mann, der dort als wohnhaft gemeldet war, zu einer psychiatrischen Untersuchung vorführen.

Josef E., der 1988 nach einem schweren Unfall aus dem Polizeidienst ausscheiden musste, und seine Ehefrau sind Eigentümer des Hauses mit 14 Wohneinheiten; im Erdgeschoss wohnt ihre Tochter Sandra mit Familie. Weil die Polizisten den Namen des Gesuchten nicht auf dem Klingelschild fanden, läuteten sie bei anderen Mietern und erhielten schließlich von Sandra B. die Auskunft, der Mann sei schon vor einiger Zeit ausgezogen.

Der Anklage zufolge habe sich Sandra B. auf weitere Fragen "zunehmend unkooperativ gezeigt". Als einer der Beamten einen Fuß in die Tür stellte, habe Sandra B. versucht, die Tür gewaltsam zu schließen und den Beamten wegzuschieben. Ihr Ehemann, der dazukam, habe sich "eingemischt". Als Sandra B. die beiden Beamten "geschubst" habe, sei sie "zwecks Fesselung" zu Boden gebracht worden, wobei sie um sich geschlagen und "zunehmend lauter" geschrien habe.

Nunmehr sei auch das Ehepaar E. hinzugekommen. Josef E. habe einen Beamten umklammert, geschubst und zu einem Faustschlag ausgeholt. Er sei dann zu Boden gebracht und gefesselt worden, wogegen er sich heftig zur Wehr gesetzt habe. Ein Beamter sei dabei am Ellenbogen verletzt worden. Inzwischen waren acht weitere Polizeibeamte dazugekommen.

Die zweite Version des Vorfalls

Aloisia E. habe versucht, die Beamten zu fotografieren, als ihr das verwehrt wurde, habe sie eine Beamtin geschubst, schließlich sei auch sie gefesselt worden. Sie habe dann zwei Beamte als "Grattler" und "grobe Säue" bezeichnet, was ihr auch eine Anklage wegen Beleidigung einbrachte.

Justiz ermittelt gegen Polizeichef

Die Polizei in Rosenheim: Mehrmals gerieten die Beamten bereits in Kritik. Ein 15-Jähriger soll auf der Wache vom Polizeichef zusammengeschlagen worden sein.

(Foto: dpa)

Die vier Angeklagten stellen den Vorgang wesentlich anders dar. Die beiden Zivilpolizisten seien von Anfang an barsch und aggressiv aufgetreten, sagt Sandra B., und hätten sie völlig grundlos beschuldigt, sie halte Informationen über den gesuchten Mann zurück. Als sie sich die Namen der Beamten aufschreiben wollte, sei sie festgehalten und mit Fäusten geschlagen worden. Auch ihr Ehemann berichtet, er sei am Hals gepackt und in den Bauch geboxt worden.

Josef E. beschuldigt die Polizisten, sie hätten ihn mit gröbster Gewalt in den Schwitzkasten genommen und mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen, so dass er vorübergehend ohnmächtig wurde. Als er wieder aufwachte, habe ihn ein Polizist am Arm gerissen, "dass ich vor Schmerzen fast verrückt geworden bin" und habe ihm dann mit voller Wucht ein Knie auf den Hals gedrückt. Aloisia E. berichtet, sie sei von einer Beamtin zu Boden geworfen und in die Nieren geschlagen worden.

Alle vier Familienmitglieder wurden nach dem Vorfall im Klinikum Rosenheim behandelt. Dort wurde bei Sandra B., Toni B. und Aloisia E. jeweils ein stumpfes Bauchtrauma diagnostiziert, bei Sandra B. Verstauchungen am linken Daumen und am rechten Handgelenk, bei Josef E. Schürfwunden an Knie und Ellenbogen und eine Schädelprellung.

Für die Verhandlung hat das Amtsgericht den größten zur Verfügung stehenden Saal gewählt, es wird mit erheblichem Publikumsandrang gerechnet. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Traunstein sind anonyme Morddrohungen eingegangen; gegen wen sie sich richten, wurde nicht mitgeteilt. Es wurden deshalb erhöhte Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Zuschauer müssen sich ausweisen und werden durchsucht.

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